Herausgeber Michael Maier (li.) und die neuen Eigentümer des Berliner Verlags, Silke und Holger Friedrich, wollen die "Berliner Zeitung" größer denken. Derzeit allerdings ist man noch mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigt. Dabei hilft österreichische Leichtigkeit.

Foto: Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Als die Unternehmer Silke und Holger Friedrich den Berliner Verlag mit seinem Flaggschiff "Berliner Zeitung" kauften, war das ein Coup. Dann flog auf, dass Holger Friedrich für die Stasi spioniert hat. Jetzt muss Herausgeber Michael Maier aufklären – wieder einmal. Mit dem Thema befasste er sich schon vor 20 Jahren als Chefredakteur der Zeitung.

STANDARD: Haben Sie schon bereut, als Herausgeber zur "Berliner Zeitung" zurückgekehrt zu sein?

Maier: Überhaupt nicht. Ich habe allerdings nicht damit gerechnet, dass ich in so kurzer Zeit eine solche Zeitreise erlebe und mich wieder mit dem Stasi-Thema beschäftigen muss. Ich bin erstaunt, mit welcher Wucht das aufgegriffen wird.

STANDARD: War es ein Fehler, dass der neue Eigentümer der "Berliner Zeitung", Holger Friedrich, seine Stasi-Tätigkeit verschwieg?

Maier: Theoretisch ja. Aber man kann in einer Konversation ja nicht so einfach sagen, und ach, übrigens, über mich gibt es eine Stasi-Akte. Im Westen sagt ja auch keiner ungefragt nach 30 Jahren und einem ganzen Leben, ich bin mit 18 Jahren mal besoffen Auto gefahren und habe andere gefährdet, das sollten Sie unbedingt von mir wissen.

STANDARD: Stasi-Aktivität ja oder nein – das ist aber immer noch eine Gretchenfrage. Hat Sie das wirklich überrascht, dass Medien nachforschen, wenn ostdeutsche Unternehmer einen Verlag kaufen?

Maier: Friedrich hat länger im neuen Deutschland gelebt als in der DDR. Die Stasi war nur eine Mini-mini-Episode, nicht einmal zwei Jahre. Er hat sehr viel mehr gemacht. Er war Schlosser, Physiker, Software-Unternehmer und McKinsey-Partner. Er hat in einer äußerst schwierigen Lage glaubwürdig reagiert. Er hat die Redaktion bestärkt, dass die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk die Angelegenheit untersuchen.

STANDARD: Als Sie von 1996 bis 1998 Chefredakteur der "Berliner Zeitung" waren, gingen Sie offensiv gegen Stasi-Mitarbeiter in der Redaktion vor. Was war damals anders als heute?

Maier: Damals wurde uns von der westdeutschen Journalistengewerkschaft Gesinnungsschnüffelei vorgeworfen. Heute sagen die gleichen Leute: Alle, die auch nur in der Nähe der Stasi waren, müssen raus. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Maßstäbe mit dem Zeitablauf strenger werden. 1996 hatten alle DDR-Bürger ihr zweites Leben erst vor sich. Alles, was es gab, um sie zu beurteilen, war ihre Vergangenheit.

STANDARD: Was geschah damals?

Maier: Es gab viele hervorragende Schreiber. Aber es war eben eine SED-Zeitung, da waren keine Widerstandskämpfer. Wir haben geschaut, ob man jemandem charakterlich und fachlich zutrauen kann, dass er in ein neues demokratisches System hineinwächst. Wir haben uns dann von einem guten Dutzend Mitarbeiter getrennt. Es traf nur Redakteure, niemanden im Verlagsbereich.

STANDARD: Jemanden wie den neuen Verleger Holger Friedrich hätte es also nicht getroffen?

Maier: Nein. Mir war es damals besonders wichtig, Oppositionelle und Bürgerrechtler in die Redaktion der "Berliner Zeitung" zu bringen. Heute klingt das selbstverständlich. Damals spottete der "Spiegel": In seiner Not rekrutiert Maier Redakteure schon bei Bärbel Bohley. Wir haben Wolf Biermann dazu gebracht, der Zeitung, die ihn früher verfolgt hatte, ein Interview zu geben. Das wäre ohne eine stille Heldin der Revolution, Renate Oschlies, nicht gelungen.

