Boliviens gestürzter Staatschef Evo Morales hat der Übergangspräsidentin Jeanine Áñez die Errichtung einer "Diktatur" vorgeworfen.

Foto: APA/AFP/PEDRO PARDO

La Paz – In Bolivien hat die Polizei am Donnerstag Tränengas gegen die Teilnehmer eines Trauerzugs eingesetzt, der in eine regierungskritische Demonstration umgeschlagen war. Tausende Menschen beteiligten sich an der Gedenkveranstaltung für fünf bei Ausschreitungen am Dienstag getötete Angehörige einer indigenen Gruppe.

Am San-Francisco-Platz in der Nähe des Parlaments in der Hauptstadt La Paz löste die Polizei die Versammlung auf. Die Teilnehmer des Trauerzugs, die zum Gedenken an die Todesopfer von der Stadt El Alto in die Hauptstadt gekommen waren, wichen in Seitenstraßen aus. Im nahegelegenen Kongress fanden inzwischen Beratungen über eine angekündigte Neuwahl statt.

Vorwurf der Willkür

Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften waren am Dienstag acht Angehörige eines indigenen Volksstammes getötet worden. Demonstranten warfen der Polizei vor, willkürlich auf Protestteilnehmer geschossen zu haben. Die Interimsregierung von Übergangspräsidentin Jeanine Áñez wies die Verantwortung für die Todesfälle zurück.

Bild nicht mehr verfügbar.

Anhänger gehen für ihren Ex-Präsidenten Morales auf die Straße. Sie trugen Särge mit den sterblichen Überresten von mehreren Opfern der jüngsten gewalttätigen Zusammenstöße
Foto: AP Photo/Natacha Pisarenko

Áñez hatte vergangene Woche ein Dekret erlassen, wonach die Armee die Polizei dabei unterstützen kann, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Soldaten werden laut dem Erlass vor Strafverfolgung geschützt. Menschenrechtsgruppen kritisierten den Erlass scharf.

Der inzwischen im Exil in Mexiko lebende, Anfang November gestürzte Staatschef Evo Morales warf den Sicherheitsbehörden einen "Genozid" an seinen indigenen Unterstützern vor und rief die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.

Morales-Vorwürfe

Seiner Nachfolgerin Áñez warf Morales in einem Interview mit dem "Spiegel" die Errichtung einer "Diktatur" vor. In einem "Spiegel"-Interview machte Morales die "Putschisten" für die mehr als 30 Toten der jüngsten Unruhen in seinem Heimatland verantwortlich. "Bis zu meinem Rücktritt haben Polizei und Streitkräfte nicht einen einzigen Menschen erschossen", sagte Morales.

Für einen nationalen Dialog zur Beilegung der Unruhen in dem südamerikanischen Krisenstaat stellte Morales drei Bedingungen. Zunächst müsse eine Kommission eingesetzt werden, "die die Verantwortlichen für Morde an unseren Unterstützern benennt". Zweitens müssen die verfassungsmäßigen Rechte von Angeklagten gewahrt werden. Außerdem müssten die "Morde" aufhören.

Neuwahlen geplant

Interimspräsidentin Áñez will nun Neuwahlen organisieren. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird derzeit im Parlament des südamerikanischen Landes diskutiert. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) forderte in einer Resolution zuletzt ein sofortiges Ende der Gewalt und baldige Neuwahlen. (APA/AFP, dpa, red, 21.11.2019)