Heinz-Christian Strache und Tajana Gudenus schauen zum Lockvogel, der noch unbekannt geblieben ist

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Ein halbes Jahr nachdem das Ibiza-Video wie ein Meteorit in die österreichische Politik einschlug, hat sich der Nebel gelichtet. Drei Verdächtige befinden sich in U-Haft. Sie spielen Nebenrollen in einem Drama, das auch von Großmannssucht und zerbrochener Freundschaft handelt.

Prolog: Der grantige Leibwächter

Oliver R. war sauer. Jahrelang hatte der einstige Polizist Seite an Seite mit Heinz-Christian Strache verbracht – bereit, "eine Kugel für ihn abzufangen", wie Bekannte den Bodyguard beschreiben. Jetzt, rund um das Jahr 2014, war er schwer an Krebs erkrankt und hatte das Gefühl, sein langjähriger Chef Strache kümmere sich nicht ausreichend um ihn. R. begann daraufhin, belastendes Material über den damaligen FPÖ-Chef zu sammeln.

Er speicherte SMS, fotografierte Rechnungen ab und Sporttaschen, in denen angeblich Bargeld war. Diese Sammlung übergab er seinem Anwalt R. M., um sie zu Geld zu machen. Im Wien-Wahlkampf 2015 wurde das Konvolut Beratern mehrerer Parteien angeboten, wie diese dem STANDARD bestätigen – und den Behörden, die dafür bezahlen sollten. Das lehnten diese ab. Schnell war klar: Um einen Publikumserfolg zu landen, musste das Material heißer sein. Am besten wäre ein Video, das Strache bei kompromittierenden Handlungen zeigt.

Erster Akt: Die Anbahnung

Anwalt M. hat Kontakte in dubiose Kreise. Er arbeitete schon länger mit "Privatdetektiven" und Sicherheitsberatern zusammen, die sich im Auftrag von Tabakkonzernen bei Zigarettenfälschern einschleusen oder Aufträge vom Bundeskriminalamt bekommen, wenn sich die Polizei die Finger nicht selbst schmutzig machen will. Ein enges Verhältnis hatte Anwalt M. zum Münchner Detektiv J. H., der für viele Unternehmen klandestine Aufträge erfüllte. Die beiden werden in diesem Drama die Rolle der Bösewichte übernehmen. Langsam beginnen sie, ihr Ibiza-Stück zu inszenieren.

Eine wichtige Rolle spielt dabei Straches damaliger Vize Johann Gudenus, der als leichteres Ziel identifiziert wird. Im September 2016 stirbt Gudenus’ Vater John, selbst einst FPÖ-Abgeordneter und verurteilter Holocaust-Leugner. Die Trauerphase von Johann Gudenus sollte ausgenutzt werden. Über eine Maklerin, die Gudenus und Strache gut kennt, wird ein Lockvogel an ihn herangetragen. Es handelte sich um eine junge Frau, die zuvor von J. H.s Mitarbeitern E. S. und S. K. "rekrutiert und geschult" worden ist, wie die Staatsanwaltschaft vermutet. Sie stellt sich Gudenus als Alonya, Nichte des russischen Oligarchen Igor Makarow, vor. Frau Makarowa sollte über ein hohes Vermögen verfügen und unbedingt in Österreich investieren wollen. Ins Auge fielen ihr dabei angeblich Grundstücke im Besitz von Gudenus.

Es kommt zu Treffen mit Anwalt M., Gudenus und Makarowa, Letztere besichtigen sogar ein Waldstück.Anwalt M. soll dem damaligen Wiener Vizebürgermeister sogar einen Pass der Oligarchin gezeigt haben, ebenso Kontoauszüge, die ihr Vermögen bestätigen – deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Urkundenfälschung. Im Lauf der Verhandlungen betont Makarowa immer wieder, sie wolle unbedingt H.-C. Strache treffen.

Zweiter Akt: We’re going to Ibiza

Im Juli 2017 geht durch eine "glückliche Fügung" der Vorhang auf: Strache, Gudenus sowie Oligarchin Makarowa sind alle gleichzeitig auf Ibiza. Die Investorin lädt die beiden in ihre Finca ein. Auch Detektiv J. H. ist dabei, er mimt den Begleiter und Übersetzer der Oligarchin. Das Anwesen soll zuvor von seinen Mitarbeitern E. S. und S. K. mit Film- und Tonaufnahmegeräten präpariert worden sein. Am frühen Abend treffen Strache, Gudenus und seine Frau Tajana ein. Sushi wird serviert, dann wechselt man zum Flüssigen. Ein feucht-fröhlicher Abend, der Geschichte schreiben wird. Der Plan geht auf: Strache zeigt sich bereit, korrupte Ideen der Oligarchin zu unterstützen.

