Der Fall Bloch-Bauer sorgte damals wie heute für „gewaltige Unruhe“. Im November 1940 rapportierte der Leiter des Bundesdenkmalamts (BDA) diese Stimmungslage an Hans Posse, der von Adolf Hitler als „Sonderbeauftragter für Linz“ eingesetzt worden war. Denn gleich mehrere Museumsdirektoren geiferten um die besten Stücke aus Ferdinand Bloch-Bauers umfangreicher Kunstsammlung.
Am 15. März 1938 war der Großindustrielle nach Prag geflohen, am 27. April leitete die Strafabteilung der Steueradministratoren ein Verfahren ein, am 14. Mai erließ man den sofort vollstreckbaren Sicherstellungsauftrag. Zack, zack, zack. Unter dem Vorwand angeblicher Steuerrückstände beschlagnahmte man Vermögenswerte sehr flott. Sobald Kunstwerke und Antiquitäten im Spiel waren, setzte sich nahtlos die Verteilungs- und Verwertungsmaschinerie in Gang.
Das eint den Fall Bloch-Bauer mit vielen anderen in der NS-Zeit entzogenen Sammlungen. Im Unterschied zu anderen Causen ist diese aber nicht abgeschlossen: trotz intensiver Forschung, trotz Rückstellungsvergleichen in den Nachkriegsjahren und trotz einiger Restitutionen seit 1999. Denn, wie berichtet (siehe Artikel Bloch-Bauers vergessenes Porzellan), wurde die Zerschlagung der legendären Porzellansammlung Ferdinand Bloch-Bauers, der 1945 im Schweizer Exil verstorben war, nie restlos geklärt.
In Museen fanden sich nur 50 Objekte
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten seine Erben, Robert Bentley, Louise Gattin und Maria Altmann, den befreundeten Rechtsanwalt Gustav Rinesch mit der Suche nach der Kunstsammlung beauftragt. Von den rund 450 Porzellanobjekten fanden sich nur knapp 50 in öffentlichem Besitz: etwa in den städtischen Sammlungen, die seinen Erben 15 Objekte gegen Rückerstattung des Kaufpreises retournierten.
34 weitere im „Staatlichen Kunstgewerbemuseum in Wien“ (heute Mak), 20 verblieben dort als Widmung (1999 restituiert), ebenso 14 weitere, für die das Museum den Erben Dubletten aus dem Bestand überließ. Für diese 14 empfahl der Kunstrückgabebeirat – unter der Voraussetzung der Rückgabe oder Abgeltung der damaligen „Gegenleistung“ – 2015 die Restitution. Die Tauschobjekte dürften teils längst verkauft worden sein.
Der Rest der Sammlung, also etwa 400 Objekte, war 1941 über das Auktionshaus „Kärntnerstraße“ in anonymen Privatbesitz gewechselt. Rinesch bemühte sich auch um die Auffindung dieser, jedoch mit bescheidenem Erfolg. Wie berichtet, kaufte er einem gewissen Walter Schmeil gegen Refundierung der Zuschlagspreise 29 Objekte ab, die in weiterer Folge unter den Erben aufgeteilt wurden. Dazu dürfte er vereinzelt noch andere Porzellane aufgespürt haben. In welchem Umfang ist nicht bekannt.
Empörung bei "Lempertz"
Die Anzahl der Porzellane, die die Kunsthändlerin Elisabeth Sturm-Bednarczyk ihren Angaben zufolge seit Mitte der 1980er-Jahre von diversen Mitgliedern der Erbengruppe erwarb, überschreitet jene der restituierten zweifelsfrei. Darunter war auch jenes 1799 datierte Tassenpaar, das Ende vergangener Woche beim Auktionshaus Lempertz in Köln zum Aufruf kam. Laut Katalogangaben sei es einst an die Erben „restituiert“ und von der Kunsthändlerin an die aktuelle Einbringerin verkauft worden.
Ein Hinweis oder ein Beleg für eine Restitution fand sich trotz intensiver STANDARD-Recherchen nicht. Selbst Sturm-Bednarczyk hatte das auf Anfrage im Vorfeld verneint. Ihrer Meinung nach handle es sich um eines jener Exemplare, die ein Anwalt 1941 für Ferdinand Bloch-Bauer ersteigert haben soll, womit sie später in den Besitz der Familie kamen. Diese Herkunft dürfte Lempertz missverstanden und daraus eine Restitution interpretiert haben.
