Hermann Schützenhöfer genießt die Rolle seines Lebens: Er gibt den gütigen Landesvater, von den Leuten geliebt, spendabel, mit der Moderne, dem Neuem zwar auf kritischer Distanz, der steirischen Tradition aber, dem Heimatverbundenen, sehr nahe. Steirerhut statt Baseballmütze.

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"Aufsteirern", eine Lieblingsbeschäftigung in der Grünen Mark. Tradition und Brauchtum sind Teil dieser gern zelebrierten Identität des Bundeslands.
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Hinter dem verschmitzten Antlitz lugt ein, wenn nötig, machtbewusster Parteipolitiker hervor, der auch zu poltern weiß, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. In der letzten TV-Elefantenrunde vor der Landtagswahl musste er sich mit den Jungen herumplagen. Der Frischling der Neos, Niko Swatek, rechnete ihm vor, dass die Steiermark bei der Kinderbetreuung und bei Kinderkrippen österreichweit peinlich schlecht organisiert sei. Schützenhöfers Gesicht verfinsterte sich: „Wir haben das auch alles nicht gehabt und haben auch gerade Glieder.“

Von diesem Jüngsten in der Runde, dem 28 Jahre alten Swatek, trennen ihn fast 40 Lebensjahre, und selbst sein ehemaliger Koalitionspartner der SPÖ, Michael Schickhofer, könnte mit seinen demnächst 40 Jahren der Sohn des bald 68 Jahre alten Landeshauptmannes sein. Aber Schützenhöfer ruht im Wissen: Die meisten Steirerinnen und Steirer – so geben sie es zumindest in allen Umfragen zu Protokoll – wollen einen lebenserfahrenen, gesetzten Landespatron: wie ihn.

Der Politroutinier wird aller Voraussicht nach diese Landtagswahl am Sonntag, dem 24 November, gewinnen – mit vielleicht sogar deutlichem Abstand. Die SPÖ, deren Vorsitzender Michael Schickhofer ebenfalls den Landeshauptmannsessel als Wahlziel ausruft, wird wohl, auch wegen des volatilen Zustands seiner Partei, Zweiter bleiben. Wenn nicht die FPÖ nach Ibiza-, Spesen- und Goldbarrenaffäre und den „Einzelfällen“ doch noch zu einer letzten Aufholjagd auf Platz zwei ansetzt.

Schützenhöfer wird jedenfalls wissen, dass jene Kritik wegen versäumter Politik, die er in den TV-Runden an den Kopf geschmissen bekam, Auftrag sein muss, in der nächsten Periode anzutauchen. Bei aller Gemächlich- und Gemütlichkeit, die er auszustrahlen vermag: Die Steiermark steht vor dringend anzupackenden Problemen.

1. THEMA NUMMER EINS: DIE VERÖDUNG DER REGIONEN – DIE BINNENWANDERUNG

Hier muss, wie der Regionalwirtschaftsexperte der Uni Graz, Michael Steiner, das Auseinanderdriften der einzelnen Landstriche der Steiermark verhindert werden. „Der Zusammenhalt der vielfältigen Regionen, die bisherige Stärke, muss erhalten bleiben“, sagt Steiner. Hoch vom Dachstein an bis ins Rebenland. Die Steiermark ist von allen Bundesländern das topografisch wohl facettenreichste Bundesland – vom Gletscher bis hin zu den Weinbergen und die schon in die Pannonische Tiefebene übergehende Südoststeiermark. Für jeden Flecken braucht es eine eigene Zukunftsstrategie. Und vor allem: Die weitere Verödung und Ausdünnung der Gegenden muss auch im Sinne des Zusammenhalts gestoppt werden, sagt Steiner.

Wartberg ist ein exemplarisches Beispiel. Die kleine, willkürlich aus er steirischen Geografie herausgepickte Gemeinde in der Industrieregion der Mur-Mürz-Furche steht prototypisch für die tiefen existenziellen Umwälzungen, die das Bundesland Steiermark – wie auch andere Bundesländer – in den letzten Jahrzehnten durchlebt hat. Der Ort lebte von der „Bude“, dem ansässigen Industriebetrieb. Das dortige Vogel-&-Noot-Werk bot allen genügend Arbeit.

