Wenn am Samstag die Einwohner einer südpazifischen Insel mit der Abstimmung über ihre Zukunft beginnen, setzen sie damit einen friedlichen Schlusspunkt für einen jahrzehntelangen Sezessionskonflikt mit tausenden Toten und schaffen möglicherweise die Grundlage für die Entstehung eines neuen Staates: Bougainville.

Zwei Wochen lang – bis zum 7. Dezember – läuft das Unabhängigkeitsreferendum. Die 206.731 Wahlberechtigten der nördlichsten der Salomon-Inseln sollen dabei die Frage beantworten: "Sind Sie einverstanden, dass Bougainville (1) eine größere Autonomie (2) die Unabhängigkeit erhalten soll?"

Bougainville? Dieser Name ist einer breiten Mehrheit gewiss nicht geläufig. Botanisch Interessierte kennen eventuell Bougainvillea, doch die als "Drillingsblume" bekannte Bougainvillea stammt nicht von der Insel, sondern ist wie diese nach dem Seefahrer und Entdecker Louis Antoine de Bougainville benannt. Dieser umsegelte als erster Franzose die Welt, entdeckte dabei die Insel im Jahr 1768 erneut und gab ihr, beeindruckt von ihrer Schönheit, seinen Namen.

Der erste Europäer, der Bougainville betrat, war genau zweihundert Jahre zuvor der Spanier Álvaro de Mendaña y Neira. Dieser gab dem Archipel aus mehr als tausend Inseln den Namen Salomon-Inseln. Deren nördlichste Gruppe mit Bougainville gehört zu dem seit 1975 unabhängigen Staat Papua-Neuguinea, der Rest bildet den Staat der Salomonen.

Schwierige Organisation

Bis zum Referendum war es ein weiter Weg, und auch mit einer Mehrheit für die Unabhängigkeit wäre der Weg noch nicht zu Ende. Das Referendum ist nicht bindend, das bedeutet, dass die Letztentscheidung bei der Regierung Papua-Neuguineas liegt.

Grundlage für das Votum ist das "Bougainville Peace Agreement", das im Jahr 2001 unterzeichnet wurde. Darin werden drei wesentliche Etappen des Friedensprozesses festgeschrieben: Autonomierechte für Bougainville, eine Entwaffnung der Rebellen und ein Referendum, bei dem zumindest eine Antwortmöglichkeit die Unabhängigkeit ist.

Informationen zum Referendum liegen in einem Wahllokal in Buka auf.
Foto: APA/AFP/Kerton

Ursprünglich war die Abstimmung für 15. Juni geplant, ein Jahr vor dem letztmöglichen im Friedensabkommen beschlossenen Datum. Dann wurde der Termin des Referendums wegen offener Fragen zur Finanzierung erst auf 17. Oktober verschoben, schließlich auf 23. November. Damit sollte sichergestellt werden, dass auch außerhalb der autonomen Region lebende Bougainviller mitstimmen können. Für die Organisation des Referendums wurde eigens eine Kommission eingesetzt. Als deren Chef fungiert der ehemalige irische Taoiseach Bertie Ahern. Die Kommission musste sich einigen Herausforderungen stellen: Ein bedeutender Teil der Bevölkerung lebt in schwer zugänglichen Dörfern im Landesinneren. Die Wahlberechtigten sind zur Hälfte Analphabeten, und Begriffe wie Referendum bedürfen zunächst einer Erklärung.

Die Flagge der autonomen Region Bougainville zeigt einen traditionellen Upe-Kopfschmuck.
Foto: APA/AFP/Kerton

Bougainvilles Präsident John Momis erklärte am Donnerstag, wie schon bei den Verhandlungen zum Friedensabkommen habe die nationale Regierung und Bougainville nun "das seltene Privileg, etwas Neues zu entwickeln". "Wir haben hart gearbeitet, die drei Säulen des Friedensabkommens einzuhalten und umzusetzen: Autonomie, Waffenabgabe und Referendum", schrieb Momis. Er appellierte, weiterhin den Frieden hochzuhalten – "für alle Zeiten, die da kommen".

