Die gezielte Desinfektion von Oberflächen ist im Alltag meist nicht notwendig.

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Den Tag im Büro beginnen viele Menschen mit einer Tasse Kaffee. Andere greifen lieber zu Desinfektionsmitteln. Damit werden vor Arbeitsbeginn der Telefonhörer, die Computertastatur und der Schreibtisch eingesprüht. Die Hoffnung: So wird der Arbeitsplatz keimfrei. Man weiß ja nie, was sich zur Erkältungszeit im Büro herumtreibt.

Hygieniker würden wohl eher zu einer Tasse Kaffee greifen. Mit jenen Desinfektionsmitteln, die es mittlerweile in Drogeriemärkten an jeder Kassa gibt, hat Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene und angewandte Immunologie der Med-Uni Wien keine Freude. "Es gibt kein Desinfektionsmittel für alles", stellt sie klar.

Auch der Hygieniker und Infektiologe Ojan Assadian vom Landeskrankenhaus Neunkirchen betont, dass für eine korrekte Flächendesinfektion viel fachliches Hintergrundwissen notwendig ist – und eine gezielte Desinfektion im Alltag meist nicht notwendig ist. Die Faustregel: "Wenn man nicht weiß, warum man desinfiziert, wird es wahrscheinlich nicht indiziert sein", sagt Assadian.

Gefahr von Resistenzen

Ein großes Problem: Was in den Desinfektionsmitteln steckt, wissen Konsumenten meist nicht. Dabei würde ein Blick auf die Verpackung helfen. Das Wirkungsspektrum wird hier in Großbuchstaben angegeben: Desinfektionsmittel der Kategorie A töten Bakterien und Pilze, die Kategorie B macht Viren den Garaus.

Der Alkoholgeruch, den viele Sprays und Gels verströmen, reicht vielen aber schon, um an die Wirksamkeit zu glauben. Dabei müssten sie sich im Geschäft eigentlich genau anschauen, in welcher Konzentration welcher Alkohol im Mittel enthalten ist. Oft ist diese Konzentration nämlich zu gering, kritisiert Suchomel. So werden nicht alle Keime abgetötet – und die, die übrig bleiben, können Resistenzen entwickeln.

Noch ein Problem: Jeder 20. entwickelt auf manche Desinfektionsmittel-Klassen eine Kontaktallergie, warnt Assadian. Die Haut kann beispielsweise auf den Wirkstoff Chlorhexidin reagieren, Rötungen, Juckreiz und Bläschen sind die Folge.

Oft werden schon bei der Anwendung Fehler gemacht: Wer zum Beispiel Desinfektionsmittel auf ein Tuch gibt und damit ziellos Oberflächen abwischt, läuft Gefahr, die Keime damit nur weiterzuverbreiten.

Gefühl von Sauberkeit

Die übertriebene Hygiene am Arbeitsplatz setzt nicht nur Menschen zu. Computertastatur und Telefonhörer können von falschen Desinfektionsmitteln mit der Zeit brüchig werden. Besonders problematisch ist es, wenn sie mit Händedesinfektionsmittel bearbeitet werden: Darin befinden sich rückfettende Substanzen, damit die Hände nicht austrocknen. Sie hinterlassen einen Fettfilm an der Oberfläche.

Die Desinfektionsmittel – die es auch für Waschen von Wäsche oder Geschirrspülen schon gibt – sieht Suchomel als Marketingtrend. Das Sauberkeitsgefühl, das viele aus der vermeintlichen Keimfreiheit ableiten, ist aber trügerisch. Sinnvoll ist das Desinfizieren im Haushalt laut Suchomel dann, wenn ein Familienmitglied beispielsweise eine Durchfallerkrankung hat – und man sich selbst vor einer Ansteckung schützen will.

Auch wenn man mit Menschen mit einer Immunschwäche zusammenwohnt, können diese Maßnahmen helfen. Allerdings sollten diese dann von einem Arzt genau erklärt werden.

Geschwächtes Immunsystem

Noch etwas kritisiert Suchomel: Mit den aggressiven Sprays und Gels werden auch Hautkeime abgetötet, die die Haut bevölkern und für das Immunsystem eigentlich gut wären. Damit bringt man sich das eigene, individuelle Mikrobiom durcheinander: "Irgendwann fängt man sich dann jeden Schnupfen ein", so Suchomel. Genau das Gegenteil von dem also, was Konsumenten sich von Desinfektionsmitteln erhoffen.

Unbestritten ist aber, dass Computertastaturen und Telefonhörer tatsächlich ein gutes Milieu für Keime bieten. Hier können sich beispielsweise Rhinoviren, die Schnupfen verursachen, und Fäkalbakterien tummeln. Ein Toilettensitz sei sauberer als so manche Computertastatur, so die Schlussfolgerung einer britischen Studie vor einigen Jahren. Panik ist dennoch nicht angebracht, beruhigen Hygieniker: Gesunde Menschen müssen sich davor nicht fürchten.

Richtiges Händewaschen

Vor allem, weil vor einer Ansteckung ein ganz einfaches Mittel schützt: häufiges und vor allem richtiges Händewaschen – nach jedem Toilettengang, nach dem Nachhausekommen und nach jedem Schnäuzen. Dafür sollten die nassen Hände gründlich eingeseift und dann abgespült und abgetrocknet werden. 30 bis 40 Sekunden dauert richtiges Händewaschen. Als Eselsbrücke: Dabei sollte sich dreimal "Happy Birthday" singen ausgehen.

Unnötiger Körperkontakt – etwa Händeschütteln – sollte in der Erkältungszeit außerdem vermieden werden. Wer sich das Händedesinfektionsmittel dennoch nicht nehmen lassen will, sollte sich zumindest in der Apotheke beraten lassen – und sich die richtige Anwendung am Produktetikett genau durchlesen. Und im Zweifel in der Früh doch lieber zu einer Tasse heißen Kaffees greifen. (Franziska Zoidl, 28.11.2019)