Wien – Mit "Es scheint, es fehlt wer" stellte Christoph Bauer, Vorsitzender des Schöffengerichts, am 19. Dezember 2016 das Offensichtliche nüchtern fest. Denn eigentlich sollte der Judoka und zweifache Olympionike Peter Seisenbacher im Großen Schwurgerichtssaal erscheinen, um sich in einem Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger zu verantworten. Der 59-Jährige zog es vor, unterzutauchen und zu den Vorwürfen zu schweigen. Am Montag gibt es nun einen neuen Versuch – fehlen wird Seisenbacher nicht, da am 14. September die Untersuchungshaft über das ehemalige Sportidol verhängt worden ist. Im Falle eines Schuldspruchs drohen zwischen einem und zehn Jahre Haft.

Den Vorsitz wird wieder Bauer führen, der den Prozess vor knapp drei Jahren auf unbestimmte Zeit vertagt hat. Tatsächlich wird er aber nicht einfach fortgesetzt, sondern neu durchgeführt werden, da durch eine justizinterne Zuständigkeitsverschiebung ein neuer Beisitzer notwendig geworden ist.

Ab Montag wird Peter Seisenbacher (hier im Jahr 2012 in London) vor Gericht sitzen.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Das Interesse an dem Fall ist zumindest in Österreich enorm: Medienvertreter aus mehreren Bundesländern haben sich angemeldet. Auch die 60 Platzkarten für die übrige Öffentlichkeit sind bereits vergeben, wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn auf Anfrage verrät.

Drei Fälle angeklagt

Drei Punkte umfasst die Anklage gegen Seisenbacher. Er soll sich in seiner Zeit als Judotrainer an zwei Unmündigen vergangen haben. Das erste mutmaßliche Opfer war erst neun Jahre alt. Seisenbacher war ein Bekannter des Vaters des Mädchens, sie begann in dem Verein zu trainieren, in dem auch der Angeklagte tätig war. Ab 1997 soll der damals 37 Jahre alte Seisenbacher begonnen haben, zudringlich zu werden, von 1999 an sei es dann zu geschlechtlichen Handlungen gekommen, sagt die Anklagebehörde.

Beim zweiten Missbrauchsfall geht es ebenfalls um eine Unmündige. Ab Sommer 2004 soll Seisenbacher mit einer 13-Jährigen, die er ebenfalls als Trainer der Kindergruppe kennenlernte, sexuelle Handlungen durchgeführt haben. Angezeigt wurden die angeklagten Vorfälle erst Jahre später. Zusätzlich soll Seisenbacher bei einem Sommerlager im Jahr 2001 eine 16-Jährige bedrängt haben.

Keine Reaktion des Verteidigers

Seisenbacher selbst hat sich seit Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2014 nie öffentlich dazu geäußert. Sein Verteidiger, der Grazer Rechtsanwalt Bernhard Lehofer, reagierte nicht auf eine STANDARD-Anfrage, ob sich sein Mandant "schuldig" oder "nicht schuldig" bekennen werde.

Auch nach seiner Flucht im Dezember 2016 beschäftigte Seisenbacher die Justiz. Vorsitzender Bauer stellte sofort einen Haftbefehl aus. Trotz weltweiter Fahndung blieb der damalige Nationaltrainer von Aserbaidschan sieben Monate verschwunden. Bis zum 1. August 2017, als er von der ukrainischen Polizei in einer Kiewer Wohnung festgenommen wurde. Die Veröffentlichung von Bildern der Festnahme, die Seisenbacher nur mit Unterhose bekleidet zeigten, brachte sowohl Heute als auch der Bild medienrechtliche Verurteilungen ein.

Mit der Ukraine folgte nach der Festnahme ein juristisches Tauziehen. Wegen des österreichischen Auslieferungsantrags wurde der Prominente zwar zunächst in Haft genommen, am 6. Oktober 2017 lehnte das ukrainische Justizministerium allerdings die Übergabe an Österreich ab – nach ukrainischem Recht waren die Delikte bereits verjährt. Allerdings wurde festgestellt, dass Seisenbacher gegen das Fremdenrecht verstoßen habe, und er wurde zur Ausreise aufgefordert – woraufhin er einen Asylantrag stellte. Dieser wurde im November des Vorjahres endgültig abgelehnt.

Ermittlungen wegen Begünstigung

Da sein Reisepass für ungültig erklärt worden war, saß der Ex-Sportler in der Falle, aus der er möglicherweise mithilfe eines österreichischen Judofunktionärs entkommen wollte. Im September 2019 versuchte Seisenbacher zwei Mal, mit einem verfälschten Pass dieses Funktionärs, gegen den wegen Begünstigung ermittelt wird, nach Polen einzureisen. Dabei wurde er erwischt und in Verwaltungshaft genommen. Als seine wahre Identität enthüllt wurde, willigte er ein, sich von Beamten des Bundeskriminalamts nach Wien bringen zu lassen.

Nicht rechnen kann Seisenbacher übrigens mit einer Strafreduktion wegen "überlanger Verfahrensdauer". Diesen Milderungsgrund gibt es nur, wenn Polizei oder Justiz gebummelt haben, und nicht, wenn man als Angeklagter den Prozess durch Flucht verzögert. (Michael Möseneder, 22.11.2019)