Er spricht über den Verkauf österreichischen Wassers, über ein Investment der Oligarchin in die Kronen Zeitung und den Austausch von Redakteuren ("Zack, Zack, Zack"). Er plaudert über Parteispenden – und wie man diese "am Rechnungshof vorbei" schleusen könne. Strafbar macht er sich nicht: Laut Rechtsansicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) versprach Strache an diesem Abend Dinge, die er zum damaligen Zeitpunkt gar nicht hätte umsetzen können – war er doch kein Regierungsmitglied. Allerdings lief schon damals alles auf eine türkis-blaue Regierung nach der Wahl im Herbst 2017 hinaus. "Eine Gesetzeslücke", moniert die WKStA.

Dritter Akt: Video killed the FPÖ-Star

Es ist ein abgenutztes und oft strapaziertes Bild. Aber in diesem Fall stimmt es: Das Ibiza-Video schlug ein wie eine Bombe und erschütterte die Republik. Am Abend des 17. Mai 2019 gingen Süddeutsche Zeitung und Spiegel mit einem siebenminütigen Zusammenschnitt der Aufnahmen online, einen Tag später war die türkis-blaue Regierung Geschichte und Strache als Vizekanzler zurückgetreten.

Doch was war in den zwei Jahren seit dem Abend auf Ibiza geschehen? Offenbar versuchten Anwalt M. und Detektiv J. H. seither, das Video zu Geld zu machen. Laut Staatsanwaltschaft wurde es etwa dem einstigen Politiker Alexander Zach angeboten, laut Recherchen ebenso dessen Firmenpartner Zsoltan Acsel, der Hans Peter Haselsteiners Baukonzern Strabag berät – der wiederum im Video vorkam, und zwar als Hassobjekt Straches.

Auch anderen Personen wurden Teile des Videos vorgespielt, Verkaufsgespräche fanden in Österreich und Deutschland statt, offenbar lange Zeit erfolglos. Dann gelangte das Video aber in die Hände deutscher Journalisten, die beteuern, nichts dafür bezahlt zu haben. Aber sorgte jemand im Hintergrund dafür, dass die Ibiza-Hintermänner mit Medien Kontakt aufnahmen? Das bleibt das große Fragezeichen in dieser Geschichte.

Die Gerüchte blühen, SPÖ und ÖVP überziehen einander mit Anschuldigungen, und die FPÖ hat ganz eigene Theorien dazu. Strache versuchte, seine Karriere zu retten; doch spätestens, als die von Bodyguard R. dokumentierten Indizien über falsche Spesenabrechnungen auftauchen, ist auch in der FPÖ Schluss mit lustig. Die Partei, deren Obmann nun Norbert Hofer heißt, stand davor, Strache auszuschließen. Der zog selbst die Notbremse und legte seine Mitgliedschaft auf Eis. Parallel dazu explodierte die Casinos-Causa, die zeigt, wie Strache dann als Regierungsmitglied um parteipolitische Postenbesetzungen kämpfte.

Epilog: Die Ermittlungen

Seit der Videoveröffentlichung ermittelt die Soko Tape gegen Hintermänner – und stößt dabei auf allerlei andere Delikte. Mittlerweile ist die Anzahl der Verdächtigen eine zweistellige, für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Im Hintergrund mischen Strache und Gudenus mit, indem sie Recherchen über die Hintermänner anstellen. Die Rede ist von Sexvideos, Erpressung und Delikten im Drogenmilieu. Vergangenen Dienstag kam es zu einer großen Aktion der Ermittler, mehrere Verdächtige wurden festgenommen. Drei von ihnen müssen in Untersuchungshaft bleiben, entschied das Landesgericht Wien am Freitag.

Zurück bleibt ein Scherbenhaufen: Strache hat seine eigene Karriere zerstört, ebenso Gudenus. Die beiden, einst enge Vertraute, sollen nicht mehr miteinander sprechen. Die FPÖ ist in Umfragen abgestürzt, liegt teilweise schon hinter den Grünen. Ein Trost ist ihr, dass die WKStA nicht mehr wegen FPÖ-naher Vereine ermittelt, die im Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung standen. Den Hintermännern des Ibiza-Videos drohen lange Haftstrafen.Ein neues umfassendes Parteientransparenzgesetz, das Korruption verhindern soll, lässt weiter auf sich warten. (Fabian Schmid, 22.11.2019)