Für ihre Fotoserie "Relax" überschüttete die britische Künstlerin Josephine Pryde einen Honda Prelude 20 Ex mit Farbe.

Foto: Josephine Pryde

War man hier nicht gerade schon? Hat vor zerbrochenen Spiegeln versucht, sich zu orientieren? Ist dann an Uhren, Pflanzen und Streifen entlanggegangen? Und nach links abgebogen? Oder vor den Frauenkörpern mit den silbernen Rohren nach rechts? Noch bevor bunte Collagen in einen anschließenden Raum locken können, steht man zum ersten Mal vor einer Wand voller Text, der Informationen über das Gesehene liefert und ganz hinten im Ausstellungsraum angebracht ist.

Dass dies so ist, hat natürlich seine Gründe, erzählt Kurator Matthias Michalka. Denn in der Schau Objects Recognized in Flashes sollen die Fotografien vorerst für sich betrachtet werden. Also ohne Erklärung, ohne Information und ohne Interpretation. Aus diesem Grund gibt es auch keinen eindeutigen Eingang in die im Mumok laufende Ausstellung. Ein offener weißer Raum mit schräggestellten Wänden lässt verschiedene Wege zu, schreibt keine Reihenfolge vor. Ähnlich einem Labyrinth können sich Betrachtende darin individuell bewegen – und verlaufen.

Vier Einzelausstellungen in einer

Gemeinsam und in enger Absprache gestaltete Michalka mit den Künstlerinnen Michele Abeles, Annette Kelm, Josephine Pryde und Eileen Quinlan die großangelegte Fotoausstellung, die allerdings nicht als Gruppenschau verstanden werden soll, sondern als vier gleichwertige Einzelausstellungen. Auch sei es keine Absicht, dass vier weibliche Künstlerinnen gemeinsam ausstellen. Allein die Werke waren bei der Auswahl entscheidend, so der Kurator, diese fließen ineinander und nehmen aufeinander Bezug.

So werden ähnliche Motive – wie etwa Spiegel bei Quinlan und Pryde, Uhren bei Kelm und Abeles, Straßenfotografien bei Pryde und Abeles und Muster bei Quinlan und Kelm – an einer Wand oder in einem Gang gruppiert. Manchmal verwundert es, dass die Bilder tatsächlich von unterschiedlichen Künstlerinnen stammen. Genau diese Überschneidungen, die die Werke der in Berlin (Kelm und Pryde), New York (Abeles) und Boston (Quinlan) lebenden Künstlerinnen aufweisen, gaben Michalka die Idee, sie unter einem thematischen Mantel zu vereinen: Wie verhalten sich verschiedene Oberflächen zueinander – von Materialien, Objekten, Körpern und auch von Fotografien selbst?

"Red, Rock, Cigarettes ..." der US-Künstlerin Michele Abeles.
Foto: Michele Abeles

Was im ersten Moment etwas technisch klingt, ist es eigentlich nicht. Am einfachsten erklärt dies die Arbeit Smoke & Mirrors #71 von Eileen Quinlan, in der weißer Rauch vor gebrochenen Spiegelstücken schwebt, bricht und sich vervielfacht. Der Rauch scheint aus dem Bild hervorzutreten, die Kanten scheinen zu verschwimmen, Raum und Körper lösen sich auf. Es ist ein Spiel, das die Bilder der vier Fotografinnen gemein haben. Ein Spiel mit wahrnehmbaren Ebenen – wo beginnt der abgelichtete Gegenstand, was liegt dazwischen und wo endet die Oberfläche der Fotografie?

Instagram-Fashion-Bildsprache

Hier wirft die Schau einen Blick auf unsere digitalisierte Welt, die von sozialen Medien und omnipräsenter Bewerbung käuflicher Waren dominiert wird. Was sie davon hält, bleibt offen: Einerseits steht sie der an der Oberfläche verharrenden und kommerziellen Produktfotografie kritisch gegenüber, andererseits erschließt sie deren ästhetisch-inszenierten Charakter und verwandelt ihn in künstlerische Fotografie.

Josephine Pryde scheint dieser Instagram-Fashion-Bildsprache mit ihren Nahaufnahmen von Händen mit buntlackierten Fingernägeln, Unterhosen und sogar Displays von Tablets und Smartphones – mit einem skeptischen Augenzwinkern – am nächsten zu kommen. Gleichzeitig gelingen der Fotografin die schärfsten Brüche: Als Einzige der vier Künstlerinnen formt sie auch Arbeiten in den dreidimensionalen Raum und erhebt sich damit aus der Oberfläche. Mit schmalen Röhren durchsticht sie diese sogar oder rollt ihre Bilder zu solchen ein.

Taschenuhr

Was bei Pryde offensichtlich behandelt wird, bleibt bei Annette Kelm in konzeptuellen Arbeiten verborgen. In der vierteiligen Serie Anonymous, Lilac Clock Bag Buffalo Exchange zeigt sie eine Tasche, die eigentlich eine analoge Uhr ist und auf der die Zeit jeweils um eine Minute verstreicht. Wie eine heroische Skulptur inszeniert Kelm dieses Modeaccessoire in Echtzeit, reißt es aus seinem Dasein und verbindet schließlich Produktfotografie und künstlerische Fotografie.

Je tiefer man sich in das Labyrinth begibt, desto stärker schälen sich die Unterschiede zwischen den Arbeiten der vier Künstlerinnen heraus. Schließlich locken die bunten Collagen von Michele Abeles, die sich wie ein Suchbild aus etlichen Lagen, Ebenen, Stoffen, Objekten und Körpern auffächern, in den angrenzenden und abschließenden Raum. Einen anderen Weg gibt es gar nicht. (Katharina Rustler, 22.11.2019)