STANDARD: Jetzt sind Sie wieder am Thema dran. Brauchen die Deutschen einen Österreicher als neutrale Instanz?

Maier: Damals war es schon ganz hilfreich, entlang der Konfliktlinien zwischen Ost und West, aber auch jener zwischen Ost und Ost zu vermitteln. Ich versuche eine gewisse Leichtigkeit in die oft verbissenen Debatten zu bringen.

STANDARD: Die Friedrichs vermitteln ein wenig den Eindruck, alles sei bloß Durchschnitt: der Journalismus, Deutschland, Berlin. Da ist die Fallhöhe jetzt natürlich hoch.

Maier: Die Friedrichs könnten sich eine Jacht kaufen, aber sie haben lieber die "Berliner Zeitung" gekauft. Sie haben sie gelesen, auch als sie plötzlich ganz anders wurde. Friedrich hat ja mitbekommen, dass die "Berliner Zeitung" mit mir auf Anti-Stasi-Kurs ging. Sie sind totale Zeitungsfanatiker. Am Ende wollen wir alle Skeptiker mit einem exzellenten Blatt überzeugen.

STANDARD: Sie waren jahrzehntelang weg vom Papier. Warum reizte Sie die Rückkehr zur Zeitung?

Maier: Guter Journalismus sticht im Internet heraus. Was da auf Twitter oder sonst wo läuft, ist kein Journalismus, sondern Meinungsvielfalt an der Grenze zum kollektiven Wahnsinn. Wir Journalisten suchen die relevanten Nachrichten aus, ordnen sie ein und schreiben mit maximaler Distanz. Das ist unser Handwerk. Das wird gebraucht.

STANDARD: Das haben Sie weiterhin auch auf Papier vor?

Maier: Das Einzige, was ich gegen das Papier habe, ist, dass Millionen Bäume gefällt werden müssen für die Zeitungen.

STANDARD: Was soll sich ändern?

Maier: Wir müssen weg von der selbstreferenziellen politischen Enge. Die Leute interessieren sich nicht für den Parteienzwist. Wir wollen etwa erzählen, was passiert, wenn am Himalaja die Gletscher schmelzen und für 800 Millionen Menschen Trinkwasser und Energiequellen verschwinden. Das ist ein Thema. Andere zeitgenössische Bereiche wie Ökologie, Technologie, globale Gerechtigkeit müssen verstärkt in die Zeitung.

STANDARD: Wo wollen Sie neue Leserinnen und Leser herbekommen?

Maier: Ich bin damals zur "Berliner Zeitung" gekommen, weil Erich Böhme (ehemaliger Herausgeber, Anm.) sich gewünscht hat, dass diese eine deutsche "Washington Post" werden soll. Da haben dann auch viele gelacht und gesagt, das sei ja nie passiert. Stimmt. Aber das heißt ja nicht, dass es damit vorbei ist. Es lag nicht an der Redaktion, die ist heute noch exzellent. Doch der Verlag Gruner + Jahr wollte sich den deutschlandweiten Vertrieb nicht leisten. Ich sehe es so, dass wir das damals unterbrochene Projekt heute fortsetzen können.

STANDARD: Die "Berliner Zeitung" will sich also nicht auf den Großraum Berlin beschränken?

Maier: Wir müssen wegkommen davon, dass man sagt, Berlin, das sind nur die Bezirke und Kieze. Die gibt es natürlich auch. Mich interessieren jedoch die vielen Milieus – Wissenschaft, Musik, Mode, Technologie, Diplomatie. Sie sind alle international. In Berlin oszilliert die Welt und umgekehrt.

STANDARD: Soll die "Berliner Zeitung" Konkurrenz zur "Süddeutschen" und "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sein?

Maier: Nein. Zeitungen sollten eine Gattungssolidarität haben. Ich sehe uns Zeitungen im Idealfall als Gegengewicht zu den Agitatoren und Manipulatoren der politischen und kommerziellen Interessengruppen, die das Internet verseuchen. (Birgit Baumann, 21.11.2019)