Die Krise der Schwerindustrie kam schleichend, Produktionen der Radiatoren wurden nach Ungarn ausgelagert. Die Vogel-&-Noot-Brand Umbrella ist heute ein multinationales Unternehmen, das Headquarter ist zwar noch in Wartberg, produziert wird irgendwo. Wobei: Wartberg heißt heute St. Barbara, nachdem es mit den Nachbargemeinden zwangsfusioniert wurde. Niemand fühlt sich als „St. Barbarer“, aber das ist auch schon egal. Das Dorf ist nicht mehr. Vor einer Generation war noch Leben im Ort: Lebensmittelläden, ein Bäcker, zwei Fleischhauereien, zwei Kleidergeschäfte, gut zehn Gasthäuser, ein Blumen- und Papierladen, ein Schuster, ein Gemüseladen, ein Eislokal – alles weg. Wartberg ist heute St. Barbara und eine Ghostcity. Wer konnte, zog weg.

Dieser dramatischen Entwicklung in der ländlichen Infrastruktur, die noch dazu – wie in Wartberg und auch anderswo in der Region – einen Aufschwung der Rechten brachte, muss mit intelligenten Politikmodellen gegengesteuert werden: mit Breitbandversorgung für Betriebe und Start-ups bis zu neuen Mobilitätsmodellen für die Erreichbarkeit und flächendeckender Kinderbetreuung.

2. DIE MEDIZINISCHE VERSORUNG AUF DEM LAND MUSS VÖLLIG NEU ORGANISIERT WERDEN

Eine Attraktivierung der Regionen hängt untrennbar mit der medizinischen Versorgung zusammen. Hier muss die Landespolitik mit den Gemeinden neue Wege finden. Es wird nicht reichen, die ganze politische Aufmerksamkeit und Kraft wie in der abgelaufenen Periode der Errichtung eines neuen, völlig umstrittenen, Leitspitals im Bezirk Liezen zu widmen, in dessen Folge drei alte zugesperrt werden sollen. Die Landespolitik wird auch in diesem Sektor völlig neu denken müssen und etwa Entwicklungen der Telemedizin, der Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz miteinbeziehen, sowie dezentraler Akutbetreuungszentren, um die medizinische Versorgung in den vielfältigen Regionen zu sichern. Parallel dazu wird die Pflege, weg von den teuren Heimen hin zu flexiblen, lokalen Betreuungsformen organisiert werden müssen.

3. WIRTSCHAFTS-, INDUSTRIE- UND CLUSTERPOLITIK NEU DENKEN

Zentral für die wirtschaftliche Zukunft der Steiermark wird natürlich die Entwicklung des industriellen Sektors bleiben. Dabei gilt es, krisenfester zu werden und – trotz der guten Entwicklungen in den letzten Jahren – Alternativen zum Autocluster aufzubauen. Hier müsste die außergewöhnliche Innovationskraft der Universitäten und FHs noch stärker genutzt werden. Damit sollte auch der tragende Wirtschaftssektor der Klein- und Mittelbetriebe besser versorgt werden.

4. AKUTER AUFHOLBEDARF BEI DER MOBILITÄT– UND DER DIGITALEN INFRASTRUKTUR

Direkt verbunden mit der wirtschaftlichen Entwicklung ist die holprige Verkehrssituation. Der überwiegende Teil des Bundeslands ist, wie auch in Niederösterreich oder Oberösterreich, nur mit dem Auto erreichbar. Hier hat es in den vergangenen Jahren zwar schon einige Bemühungen gegeben, etwa das S-Bahn-Netz zu verdichten, aber es muss in den kommenden Jahren vieles neu gedacht werden. Warum nicht autonom fahrende Züge auf aufgelassenen Nebenbahnen installieren? Die optimale Anbindung an die Regionen ist für die Landstriche lebensnotwendig, damit, wie Steiner sagt, diese nicht in ihren Entwicklungen auseinanderdriften. Das betrifft auch die digitale Infrastruktur. „Da hapert es oft an den letzten Kilometern, da muss die öffentliche Hand einspringen und investieren“, sagt Steiner.

5. KLIMAPOLITIK ALS KLAMMER, VON DER LANDWIRTSCHAFT BIS ZUR INFRASTRUKTUR

Bei allen notwendigen Vorhaben muss die Klimarelevanz mitbedacht werden. Dazu sollte ein eigenes Klimaressort geschaffen und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet werden. Durch die eher kleinstrukturierte Landwirtschaft, die mit den Großproduzenten der Branche ohnehin nicht mithalten kann, hat die Steiermark die Chance, sich als vorbildhaftes Ökoland in die erste Reihe unter den Bundesländern zu stellen. Wie in allen anderen Bereichen gilt: Es braucht politischen Mut zum Wandel.

(Walter Müller, 24.11.2019)