In Zukunft kann für den einzelnen Patienten eine viel exaktere Therapie angeboten werden.

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Toiletten, die menschliche Exkremente analysieren und hohes Cholesterin aufdecken. Minisensoren, die im Minutentakt den Blutzucker messen. Wearables, also Kleidungsstücke, die Blutdruckwerte, Schweißanalysen und Herzfrequenzen speichern. Der Patient der Zukunft wird eine Fülle von Daten liefern. Sein Benefit: Die Therapien, die er braucht, werden immer persönlicher auf ihn zugeschnitten sein.

Die entstehenden Allianzen sind global: Der weltgrößte Insulinhersteller Novo Nordisk arbeitet in Zukunft mit Roche, einem der größten Hersteller für Zuckermesssysteme, zusammen. Auch der französische Konzern Sanofi und der englische Hersteller Abbott haben das für die Zukunft vereinbart. Fakt ist: Die spezialisierten Ärzte werden – nicht nur in Österreich – immer weniger. Das Paradoxon: Trotzdem wird die Therapie für Langzeiterkrankte – wie etwa Bluthochdruck-, Adipositas- oder Diabetes-Patienten – immer individueller, immer genauer an den einzelnen Patienten angepasst.

Ausscheidungen analysieren

Aktuell ist ein chinesisches Start-up in den Schlagzeilen. Es kann mit einer neu entwickelten Toilettenanlage die Ausscheidungen jedes Menschen analysieren. Seit einigen Jahren kursiert das Gerücht von der Google-Brille, die via Augenscan diverse Krankheiten bei ihren Trägern erkennen kann. Auch Wearables wie Uhren, Brustgurte und auch Hightech-T-Shirts übermitteln bereits heute aktuelle Gesundheitsdaten wie Blutdruck, Pulsfrequenz und mehr. Dazu kommen Apps wie etwa Runtastic, Mysugr und andere heimische Entwicklungen, die chronisch kranke Patienten mit Adipositas, Prädiabetes oder bereits entwickelter Zuckerkrankheit unterstützen.

Was die Datensicherheit betrifft, herrscht unter den Erkrankten, das sind rund 470 Millionen weltweit – etwa 48 Millionen in der EU und etwa 800.000 in Österreich –, noch große Verunsicherung. Doch die Patienten werden wohl wenig Auswahl haben. Denn einerseits versprechen die Global Player einzelne Datensätze zunächst zu pseudo- und dann zu anonymisieren, andererseits lassen sich heute durch die großen Datenmengen auch sehr individuelle Therapien erstellen.

Ein anderer Faktor ist die Entwicklung neuer Medikamente. Gab es vor 50 Jahren nur drei Arzneimittel für Zuckerkranke – Biguanide, Metformin und unterschiedlich lang wirkende Insuline –, so sind es heute neben den verbesserten Insulinen etwa sechs weitere Medikamente, die allesamt miteinander kombiniert werden können. „Die Palette der möglichen Behandlungsformen ist deutlich breiter geworden“, weiß Susanne Kaser, Präsidentin der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft.

Sorge um Datensicherheit

Den Analysten ist klar: Ab 2020 wird sich die Menge der Daten, die Langzeiterkrankte liefern, etwa alle 70 Tage verdoppeln. Die Patienten haben verständlicherweise Sorge, was mit ihren Daten passiert. Dennoch ist die individuelle Beratung mehr als nur wünschenswert. Ein Pionier auf diesem Sektor ist der Internist Michael Müller-Korbsch vom Wiener Wilhelminenspital. Er ist nicht nur selbst an Diabetes erkrankt, sondern betreut auch rund 80 Patienten vorwiegend online.

Sie übermitteln ihm ihre Messergebnisse per Internet und bekommen als Antwort auch konkrete Anweisungen für den Umgang mit ihrer chronischen Erkrankung. Und die schließt im Fall von Diabetes auch oft Adipositas, Bluthochdruck und andere Folgen wie etwa erektile Dysfunktion bei Männern oder Vaginalpilze bei Frauen ein.

Der zu erwartende Daten-Tsunami hat zweierlei Konsequenzen: Einerseits kann für den einzelnen Patienten dank der genauen Analyse eine wesentlich exaktere Therapie als bisher angeboten werden. Andererseits können die Pharmakonzerne aus den Abermillionen Datensätzen riesige Analysen ableiten, die wiederum helfen sollen, noch effektivere Medikamente zu entwickeln.

Intelligenter Insulin-Pen

Die Sorge von Patienten, dass ihre höchstpersönlichen Gesundheitsdaten missbräuchlich verwendet oder gar gehandelt werden, versucht Mikki Nasch,Mitgründerin und Vice President Business Development des US-Unternehmens Evidation Health, die eng mit dem Insulinhersteller Sanofi kooperiert, zu entkräften: „Was an Daten bei uns in der Cloud landet, wird zuerst pseudonymisiert und dann in einem Extradurchgang anonymisiert.“

Auch Novo Nordisk, weltgrößter Insulinhersteller, hat bereits mehr als eine Milliarde Euro für den Einstieg in den elektronischen Markt investiert. Der Insulin-Pen Novo 6, der Anfang kommenden Jahres auch in Österreich zu haben sein wird, speichert 500 Injektionen mit Datum und Uhrzeit, aber auch mit der Menge des injizierten Insulins. Er kann diese Daten auch per Bluetooth-Technologie an diverse Apps, Zuckermessgeräte oder auch kontinuierlich messende Systeme (CGMs) selbstständig weitergeben und so zum besseren Verständnis für Zuckerverläufe beitragen.

Überfüllte Ambulanzen

Der technische Fortschritt wird auch die niedergelassenen Ärzte vor neue Herausforderungen stellen. „Die Zahl der Typ-2-Diabetiker steigt rasant, die Ambulanzen sind überfüllt“, sagt Kaser. Es sei daher wichtig, niedergelassene Ärzte stärker einzubinden und interessierten Medizinern mehr Fortbildung zu diesem Thema anzubieten.

„Natürlich ist all dies auch eine Kostenfrage, aber es ermöglicht optimale personalisierte Therapie“, so Kaser weiter. Dadurch anfallende höhere Ausgaben für Medikamente würden sich laut der Expertin letztlich sogar rechnen, denn „so gäbe es weniger Komplikationen, die schließlich auch die meisten Kosten verursachen“.

Die Krux an der Sache: Praktische Kassenärzte haben bereits jetzt nur durchschnittlich drei Minuten Zeit für den einzelnen Patienten mit Diabetes. Damit, dass sich die Situation bessern wird, ist wohl kaum zu rechnen. (Peter Hopfinger, 21.11.2019)