Sogar wenn man Sophie Rois nicht leibhaftig trifft, ist sie ein Feuerwerk. Das wird einem sofort klar, wenn sie ihr Telefon abhebt. Was für ein Hallo, zumal die Redakteurin aus demselben Ort bei Linz kommt, in dem Rois als „Provinzblume“, wie sie sagt, aufgewachsen ist. Dorthin kommt sie nur selten. Aber Ottensheim und ein paar Erinnerungen an früher – das trifft sich alles gut. Denn das Programm, mit dem die österreichische Schauspielerin, die schon lange in Deutschland lebt und dort vor allem seit 1993 an Frank Castorfs Volksbühne Furore gemacht hat, den Wiener Rabenhof beehren wird, ist nicht nur ein Trip nach Great Britain.

Have a Cup of Tea mit Sophie Rois ist vor allem ein Ausflug in ihre Jugend. „Ach, wie toll!“, sagt sie mit dieser unglaublich rauen Stimme, und man spürt, dass ihre geballte Energie bis ans andere Ende der Telefonleitung strömt. Großes Theater!

Sophie Rois: "Ich bin in der Ära des Punk aufgewachsen, als endlich Schluss war mit den zehnminütigen Gitarrensoli und man den fröhlichen Sex-Appeal der zwei Powerchords zu spüren bekam."
Foto: Ulrike Schamoni

STANDARD: Frau Rois, trinken Sie Tee?

Rois: Tea in the morning, tea in the evening, tea at supper time. Selbstverständlich, warum sonst sollte ich zum Tee einladen. Tea when it’s raining, tea when it’s snowing, tea when the weather is fine.

STANDARD: Ist „Abwarten und Tee trinken“ so ein Spruch, den Sie beherzigen?

Rois: Abwarten ist noch wichtiger als Tee trinken. Ich empfehle – falls es jemanden interessiert – schlafen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Tee trinken, knutschen, rauchen, scherzen, in der Nase bohren und wieder schlafen. Meine Eltern haben mir keine Weisheiten mit auf den Lebensweg gegeben, aber einen Spruch von meiner Mutter hab ich mir gemerkt: „Nur die unangenehm Verrückten sind nicht faul!“

STANDARD: Den direkten Eindruck, Sie wären faul, bekommt man nicht.

Rois: Na ja, faul abwechselnd mit kurzen Phasen heftiger Aktivität, da muss dann etwas gemacht werden, eine Vorstellung gespielt, ein Interview gegeben werden. Kurz und heftig macht’s schon Freude.

STANDARD: Sie werden Storys und Songs im Rabenhof zum Besten geben. Weil es um Großbritannien geht, wollte ich Sie fragen: Beatles oder Rolling Stones?

Rois: Wenn Sie mich fragen „Beatles oder Rolling Stones?“, sage ich Ihnen: The Kinks! Der Junge, der mir damals The Kinks vorgespielt hat, mit dem war eine Begegnung unausweichlich – und doch selbstgewählt. Die erste entscheidende Prägung nach dem Elternhaus. Da ging es bei weitem nicht nur um eine Platte von den Kinks, sondern um einen eigenen Zugang zum Leben, eine Haltung, einen Humor und einen eigenen Zugriff auf Literatur und Musik. So etwas gibt es, die Tür geht auf, und da steht jemand, und du weißt: Jetzt fängt was an, was sich „Leben“ nennen kann, das ist das Leben, runter von der Pausetaste. Das Vorzimmerdasein hat ein Ende, und du wirst in den Salon gebeten. Und diese Musik begleitet mich seit damals, seit ich sechzehn war. Auch der Erzählband, aus dem ich lese, Erste Liebe, letzte Riten von Ian McEwan ist im englischen Original Mitte der Siebziger erschienen. Für mich ist dieser Band das Beste, was er geschrieben hat. So scharf und so präzise, so brutal und so zärtlich. Diese Songs und Texte sind so zutiefst englisch oder zumindest das, was ich damit verbinde. Die Geschichten zielen nicht aufs allgemein Menschliche, sondern sind ganz konkret in der sozialen Wirklichkeit, in der sie spielen, verhaftet. Das heißt in Großbritannien ja noch einmal ganz etwas anderes, weil die Klassengesellschaft dort so ausgeprägt ist, dass man ein anderes Bewusstsein für seine Existenz entwickeln muss.

STANDARD: Anders als bei uns?

Rois: Ja, das war auch das Vergnügen beim Lesen. Das eigene Leben in der Differenz zum anderen erkennen. Ich hätte nichts über eine Jugend in Oberösterreich lesen wollen, die hatte ich ja selber. Man spürt in diesen Texten schon stark die Thatcher-Ära. Die Härte der Welt der Erwachsenen und diese Jugendlichen, um die es da geht, spiegeln diesen Zynismus und spielen den Ball zurück – so: „So geht’s? Das wollt ihr haben? Kann ich besser!“ Hier wird nicht gejammert, nicht angeklagt, keiner tut sich leid, hier heißt es: „Face it, so ist es, mach was draus!“ Und weil er kein Kitschbolzen ist, erfasst der McEwan dann Momente von Intimität, Zuneigung und Zärtlichkeit umso genauer. In der Titelstory Erste Liebe, letzte Riten: Der Sex zwischen den Jugendlichen, der zielt nicht so blöd auf die Vollstreckung ab wie bei den Erwachsenen. Das ist so schön geschrieben, gefangen in einem Sommernachmittag, die Zeit bleibt stehen, und alles ist Fummeln und Tasten, Rummachen und Schleim und sonst was. Man ist kein Kind mehr, kann schon Sachen ausprobieren, aber es ist eben auch so vieles noch nicht entschieden, offen. Ja, es geht um „Unschuld, Inzest und Klassengesellschaft“, so steht es in der Programmankündigung, das bringt es ganz gut auf den Punkt.

