Im Gastkommentar sieht Heidi Glück, Kommunikations- und Strategieberaterin sowie ehemalige Schüssel-Pressesprecherin, in den aktuellen türkis-grünen Koalitionsverhandlungen ein günstiges Momentum, den Postenschacher zu beenden.

Georg Krakow hat in seinem Gastkommentar für einen transparenten Modus bei Personalbestellungen in Staatsunternehmen und einen Rückzug der Politik plädiert. Er ist überzeugt, dass die laufenden Regierungsverhandlungen die perfekte Gelegenheit dazu wären. Dem stimme ich zu. Hier geht es um eine Grundfrage am Schnittpunkt von Politik und Wirtschaft. Nach einem halben Jahrhundert Postenbesetzungen nach Parteienproporz ist die Zeit reif für echte Veränderungen. Die Gespräche zwischen ÖVP und Grünen sollten neue Weichenstellungen bringen. Warum?

Erstens: Man hat sich als gelernter Österreicher an den Postenschacher in Firmen mit Staatsanteil gewöhnt, aber noch nie wurde die gelebte Praxis der parteipolitischen Jobvergabe so offensichtlich wie im jetzt bekannt gewordenen Chatverlauf zwischen den Akteuren. Diese unfreiwillige Transparenz dabei, wie es wirklich läuft, erinnert an das Ibiza-Video. Nach der virtuellen Realität der Strache-Fantasien kommt jetzt die echte Realität dieses Posten-Pokers ans Tageslicht.

Empörte Wähler

Zweitens: Die Menschen und die Medien reagieren darauf nicht mehr mit zynischer Gleichgültigkeit. Dass die Wähler sich das nicht mehr bieten lassen wollen, hat schon die Nationalratswahl gezeigt, in der die FPÖ – die wieder im Mittelpunkt der Geschichte steht – massiv abgestraft wurde. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Tatsache, dass mit dem FPÖ-Bezirkspolitiker Peter Sidlo ein offensichtlich für die Funktion nicht Qualifizierter den Job bekommen hat. Jahresgehalt bis zu 800.000 Euro. Auch das empört.

Drittens: Die Voraussetzungen für Reformen in den Bestellungsverfahren sind besser, als sie je waren. Warum? Weil die ÖVP gerade die neue Koalition mit den Grünen verhandelt. Die Grünen haben – auch mangels Gelegenheit – bei Postenvergaben in der Republik bisher nie eine Rolle gespielt, weil sie 33 Jahre nur Opposition waren, zuletzt sogar nur noch außerparlamentarische. Die Grünen sind also in dieser Sache die Partei der Unschuld und die Partei, die immer objektive Personalauswahl und transparente Verfahren gefordert hat. Das müssen sie jetzt in den Verhandlungen mit der ÖVP einbringen, wenn sie ihre Grundsätze nicht verraten wollen, und sich der Gefahr aussetzen, dass sie Wähler verlieren.

Objektivierte Postenvergabe

Aber: Dass Parteien oder Regierungsstellen Posten an Schaltstellen vergeben, ist nicht nur ein Postenroulette. Jeder Eigentümer, auch die Republik, muss sich um Personal kümmern, dem er vertrauen kann, dass seine Ziele umgesetzt werden. Gesetze und Verordnungen, die nur auf dem Papier bestehen, erfüllen ihren Zweck nicht. Es braucht Personen mit fachlichem Know-how, Erfahrung und Managementqualitäten, die das in der Praxis umsetzen. Das können durchaus parteikompatible Personen sein, wenn sie die Qualifikation erfüllen und wenn die Besetzung transparent nach klaren Kriterien abläuft. Dazu müsste die Politik aber auch den Mut und den Willen haben, das ordentlich zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Das, was Besetzungen zum vielkritisierten Postenschacher macht, ist nämlich nicht die Tatsache, dass man die Funktionen mit guten Frauen (leider zu selten) und Männern besetzt, sondern dass es wie eine geheime Mauschelei im Hinterzimmer abläuft. Oder neuerdings via Whatsapp.

Was also muss jetzt passieren? Auch die ÖVP muss in Zukunft für eine objektivierte Postenvergabe im öffentlichen Bereich eintreten. Das würde zum Kurz-Mantra passen, Österreich durch Reformen besser zu machen. Personalentscheidungen müssen im Sinne der Unternehmen für die Besten ausgehen – mit transparenten Verfahren. Sie dürfen die Unternehmen nicht beschädigen. Das Primat der Parteifarbe vor der Qualifikation muss sich umkehren. Nicht der oder die Eigene, sondern der oder die Beste soll bestellt werden. Auswahlverfahren brauchen eine nachvollziehbare objektive Komponente und nicht nur die Alibi-Einbindung von Headhuntern. Es wäre eine historische Leistung von Türkis-Grün, dem Parteienproporz einen Riegel vorzuschieben. Das wäre eine neue Politik, die sich auch dem Wähler „verkaufen“ lässt.

Zwei Megaproblemstellungen

Die Republiksanteile an staatsnahen Firmen repräsentieren einen Wert von mehr als 30 Milliarden Euro. Dass hier die fähigsten Manager gesucht werden müssen – sicherlich auch mit internationalen Ausschreibungen – ist ein Muss. Die Alternative wäre die vollständige Privatisierung von OMV, Casinos, Post et cetera, was die Politik aber nicht will. Bei der strategischen Grundversorgung ist die Rolle des Staates durchaus sinnvoll, aber muss er auch ein Kasino betreiben?

Welche Aussichten haben die aktuellen Koalitionsverhandlungen? Österreich steht derzeit vor zwei Megaproblemstellungen, die zu bewältigen sind: einerseits die Wahrung des Wohlstands trotz der vorausgesagten wirtschaftlichen Probleme. Andererseits der Klimawandel, also die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Natur und Umwelt. Diese Themen stehen in einem gewissen Widerspruch – Stichwort Ökonomie gegen Ökologie. Niemand ist prädestinierter als die Wirtschaftspartei ÖVP und die Umweltpartei die Grünen, diese Lager zu versöhnen. Deshalb wäre diese Koalition die logische Antwort auf diese Problemlage. Dazu braucht es Pragmatik statt Ideologie, wirtschaftliche Verantwortung statt der Anbetung der reinen Lehre.

Macht schmeckt süß: Eine bürgerlich-grüne Regierung in Österreich wäre ein Signal für ganz Europa.
Foto: STANDARD/Matthias Cremer

Genügend Stolpersteine

Es gibt genügend Stolpersteine. Programmatisch sind die Gräben tiefer als atmosphärisch. Aber eine bürgerlich-grüne Regierung in Österreich wäre ein Signal für ganz Europa. Sebastian Kurz hat eine attraktive und zwei unattraktive Möglichkeiten. Mit der FPÖ ist eine Zusammenarbeit nach der Entwicklung seit dem 17. Mai kaum denkbar. Die SPÖ zu nehmen würde heißen, einen Komapatienten wachzuküssen. Das kann strategisch nicht im Interesse der Volkspartei sein.

Bei allen ideologischen Differenzen von Bildung über Standortfragen bis Migration und Sozialpolitik wird letztlich der Wille, gemeinsam etwas zu schaffen, entscheidend sein. Kompromisse sind überall denkbar, wenn guter Wille herrscht. Und das Commitment zu einem innovativen Projekt. Letztlich geht es auch für die Grünen um einen Durchbruch zu neuen Ufern. Auch Werner Kogler und Co ahnen, dass die Macht süß schmeckt. (Heidi Glück, 22.11.2019)