Im Gastkommentar erinnert Juri Fedotow, Exekutivdirektor des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, daran, dass es Risikofaktoren für Gewalt an Frauen gibt – und damit Möglichkeiten zur Intervention.

"Stop Feminicides", forderten Demonstrierende am Wochenende in Paris.
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Weltweit werden jede Stunde sechs Frauen von jemandem getötet, den sie kennen. