Inhalte des ballesterer #147 (Dezember 2019) – Seit 22. November im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: SV Werder Bremen

KLIMAWANDEL

AM GRÜNEN RASEN
Die Umweltbelastung des Profifußballs

KLIMABEWUSST 1
Der Hobbyklub Los Amigos

KLIMABEWUSST 2
Der Profiklub Forest Green Rovers

KLIMABEWUSST 3
Die Stadtgemeinde Hartberg

DIE PREISE DER FIFA
Der Weltverband will sich grünwaschen

Außerdem im neuen ballesterer

"KÖLN GEHÖRT IN DIE BUNDESLIGA"

Louis Schaub über seine Saisonziele

REQUIEM AUF EINEN KLEINEN
Die SG Wattenscheid 09 ist pleite

WIENER MIKROKOSMOS
Ein Besuch bei 1453 Fetih Tarhana, dem FC Kurd und dem SV Rojava

FORMATION MISCHWALD
Das Kunstprojekt "For Forest" in Klagenfurt

FERNVERKEHR
Die Reisewege der Bundesligisten

DER HYBRIDVERTEIDIGER
Stefan Posch in der Taktikanalyse

WÄRME IM UNTERHAUS
Die Sozialprojekte der Wiener Viktoria

SEIN KATALONIEN
Guardiola liegt mit Spanien im Clinch

DER KLEINE PRINZ
Joao Felix im Porträt

DIE HÄMORRHOIDE
Dr. Pennwiesers Notfallambulanz

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, Italien, Luxemburg und Wales

Foto: ballesterer

Claudia Roth: "Eine klimaneutrale WM ist nicht zu machen"

Foto: Konrad Schmidt

Roth begleitet den FC Augsburg zum 1. FC Nürnberg.

Foto: imago images / kolbert-press

"Es hat auch in meiner Partei einige Skepsis gegeben", sagt Claudia Roth. Bei der WM 2006 war die damalige Bundesvorsitzende der deutschen Grünen in den Ehrenlogen neben DFB-Präsidenten Theo Zwanziger aufgetaucht, einem CDU-Politiker. Ob ein Auftritt im Stadion politisch genug sei, sei sie von Parteifreunden gefragt worden. Für Roth ist die Antwort klar, im ballesterer-Interview verweist sie immer wieder auf die gesellschaftspolitische Kraft des Fußballs. Auch beim Klimaschutz könnten Klubs, Spieler und Fans viel tun. Im DFB-Umweltprojekt zur WM 2011 entwickelte Claudia Roth gemeinsam mit Vereinen Ideen dazu, acht Jahre später ist aus ihrer Sicht immer noch nicht genug passiert. "Ich werde mir den Uli Hoeneß noch mal schnappen", sagt sie. "Wenn er nicht mehr Bayern-Präsident ist, hat er Zeit. Wir müssen mehr tun."

ballesterer: Wie sind Sie mit dem DFB enger in Kontakt gekommen?

Claudia Roth: Über Theo Zwanziger. Er hat die gesellschaftspolitische Dimension des Fußballs sehr gut erkannt. Wir haben gleich einen Draht zueinander gehabt. Die NPD hat vor der WM 2006 angekündigt, die Spiele des Iran besuchen zu wollen – die Neonazis wollten offenbar ihre Unterstützung für die israelfeindlichen Positionen des iranischen Präsidenten kundtun. Wir wollten das verhindern. Ich habe also Kontakt zu Theo Zwanziger aufgenommen, wir haben uns getroffen, und er hat uns unterstützt. In der Folge bin ich zu ein paar WM-Spielen eingeladen worden. Vielleicht war es dem DFB ganz recht, dass Deutschland auf der VIP-Tribüne nicht nur von konservativen Politikern repräsentiert wird.

ballesterer: Sie waren anschließend auch in DFB-Gremien aktiv. Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Roth: Theo Zwanziger hat mich in die neue DFB-Kulturstiftung berufen. Das war für die Vertreter der Landesverbände ein mittelgroßer Schock. Jedenfalls ging ein Raunen durch den Raum, da wohl die Wenigsten damit gerechnet hatten, dass ich tatsächlich auftauche. Vorher waren ja allenfalls Kollegen von der CDU und ein paar Sozialdemokraten im DFB aktiv. Die Vorbehalte sind dann aber schnell geschwunden, irgendwann hat es geheißen: "Die hat ja sogar Ahnung vom Fußball."

ballesterer: Das hat ja auch gestimmt. Sie haben in Interviews erzählt, dass Sie schon als Kind Fußballfan waren.

Roth: Ja, Fußball hat mich immer begleitet. Mein Vater war ein großer Fan und ich die erstgeborene Tochter. Er hat mich manchmal ins Stadion mitgenommen, wir haben Welt- und Europameisterschaften geschaut, und die Sportschau war immer Pflichttermin. Als es dem SSV Ulm wirtschaftlich schlecht gegangen ist, hat sich auch meine Mutter für den Verein eingesetzt – allerdings weniger aus Fußballinteresse, sondern weil sie als Ulmerin etwas für die Stadt tun wollte.

ballesterer: In den frühen 1980ern waren Sie Managerin der Band "Ton Steine Scherben", 1987 sind Sie den Grünen beigetreten. Das klingt nicht nach klassischen Fußballmilieus.

Roth: Stimmt, aber außer Rio Reiser haben sich bei "Ton, Steine, Scherben" alle für Fußball interessiert. Unter keinen Umständen durfte ich zeitgleich mit wichtigen Spielen ein Konzert ansetzen. Auch die Grünen waren damals schon eine fußballaffine Partei. Auf Parteitagen sind Bundesliga-Ergebnisse durchgesagt worden. Bei besonders wichtigen Spielen haben wir gestritten, wer sie verkünden darf. Zum DFB hat es aber eine große Distanz gegeben. Die Verbandsstrukturen waren damals noch deutlich konservativer als heute.

ballesterer: Unter Zwanziger ist 2010 eine Kommission für Nachhaltigkeit gegründet worden, in die auch Sie berufen worden sind.

Roth: Er hat damals versucht, gesellschaftspolitische Themen wie Antirassismus, Bildung und Klimaschutz in den Verband zu integrieren. Schon 2006 hat es bei der WM mit "Green Goal" ein Umweltprogramm gegeben. Für die WM 2011 hätte der DFB diesen Aspekt dann fast unter den Tisch fallen lassen, nach dem Motto, etwas überspitzt: "Es geht ja nur um Frauen, was wollen wir mit dem Ökogedöns, und dann kostet das auch noch Geld." In der Kommission haben wir schließlich einen Aufstand angezettelt. Ergebnis: Es wurde ein neues Programm aufgesetzt, breiter als 2006. Wir wollten zeigen, dass sich auch ein großes Turnier mit ökologischer Verantwortung organisieren lässt.

ballesterer: Die WM sollte klimafair ablaufen. Was bedeutet das?

Roth: Wir haben zunächst lange über das Wort "klimaneutral" geredet. Eine klimaneutrale WM ist aber schlichtweg nicht zu machen, das wäre Etikettenschwindel. Daher haben wir uns für "klimafair" entschieden. Ich war damals Vorsitzende des DFB-Umweltbeirats, und wir haben uns bemüht, wissenschaftliche Expertise und unabhängige Umweltverbände in den Prozess einzubeziehen. Einige haben sich darauf eingelassen, andere hatten Angst, als Feigenblatt für den DFB herhalten zu müssen.

ballesterer: Und wie wollten Sie eine klimafaire WM erreichen?

Roth: Wir haben verschiedene Kriterien wie Mobilität, Wasser, Energie, Müll und Catering definiert – und diese Bereiche dann systematisch abgeklopft. Mit Energieexperten sind wir in die Stadien gegangen und haben nach Verbesserungspotenzialen gesucht. Die Vereine waren dafür übrigens sehr dankbar. In Mönchengladbach sind rund ums Stadion diese Elektroheizstrahler gestanden, die wahnsinnig viel Strom verbrauchen. Also haben wir vorgerechnet, dass eine zentrale und ökologischere Lösung auch Geld spart. In anderen Städten hat es Projekte gegeben, um verstärkt Regenwasser zu verwerten. Und in Augsburg ist die Isolation nachgebessert worden. Dort sind damals bei den Toiletten auch immer alle Spülungen gleichzeitig gelaufen, wenn eine einzelne betätigt wurde. Ein Wahnsinn. Am schwierigsten aber war das Thema Catering.

ballesterer: Wegen der Wurst?

Roth: Genau. Wir haben gesagt, zur WM der Frauen kommt ein anderes Publikum – mehr Frauen, mehr Mädchen. Allein deshalb müssen wir das Catering umstellen. Präsident Zwanziger hat erwidert: "Wenn die Wurst nicht schmeckt, ist das das Ende des Fußballs." Also hat er ein Probeessen eingefordert. Wir haben dann wirklich eine Verkostung mit dem DFB-Präsidium gemacht.

ballesterer: Wie viel Ihrer damaligen Arbeit wirkt bis heute nach?

Roth: Die Nachhaltigkeitskommission war eine Idee von oben. Die Basis ist nicht mitgenommen worden. Und dann war auch die Kommission schnell weg, als Theo Zwanziger nicht mehr DFB-Präsident war. Trotzdem wirkt die Arbeit nach. Gerade beim Energieverbrauch sind die Vereine inzwischen viel weiter, da passiert einiges – etwa in Augsburg, Freiburg und Wolfsburg. Dort wird zum Beispiel mit LED-Leuchten gearbeitet, das spart ungeheuer viel ein. Die Mobilität haben wir 2011 nicht als allzu großes Thema erkannt. Die Stadien waren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar, aber das hilft nichts, wenn trotzdem jeder Zweite mit dem Auto anreist. Die Verkehrsfrage würde ich deshalb heute anders beurteilen. Sie ist für den Ligabetrieb ganz wesentlich. An einem Bundesliga-Spieltag sind rund eine halbe Million Menschen unterwegs – da müssen wir deutlich besser werden.

ballesterer: Das könnte mit Sponsoren wie Audi, VW und Opel schwierig werden, oder?

Roth: Nicht unbedingt. Wenn es auf dem Stadiongelände des VfL Wolfsburg E-Tankstellen und elektrischen Pendelverkehr gibt, ist das natürlich auch Werbung für Volkswagen. Die Energie- und Verkehrswende ist als Herausforderung so grundlegend, dass wir alle ran müssen – Verbände, Vereine, Fans. Natürlich auch die Wirtschaft. Vor allem aber sind wir Politikerinnen und Politiker gefragt.

ballesterer: Was könnten Vereine und Spieler denn tun?

Roth: Die Klimafrage findet im Fußball nur am Rande statt. Dabei haben Spielerinnen und Spieler eine große Vorbildfunktion. Es wäre doch schön, wenn einige von ihnen sichtbar bei den "Fridays for Future"-Demonstrationen auftauchen würden. Warum eigentlich nicht? Es ist ihre Generation, die von den Klimaveränderungen massiv betroffen sein wird. Natürlich kann und will ich niemanden zwingen, sich politisch zu engagieren. Aber es ist schon bemerkenswert, wie wenige Sportstars sich bei dem Thema aus der Deckung wagen. "Aber das ist ja politisch", höre ich dann. Ja, klar, verdammt noch mal. Fußball findet nicht im politischen Vakuum statt. Vereine und Spieler haben eine enorme gesellschaftliche Bindewirkung, die sollten sie nutzen.

ballesterer: Dazu gehört wahrscheinlich aber auch, dass sie mit gutem Vorbild vorangehen.

Roth: Absolut, das ist in der Politik nicht anders – und nicht immer einfach. Das größte Potenzial sehe ich in der Mobilität. Wie sieht das Reiseprofil der Vereine aus? Muss bei Turnieren jeder einzelne Funktionär im eigenen Auto durch die Gegend kutschiert werden? Braucht es wirklich immer mehr Wettbewerbe mit entsprechender Ökobilanz? Und wie sinnvoll ist es eigentlich, dass der Sieger des Viertelfinales der EM 2020 in Baku drei Zeitzonen passieren muss, um das Halbfinale in London zu spielen?

ballesterer: Wenn es freiwillig mit dem Klimaschutz nicht funktioniert, kann man auch Vorgaben machen. Wäre das für den Fußball sinnvoll?

Roth: Wir Grüne fordern seit Langem, dass menschenrechtliche und ökologische Kriterien viel stärker in die Vergabeprozesse bei UEFA und FIFA einfließen müssen. Andreas Rettig, der frühere Geschäftsführer des FC Sankt Pauli, hat vorgeschlagen, umweltpolitische Aspekte in die Lizenzvorgaben aufzunehmen und die Bundesliga zur nachhaltigsten, sozialsten Liga der Welt zu machen. Das finde ich gut, da gibt es viele Möglichkeiten. Muss beispielsweise am Nachmittag die Stadionbeleuchtung brennen, nur damit die Fernsehbilder ein bisschen besser sind? Ich habe da so meine Zweifel. Die Klimakrise ist radikale Realität, und sie macht auch vor dem Fußball nicht Halt. Jetzt braucht es Vereine und Verbände, die dafür brennen und vorangehen.

ballesterer: Sehen Sie die denn? Bei der Mehrheit der Vereine dominiert doch eher ein konservatives Denken, Stichwort Bratwurst. Da lässt sich Klimaschutz nur schwer verkaufen.

Roth: Vielleicht hätte ich Ihnen vor einigen Monaten noch Recht gegeben. Aber das Bewusstsein wächst. Eine ganze Generation begehrt auf, die Debatte dreht sich. Wer die Leidenschaft für den Fußball erhalten will, kann die Klimakrise nicht länger ausblenden. Und wer die Klimakrise ernsthaft bekämpfen will, muss nicht nur Umwelt und Klima, Wirtschaft und Soziales gemeinsam denken, sondern braucht auch Multiplikatoren. Der Fußball gehört dazu.

ballesterer: Sie haben eine Dauerkarte beim FC Augsburg. Wie ist Ihr Blick, wenn Sie ins Stadion gehen? Achten Sie auf so etwas wie die Mülltrennung?

Roth: Da geht es mir wie jeder und jedem: Erst einmal gehe ich als Fan in Stadion. Ich hocke dann auch nicht im VIP-Bereich, sondern habe eine normale Dauerkarte im Sitzplatzbereich. Aber natürlich lässt sich der politische Blick nicht gänzlich abstellen. Das Stadion in Augsburg ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ganz gut zu erreichen. Oft fahre ich mit meinem Hybrid, weil ich hinterher noch Termine habe, und siehe da: Am Stadion gibt es sogar Möglichkeiten zum Auftanken. Zumindest, wenn die Ladesäule gerade funktioniert. Was ich sagen will: Erste Schritte sind getan. Aber auch in Augsburg ist der Weg noch weit.

ballesterer: Braucht es mehr externe Hilfe für die Klubs, um auf gute Ideen zu kommen?

Roth: Zunächst braucht es eine glaubwürdige und mutige Politik, die den Ton angibt. Wir müssen auch die Verbände stärker in die Pflicht nehmen. Aber sicher wäre etwas gewonnen, wenn sich mehr Leute mit ökologischem Background auf den Fußball einließen und sich engagieren würden. Ich kenne die Hürden, aber es lohnt sich. (Nicole Selmer, 22.11.2019)