Das Auktionshaus reagierte empört und forderte die Löschung des Artikels von der STANDARD-Website: Denn es sei nicht explizit darauf hingewiesen worden, „dass der Verkauf in der Auktion rechtlich und moralisch unbedenklich ist“. „Der Durchschnittsleser der Zeitung“ könnte deshalb einen falschen Eindruck gewinnen – „dass wir Raubkunst versteigern“, präzisierte der Lempertz-Chef in einem Telefonat.
Verkauf und Besitz legitim
Ein Artikel, der die prominenteste Raubkunst-Causa Österreichs in Erinnerung ruft, gehörte im Vorfeld einer Auktion nicht zu der vom Kunsthandel goutierten Form der Berichterstattung. Das Tassenpaar aus der Sammlung Bloch-Bauer wurde dennoch versteigert, konkret für 9920 Euro.
Tatsächlich stellen die auf dem Markt kursierenden Objekte dieser Provenienz sowohl den Kunsthandel als auch aktuelle Eigentümer vor ein Dilemma. Verkauf und Privatbesitz werden vom Gesetzgeber nicht eingeschränkt, zeitgleich sind diese Objekte ohne Klärung jedoch de facto nicht handelbar. Bei österreichischen Museen würde dem Ankauf aufgrund des Kunstrückgabegesetzes prompt eine Rückgabe ins Haus stehen. Dazu kommen ethische Bedenken, wie ein anderes Beispiel aus dem Umfeld dieser Causa belegt.
Im Zuge der Recherchen lieferte der auch für das Mak tätige Provenienzforscher Leonhard Weidinger einen Hinweis auf die Sammlung eines gewissen Ferdinand Pierer. Der Sohn eines Bauern aus dem steirischen Köflach, der gemeinsam mit seinem Bruder in Wien erfolgreich eine Eisenhandlung führte, war sehr an Kunst interessiert und begann in den 1920er-Jahren eine umfangreiche Sammlung an Gemälden („Vom Biedermeier zum Impressionismus“) sowie Porzellan (Rokoko, Klassizismus) aufzubauen.
Sammlung Pierer
Nach seinem Tod 1963 verkauften die Erben einen Großteil der Bilder 1970 an das Oberösterreichische Landesmuseum. Das Porzellan aus der Glanzzeit der Wiener Manufaktur blieb vorerst in Familienbesitz. 1996 gastierten Teile in einer Sonderausstellung in Oberösterreich. Aus diesem Anlass erschien in einem Museumsjournal ein Artikel, der mit einer ovalen Platte illustriert war, auf die einst Moritz Michael Daffinger ein mythologisches Motiv (Urteil des Paris) von Angelika Kauffmann gemalt hatte.
Ein Abgleich mit dem Auktionskatalog von 1941 belegt, dass es sich um einen Teil eines Dejeuners, das damals für 4500 Reichsmark (RM) den Besitzer wechselte, handelte. Im Artikel wurde weiters ein „Lamprecht-Dejeuner“ aus dem Besitz des Sammlers erwähnt. Ein solches war in der gleichen Auktion für 2200 RM verkauft worden. Hatte Ferdinand Pierer damals mehrere Bloch-Bauer-Objekte ersteigert?
„Toxische“ Ware
Vermutlich, wie eine Anfrage beim Dorotheum ergab, das 2010 nur „unbelastete“ Objekte aus dem Besitz der Pierer-Erben versteigerte. Für elf Katalogpositionen, darunter auch die erwähnten Dejeuners, konnte die Provenienzabteilung des Auktionshauses im Vorfeld eine Bloch-Bauer-Herkunft nachweisen. Sie ersuchte die Israelitische Kultusgemeinde, zwischen den Erbengemeinschaften zu vermitteln. Das Ziel war wohl der Verkauf und eine anschließende Teilung des Erlöses. Die Einigung scheiterte an einem Bloch-Bauer-Erben. Das Dorotheum lehnte in weiterer Folge eine Versteigerung ab. Die „toxische“ Ware wanderte zurück in Privatbesitz.
Den größten Bestand an Bloch-Bauer-Porzellan nennt übrigens zwischenzeitlich der Fürst von Liechtenstein mit knapp 35 (mehrheitlich restituierten) Exemplaren sein Eigen. Erworben wurden sie größtenteils von Elisabeth Sturm-Bednarczyk. Manches auch über die auf der britischen Kanalinsel Jersey registrierte Fine Art and Heritage Ltd. des Kunsthandels Rudigier (München, London), erzählt Chefkurator Johann Kräftner im Gespräch. Er habe den Händlern stets erklärt, dass die Ware „clean“ sein müsse, andernfalls erfolge kein Ankauf. (Olga Kronsteiner, ALBUM, 25.11.2019)