Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Auf derStandard.at/Familie beantwortet sie rechtliche Fragen bezüglich des Familienlebens.

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Einer der häufigsten Streitpunkte nach Scheidungen oder Trennungen ist die Obsorge für die gemeinsamen Kinder. Unter Obsorge (umgangssprachlich auch Sorgerecht) versteht man das Recht und die Pflicht, die Kinder zu erziehen und zu pflegen, ihr Vermögen zu verwalten und sie gesetzlich zu vertreten. Davon zu unterscheiden ist das Kontaktrecht, also das Recht, die Kinder zu sehen. Ein Kontaktrecht hat auch der Elternteil, der nicht mit der Obsorge betraut ist. Seit einigen Jahren kommt die Obsorge im Regelfall beiden Eltern zu, und zwar auch nach der Scheidung oder Trennung. Die gemeinsame Obsorge birgt allerdings auch jede Menge Konfliktpotenzial. Besonders problematisch sind Fälle, in denen ein Elternteil gewalttätig ist.

Striktes Gewaltverbot bei der Kindererziehung

Grundsätzlich herrscht in Österreich bei der Kindererziehung ein striktes Gewaltverbot. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass die Anwendung von Gewalt und die Zufügung von körperlichem oder seelischem Leid unzulässig sind. Das gilt für jede Form von Gewalt: Schläge, Ohrfeigen oder sonstige Misshandlungen oder körperliche Bestrafungen. Auch die sogenannte "gesunde Watschen" ist (vollkommen zu Recht) verboten. Was viele Eltern nicht wissen: Auch psychische Gewalt ist verboten. Mehr dazu hier: "Gewaltfreie Erziehung – was heißt das eigentlich?"

Entzug der Obsorge bei wiederholten Gewaltvorfällen

Obwohl der Gesetzgeber hier eine "Nulltoleranzpolitik" verfolgt, ist die Rechtsprechung bei einem Entzug der Obsorge nach Gewaltvorfällen eher zurückhaltend. Die Obsorge darf nur im Fall einer Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden. Verstöße gegen das Gewaltverbot sind zwar bei der Obsorgeentscheidung zu berücksichtigen, nicht jeder Gewaltvorfall führt aber sofort zu einem Entzug der Obsorge. Weniger schwerwiegende Entgleisungen wie etwa Ohrfeigen sind nach der Rechtsprechung noch kein Grund, die Obsorge zu entziehen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall handelt.

Eine Kindeswohlgefährdung wird in der Regel erst bei schwerwiegenden Gewaltvorfällen oder einer nachhaltigen Verletzung des Gewaltverbots angenommen. Dabei kommt es allerdings immer auf die Zukunftsprognose an. Selbst bei wiederholten Gewaltvorfällen in der Vergangenheit wird die Obsorge nicht unbedingt entzogen, wenn sich der gewalttätige Elternteil einsichtsfähig zeigt und sich die Situation zwischenzeitlich gebessert hat oder eine Änderung des Verhaltens zu erwarten ist. Ein Entzug der Obsorge ist auch möglich, wenn ein Elternteil nicht selbst gewalttätig ist, sondern Gewalt durch einen Dritten (zum Beispiel seinen Lebensgefährten oder seine Lebensgefährtin) duldet.

Begleitetes Kontaktrecht bei Gewalt durch einen Elternteil

Ein Entzug der Obsorge führt aber nicht automatisch dazu, dass der gewalttätige Elternteil sein Kind nicht mehr sehen darf und das Kontaktrecht verliert. In der Regel ordnet das Pflegschaftsgericht nach Gewaltvorfällen zunächst eine Besuchsbegleitung an. Die Kontakte finden dann in einer geschützten Umgebung (zum Beispiel einem sogenannten Besuchscafé) und in Anwesenheit einer neutralen Person (eines Besuchsmittlers) statt.

Nur wenn das Kindeswohl massiv gefährdet ist und es keine andere Möglichkeit gibt, kann das Kontaktrecht auch vorübergehend beziehungsweise bis auf Weiteres ganz ausgesetzt werden. Das kommt meist zum Tragen, wenn die Kinder aufgrund besonders schwerer Gewaltvorfälle oder jahrelanger Misshandlungen traumatisiert sind. Ein endgültiger, dauerhafter Entzug des Kontaktrechts ist nicht möglich. (Carmen Thornton, 25.11.2019)