Die Gruppierung Génération Identitaire macht in Paris Stimmung gegen den Islam.

Foto: EPA / Christophe Petit Tesson

Wird der Islam radikaler – oder eher die Debatte darüber? Die Frage stellt sich in Frankreich im Zuge gegensätzlicher Kundgebungen. Vor wenigen Tagen sind in Paris 500 Anhänger der rechtsextremen Gruppierung Génération Identitaire auf die Straße gegangen. Der Aufmarsch war nicht imposant, doch den Organisatoren ging es eher um die Wirkung in den sozialen Medien – und die ist massiver, als es die etablierten Medien wahrhaben wollen. Die Slogans waren reißerisch genug: „Kebab, Moschee, wir haben die Nase voll“, hörte man, oder: „Hier ist Paris, nicht Algerien.“

Dabei stand die Demo offiziell unter dem Motto „Stopp dem Islamismus“. Das war eine direkte Antwort auf einen Umzug eine Woche zuvor, der in Paris einen „Stopp der Islamophobie“ verlangt hatte. Diese erste Kundgebung ihrer Art war mit 13.000 Teilnehmern bedeutend besser besucht. Organisator war das „Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich“ (CCIF). Seine Liste physischer und verbaler Attacken gegen Muslime zeichnet ein drastisches Bild. Das letzte Beispiel lieferte Ende Oktober ein 84-jähriger Ex-Front-National-Kandidat, der vor der Moschee von Bayonne zwei Männer schwer verletzte. Dem Demoaufruf folgten prominente Politiker wie Linkenchef Jean-Luc Mélenchon. Die Feministin Caroline de Haas zog ihre Unterschrift unter das Demo-Manifest im letzten Moment zurück, weil auch der umstrittene Imam Nader Abou Anas – der die Züchtigung von Ehefrauen rechtfertigt – zu den Unterzeichnenden gehörte.

Fragwürdige Parallelen

Diskreditiert wurde die Demo auch durch Bilder teilnehmender Kinder mit gelbem Stern an der Brust – eine höchst fragwürdige Parallele zur Judenverfolgung.

So drücken zunehmend Extremisten beider Lager der Islam-Debatte den Stempel auf. Ihnen geht es nicht um Argumente, sondern um Stimmungsmache.

Das verunmöglicht jede sinnvolle Debatte über die wirkliche Islamophobie. Laut einer neueren Umfrage erklären 40 Prozent der französischen Musliminnen und Muslime, sie seien schon rassistisch behelligt worden.

Der Begriff der Islamophobie bleibt in Frankreich allerdings umstritten, weshalb ihn einzelne Pariser Medien in Anführungszeichen setzen. Gegenwärtig wird in dieser komplexen Debatte nur noch polemisiert und mit Schlagworten operiert. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen unterstellte dem Kollektiv gegen Islamophobie – und damit auch allen Mitdemonstranten –, es marschiere „Hand in Hand mit Islamisten“.

Schlag für Integration

Im Visier hat sie Linkspolitiker wie Mélenchon oder den Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez. Im Unterschied zu ihnen hielt Sozialistenchef Olivier Faure Distanz zu dem Umzug; der grüne Europawahlgewinner Yannick Jadot verzichtete auf seine angekündigte Beteiligung. Die Linke ist in dieser Frage gespaltener denn je. Und das gilt wohl für die ganze französische Gesellschaft. Mit gravierenden Folgen: Solange Extremisten beider Lager den Ton angeben, wird die Integration der schon immer ausgegrenzten Banlieue-Zonen noch illusionärer. (Stefan Brändle aus Paris, 21.11.2019)