Ahern rief die Bougainviller dazu auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen: "Jetzt ist die Zeit, hinauszugehen, gebt eure Stimme ab. (...) Aber wir rufen jeden dazu auf, den Prozess zu respektieren und zu genießen, dieses Referendum als einen weiteren wichtigen Schritt in Bougainvilles Friedensprozess zu sehen."

Wahlwerbung für die Unabhängigkeit in Buka.
Foto: APA/AFP/Kerton

Bis zum 7. Dezember können die Bougainviller nun über ihre Zukunft abstimmen, und eine Zustimmung zur Souveränität wird als wahrscheinlich gesehen. Um den 20. Dezember herum ist mit einem Ergebnis zu rechnen. Diese Wartezeit ist kurz im Vergleich zur langwierigen Vorgeschichte des Kampfes um die Unabhängigkeit.

Langer Kampf um Selbstbestimmung

Schon seit der Unabhängigkeit Papua-Neuguineas gibt es auf Bougainville eine Sezessionsbewegung. Tatsächlich erklärte Bougainville sich bereits am 1. September 1975 als "Republik der Nord-Salomonen" für souverän, während Papua-Neuguinea erst am 16. September 1975 von der Kolonialmacht Australien unabhängig wurde. Das australische Parlament hatte freilich zuvor das Unabhängigkeitsgesetz für Papua-Neuguinea beschlossen, das Gebiet Bougainvilles inklusive. Die "Republik der Nord-Salomonen" erhielt folglich keine internationale Anerkennung und wurde bereits im folgenden August in Papua-Neuguinea eingegliedert.

Ein Prüfstein für die Zukunft wird der Umgang mit den Schürfrechten auf Bougainville sein. Schon seit den 1960er-Jahren wurde auf Bougainville im großen Stil Bergbau betrieben. 1972 schließlich wurde mit der Panguna-Mine der weltgrößte Kupfertagebau eröffnet. Als Betreiber war Bougainville Copper Limited verantwortlich, ein Ableger des britisch-australischen Bergbaugiganten Rio Tinto. Die Mine verursachte massive Umweltzerstörungen auf der Insel, Flüsse wurden vergiftet, sogar Fehlbildungen bei Neugeborenen wurden auf Panguna zurückgeführt. Soziale Spannungen zwischen Australiern, Bergarbeitern aus anderen Regionen Papua-Neuguineas und der einheimischen Bevölkerung führten zu Konflikten. Die Gewinne durch die Kupfermine blieben jedoch nur zum kleinsten Teil in Bougainville.

Aufstand gegen Kupfermine

Im Jahr 1988 kam es unter der Führung von Francis Ona zum bewaffneten Aufstand. Ona war einst selbst Angestellter der Panguna-Mine und hatte auch ein Stück Land in Panguna. Gemeinsam mit anderen fühlte er sich nicht von der Vereinigung der Landbesitzer Pangunas (Panguna Landowners Association, PLA) vertreten und gründete die Neue PLA. Diese erhob Forderungen nach einer Entschädigung für die Umweltzerstörungen und eine fünfzigprozentige Gewinnbeteiligung. Nachdem die Neue PLA keine Fortschritte erreichte, gründete Ona die Revolutionäre Armee Bougainvilles (BRA).

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Die Panguna-Kupfermine auf einem Satellitenbild.
Foto: Reuters

Die BRA führte Sabotageakte gegen die Panguna-Mine durch: Aus den Lagern des Betriebes wurde Sprengstoff gestohlen, mit dem die Stromversorgung zerstört wurde. Bereits 1989 musste die Mine geschlossen werden. Papua-Neuguinea schickte zuerst Polizisten, dann die Armee, um den Aufstand niederzuschlagen, und verhängte den Notstand. Menschenrechtsverletzungen durch die Truppen führten jedoch zu weiterem Zulauf für die BRA.

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Francis Ona startete den bewaffneten Aufstand.
Foto: AP

Die Regierung zog schließlich die Schutztruppen aus dem Gebiet der Mine zurück. Ona erklärte die Unabhängigkeit Bougainvilles und sich selbst zum Regierungschef. Doch auf Bougainville starteten verschiedene Clans nun einen Kampf um die Macht. In den Neunzigerjahren versuchte Papua-Neuguinea mehrfach, die Kontrolle auf Bougainville wiederzuerlangen.

