Benjamin Hadrigans umstrittene App "Lernsieg" ist aufgrund zahlreicher Hassnachrichten offline gegangen. Im Gastkommentar tritt Petra Mascher, Systemischer Coach, dafür ein, ihr eine Chance zu geben.

Erst ganz langsam und dann mit einem schnellen Ruck saust das Lineal nieder und landet auf den brav hingehaltenen Fingern des zitternden Schülers. Angstvoll blickt er aus niedergeschlagenen Augen auf sein Gegenüber, mutig darauf bedacht, nicht zu zucken. Ein Bild aus längst vergangenen Tagen unseres Schulsystems, und das ist gut so. Denn Veränderung hat die Menschheit vorangebracht. Veränderung macht aber auch immer wieder Angst und bringt Verunsicherung mit sich.

Und so dürfen wir uns nicht wundern, wenn eine einfache App hohe Wellen schlägt. Darf das sein, dass Schüler ihre Lehrer einfach so und anonym bewerten? Entspricht diese App den rechtlichen Voraussetzungen des aktuellen Datenschutzes? Kann man es als Lehrer einfach so dulden und aushalten, dass Schüler den "Spieß" (welch ein gemeines Wort) umdrehen?

Antiquiertes System

Umstrittene App: "Lernsieg" von Benjamin Hadrigan.
Foto: APA/Georg Hochmuth

Ich habe mir ein Interview mit Benjamin Hadrigan angesehen, das dieser im Frühling dieses Jahres dem Bayerischen Rundfunk gegeben hat. Ein freundlicher, intelligenter, aufstrebender junger Mann hat erkannt, dass das System, das ihn für die Zukunft fit machen soll, den Anforderungen unserer Zeit und unseres Arbeitsmarktes und den Herausforderungen, die auf ihn zukommen, nicht mehr entspricht. Eine Beobachtung, die auch meine Söhne – beide sind bereits erwachsen und studieren nun – gemacht haben.

Wie kann man es also schaffen, hier Bewegung ins System zu bringen? Wie kann man alle Seiten ins Boot holen? Wie können wir es bewerkstelligen, einen offenen Diskurs zu führen, ohne den anderen und seine Meinung gleich mundtot zu machen?

Konstruktives Feedback

Hadrigan hat hier mit der Entwicklung seiner App den Anstoß gegeben. Über den Inhalt und seine Form kann man diskutieren, und er ist auch bereit dazu. Gerne würde er mit der betroffenen Lehrerschaft über eine Optimierung dessen, was er entwickelt hat, einen Austausch pflegen. Er würde gerne ein konstruktives Feedback haben als Grundlage dafür, es besser zu machen. Er hat für seine Arbeit nicht den Anspruch erhoben, dass diese schon perfekt ist.

Die Idee ist gut: Er möchte Lehrern die Chance geben zu erkennen, wo sie mit ihrer Art des Unterrichts stehen, und sich anhand differenzierter Bewertungsmerkmale ein Bild davon machen zu können, wo sie bereits besonders gut sind und wo sie noch Entwicklungspotenzial haben. Klar wäre es hilfreich, in unserem Schulsystem, wie es in der Erwachsenenbildung beziehungsweise in den Seminaren und Workshops unserer Arbeitswelt bereits Usus ist, nach jeder Unterrichtseinheit eine Feedback-Runde in der Klasse zu machen: Was ist in dieser Stunde besonders gut gelaufen, und was hätte man sich anders gewünscht?

Neue Zeiten

Tatsache ist, dass diese Art des Feedbacks für die meisten Lehrer etwas Neues wäre und es aus zeitlichen Gründen derzeit nicht möglich ist, hier in dieser Art anzusetzen. Doch wer sagt, dass wir das System nicht dahin verändern können?

Der Gedanke hinter der Lehrerbewertungs-App ist gut, der Entwickler bereit, das Feedback der Betroffenen anzunehmen und sein Produkt zu optimieren. Liebe Lehrer, stellt euch den neuen Zeiten. Stellt euch dem, was eure Schüler im Leben und am Arbeitsmarkt heute erwartet, und unterstützt sie bitte dabei, fit dafür zu werden. Und wie immer im Leben: Es kommt so zurück, wie man in den Wald hineinruft. Auch bei einer Bewertung mit der "Lernsieg"-App. Denn wie der Name dieser App schon sagt: Es geht darum, besser lernen zu können und damit im Leben erfolgreicher zu sein. Ein schöner Gedanke. (Petra Mascher, 21.11.2019)