Wer wird sich im nächsten Jahr an der Wiener Börse durchsetzen? Der Bulle, der für steigende Kurse steht, oder der Bär als Verlustbringer?

Das Jahr 2019 ist bisher an fast allen Aktienmärkten gut gelaufen, so auch an der Wiener Börse. Eine Ursache liegt in dem Ausverkauf der Märkte zu Jahresende 2018 aufgrund plötzlich aufgekeimter Rezessionsängste. Diese erwiesen sich rückblickend jedoch als übertrieben. Darum konnten die Börsen von tiefem Niveau aus viel Terrain wieder gutmachen – in Wien schlägt etwa beim Leitindex ATX ein Kurszuwachs von 15 Prozent zu Buche, inklusive Dividenden erhöht sich der bisherige Jahresertrag auf mehr als 19 Prozent.

Ist es nach dem heutigen Anstieg schon zu spät für einen Einstieg? Auf Anfrage geben zwei Fondsmanager ihre Einschätzungen preis – und diese sind vom Grundtenor durchwegs positiv, sowohl für das heurige Jahresende als auch für das Jahr 2020. „Die Entwicklung war schon in den vergangenen Wochen sehr gut“, sagt Alois Wögerbauer, Geschäftsführer der Linzer 3 Banken Generali Invest. Dies sollte sich fortsetzen, eine Jahresendrally stuft er als wahrscheinlich ein. Ähnlich sieht dies Wolfgang Matejka von Matejka & Partner Asset Management, einer Tochter der Wiener Privatbank: „Man hat erkannt: Wer bremst, verliert“, sagt er mit Blick auf den Lauf der Wiener Börse in den vergangenen Wochen.

Und wie stufen Wögerbauer und Matejka die Aussichten für 2020 ein? Eine Einordnung nach verschiedenen Kriterien.

·Konjunktur Die Gefahr einer Rezession erscheint Wögerbauer abgewendet, allerdings erwartet er auch kein „tolles Wachstumsjahr“ für 2020. Jedoch: „Für die Börsen sind niedrige Zinsen wichtiger als ein tolles Wachstum“, betont Wögerbauer. Daher stelle derzeit ein leichtes Wachstum mit einem verlässlich tiefen Zins – die EZB wird ihre Tiefstzinspolitik wohl noch länger beibehalten – ein sehr gutes Umfeld dar.

Einen Sonderfaktor bringt zudem Matejka ins Spiel, nämlich den hohen Investitionsbedarf in Deutschland, etwa bei der Infrastruktur wie maroden Brücken. „Jetzt gehen es die Deutschen an und sanieren ihre Infrastruktur“, sagt er mit Blick auf die günstige Budgetlage, nicht zuletzt dank der negativen Renditen bei deutschen Staatsanleihen. Diese öffentliche Investitionspolitik werde Auftragsbücher füllen, auch von österreichischen Unternehmen wie dem Baukonzern Strabag.

·Kapitalströme „Es gibt einfach unglaublich viel Geld, das nach Anlage sucht“, sagt Wögerbauer, der auch einen Österreich-Aktienfonds verwaltet. Davon falle auch einiges für Aktien aus Österreich ab. Zudem sieht er erste Anzeichen, dass die internationalen Kapitalströme, die zwei Jahre Geld aus Europa abgezogen hätten, nun drehen könnten. Sollte sich dieser Trend manifestieren, sollten auch „ein paar Bröserln“ für Österreich abfallen. „Das würde reichen, um eine kleine Börse wie Wien zu bewegen“, sagt Wögerbauer. Zumal drei Viertel des Börsenumsatzes in Wien von ausländischen Investoren getätigt würden.

·Politik Der österreichische Markt werde auch viel Aufmerksamkeit durch die Politik auf sich lenken, erwartet Matejka hinsichtlich einer möglichen türkis-grünen Koalition. Die Zeiten, in denen eine grüne Regierungsbeteiligung Investoren eher vergraulen würde, sind Matejka zufolge längst passé. Zudem hält er eine Annäherung zwischen Russland und der Ukraine für möglich: „Das würde ganz Europa, insbesondere Österreich, einen Riesenschub geben.“ Er erinnert daran, dass die Firmen der Wiener Börse stark in Osteuropa verankert sind.

·Bewertung Das Kursniveau in Wien hält Wögerbauer derzeit für günstig. Das Verhältnis der für 2020 erwarteten Gewinne zum Kursniveau (KGV) liege unter dem Faktor zwölf. „Das ist absolut nicht teuer, auch nicht im internationalen Vergleich“, sagt Wögerbauer. Zudem hält er die Dividendenrendite des ATX von 3,8 Prozent in Relation zu den Zinsen für ein „gewichtiges Argument“.

·Dividenden Auch für Matejka werden die Dividenden „definitiv eine Rolle spielen“. Er verweist auf sechs Prozent Rendite bei der Post oder 5,8 Prozent bei der Bawag. Früher seien die Ausschüttungen der Firmen unter den Erträgen von Anleihen gelegen, nun seien sie deutlich darüber und würden langfristig mit den Unternehmensgewinnen mitwachsen.

·Risiken Als Risiken für eine positive Entwicklung der Wiener Börse sieht Wögerbauer das Wiederaufflammen der heurigen Unsicherheitsfaktoren, also eine Verschärfung der US-Handelskonflikte, bei denen es zuletzt zu einer Entspannung gekommen sei, oder einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens – beides würde den Wiener Markt belasten. Wobei Matejka einen Hard Brexit als geringeres Übel einschätzt: „Das wäre nur ein kurzes Schock.“

·Fazit Für Wögerbauer ist 2020 ein Anstieg im hohen einstelligen Bereich drin. Es würde Sinn machen, auf zyklischere Aktien wie Andritz zu setzen oder, Mut und Risikobewusstsein vorausgesetzt, Banken wie RBI. Der Verpackungskonzern Mayr-Melnhof sollte Wögerbauer zufolge vom Trend „Papier statt Plastik“ profitieren. „Es ist viel möglich im nächsten Jahr“, fasst Matejka seine Erwartungen zusammen.

Generell wichtig ist bei Aktieninvestments eine gewisse Streuung, die bei Indexprodukten auf den ATX automatisch gegeben ist – und ein langer Anlagehorizont. Denn kurzfristig schwanken die Erträge stark, sind langfristig aber wesentlich stabiler. Wer Anfang 2000 in den ATX eingestiegen ist, konnte das Kapital inklusive Dividenden in knapp zwei Jahrzehnten mehr als vervierfachen. (Alexander Hahn, 24.11.2019)