STANDARD: Was löst das Wort Punk in Ihnen aus?

Rois: Ich bin in der Ära des Punk aufgewachsen, als endlich Schluss war mit den zehnminütigen Gitarrensoli und man den fröhlichen Sex-Appeal der zwei Powerchords zu spüren bekam. Was mir damals keineswegs klar war: Das hat mein Leben entscheidend geprägt. Punk als Haltung, dieses Prinzip von Selbstermächtigung, das habe ich auch an der frühen Volksbühne gefunden – zu meiner grenzenlosen Überraschung, damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet, dass es am Theater solche Leute gibt, die so frei in der Birne sind und nicht verzweifelt an ihrer Bedeutsamkeit herumbasteln, sondern in der Lage sind, künstlerische Statements rauszuhauen, schnell, packend und vergänglich, jenseits der Meisterschaften und Akademien.

STANDARD: Das klingt alles so, als hätten Sie eine große Affinität zu Großbritannien. Ich habe gelesen, dass Sie da gar nicht oft waren.

Rois:(lacht) Nein, ich war da kaum, einmal drei Tage zum Drehen, einmal einen Tag in London, einmal zwei Tage in Bristol und einmal zehn Tage in Irland. Das war’s auch schon. Aber mein damaliger und langjähriger Linzer Freund kam aus etwas privilegierteren Verhältnissen als ich, und der wurde damals schon zum Schüleraustausch nach London geschickt, und der brachte 1976 Anarchy in the UK mit nach Hause. Meine ganze Liebe zum Englischen ist über diesen Jungen gelaufen. Ich mache ja auch eine Lesereihe mit Somerset-Maugham-Texten, und McEwan hat wiederum für Erste Liebe, letzte Riten den Somerset-Maugham-Preis bekommen. Den Briten Eric Ambler liebe ich zu lesen. Sowohl Ambler als auch Ray Davies von den Kinks haben eine Autobiografie herausgebracht. Aber beide haben sie in fiktionaler Form geschrieben, als echten Briten ist es ihnen zutiefst zuwider, so ein Bekenntnis abzuliefern. Weil, wie Ambler sagt: „Nur ein Narr meint, er könne die Wahrheit über sich sagen.“ Ich habe Davies Mitte der 90er gesehen, als er auf Tour war, um sein Buch zu verkaufen. Zwei Gitarren, ganz reduziert, er sang und las aus seinem Buch. Diese kleine Vaudeville-Show war so bestechend. Das war das Vorbild für unsere Show. Nur leider ohne Ray Davies, dafür mit seinen Songs, den schönsten und englischsten. Die sind entstanden Ende der 60er, als die Kinks wegen Querelen mit der Gewerkschaft nicht in den USA touren konnten und Ray Davies zu Hause saß und England besang. Queen Victoria und the Last Of The Steam Powered Trains und Pictures In The Sand malte. Von der Village Green Preservation Society wurden damals 2000 Stück verkauft. Heute ist das ein legendäres Album.

STANDARD: Ihr Kleidungsstil ist auch very british …

Rois: Oh, mit Schmeicheleien kann man bei mir viel erreichen, wissen Sie das. Im Ernst, was war noch einmal die Frage?

STANDARD: Die nach den modischen Präferenzen.

Rois: Wenn es mir gelingt, halbwegs auszusehen wie Ray Davies oder zumindest wie eine Schwester von ihm, bin ich zufrieden. Immer, wenn ich Fotos machen lasse, suche ich welche von Davies raus und sage: So möchte ich ausschauen!

STANDARD: Wollten Sie damals auch Sängerin in einer Band werden?

Rois: Ich singe bei jeder Gelegenheit, auch gern ohne Band und Publikum, zu Hause, allein, mit Freunden, mit Adventkranz, im Bett, im Wald, auf der Bühne, auf dem Fahrrad, den ganzen Tag.

STANDARD: Beschäftigt Sie denn der Brexit?

Rois: Ach, ich höre die üblichen Nachrichten. Einer aus unserer „Band“ ist ja tatsächlich aus England, Mark McRae, der lebt hier in Berlin-Kreuzberg, der macht sich schon Sorgen.

STANDARD: Wenn wir über England sprechen, dürfen wir die Royals nicht ganz vergessen.

Rois: Schade, seit sich Prinz Philip aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, hört man nicht mehr viel Amüsantes. Aber die Queen ist und bleibt Stilikone. Oh ja, das Königsfach, toll! Ich habe schon eine englische Königin gespielt, eine Elisabeth, die von Richard III., eine menschenfressende Klytämnestra, Brunhilde war auch eine Königin ...

STANDARD: Fans nennen Sie „Rois Rolls“ – nach der britischen Luxusautomarke Rolls-Royce. Sind Sie als „Punk at Heart“ schon in einem gefahren?

Rois: Nein, nein! Ich bin Rois Rolls! Ah, jetzt fällt mir ein: Ich bin einmal auf einem gesessen, ich hoffe, ich habe keinen Kratzer gemacht.

(Mia Eidlhuber, ALBUM, 23.11.2019)