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Ishmael Toroama war einer der Anführer der Aufständischen auf Bougainville. Im Jahr 2002 übergab er seine Waffen im Rahmen der Abrüstung in der Folge der Friedensvereinbarung.
Foto: Reuters/Bougainville Peace Monitoring Group

Sandline-Affäre

Höhepunkt dieser Bestrebungen war die sogenannte Sandline-Affäre. Papua-Neuguineas Regierungschef Julius Chan wollte die Rebellen unter Ona und Joseph Kabui zu einem Abkommen und der Anerkennung einer moderaten Übergangsregierung bewegen, blieb jedoch erfolglos. Daraufhin ordnete er eine Invasion an – hierfür verweigerten ihm aber die Regionalmächte Australien und Neuseeland die Unterstützung. Ein Versuch der Armee Papua-Neuguineas, Bougainville zu erobern, scheiterte innerhalb von sechs Tagen.

Regierungssturz wegen Söldneranwerbung

Chan heuerte deshalb im Jahr 1997 heimlich Söldner der Londoner Sicherheitsfirma Sandline International an. Sandline war vom ehemaligen britischen Armeeoffizier Tim Spicer gegründet worden und bot Waffen sowie Söldner für bewaffnete Konflikte an. Ein Trupp von britischen, australischen und südafrikanischen Söldnern sollte für 36 Millionen Dollar auf Bougainville für Ordnung im Sinne der Regierung sorgen. Doch der Plan wurde australischen Medien zugespielt. Daraufhin revoltierte die Armee Papua-Neuguineas und nahm 44 bereits im Land befindliche Söldner fest. Chan musste schließlich zurücktreten, sein Nachfolger Bill Skate hingegen war mit den Friedensbestrebungen erfolgreicher und verhandelte bereits ein Jahr nach der Sandline-Affäre einen Waffenstillstand und vorläufigen Friedensvertrag für Bougainville aus. In den zehn Jahren von 1988 bis 1998 kamen in dem Bürgerkrieg 15.000 Menschen ums Leben.

Am 6. November trafen in Vorbereitung des Referendums einstig erbitterte Feinde – Polizisten Papua-Neuguineas und Rebellen aus Bougainville – in der Stadt Kokopo auf der Insel Neubritannien zu einer Versöhnungszeremonie aufeinander.
Foto: APA/AFP/Vuvu

Francis Ona hatte sich stets gegen die Verhandlungen über die Autonomie und das Referendum eingesetzt. Seiner Ansicht nach war Bougainville ja schon längst unabhängig, er hatte schließlich die "Republik Me'ekamui" ausgerufen und sich 2004 sogar selbst zum "König von Me'ekamui" ernannt. Onas einstiger Mitkämpfer und nunmehriger Gegenspieler Kabui gewann 2005 die ersten Wahlen im autonomen Gebiet und wurde der erste Präsident der autonomen Regierung Bougainville. Ona starb wenige Woche später an Malaria. Bis zu seinem Tod kontrollierte er das Gebiet um die Panguna-Mine.

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Noch ist die Kupfermine in Panguna stillgelegt. Dies dürfte sich bald ändern.
Foto: Reuters

Auch heute noch steht die Mine still. Doch hier lagert eines der größten Kupfer- und Goldvorkommen der Welt im Wert von dutzenden Milliarden Euro – finanzielle Mittel, die Bougainville gut gebrauchen könnte. Das Vertrauen, mit internationalen Bergbaukonzernen zu einem fairen Deal zu kommen, ist freilich enden wollend. Zwar ist noch offen, wer schließlich künftig die Schürfrechte erhalten wird. Ein Interessent scharrt jedenfalls bereits in den Startlöchern: China möchte seinen Einfluss im Südpazifik ausbauen und lockt Bougainville mit großangelegten Infrastrukturprojekten. (Michael Vosatka, 22.11.2019)

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Mit einem Handschlag besiegeln Michael Somare, Papua-Neuguineas Minister für Bougainville, und Joseph Kabui, Präsident der Unabhängigkeitsbewegung "Volkskongress von Bougainville", in Port Moresby das Ende eines zwölf Jahre dauernden Aufstandes gegen Papua-Neuguinea. In der Folge werden Bougainville Autonomierechte zugestanden, Kabui wird der erste Präsident der autonomen Provinz.
Foto: Reuters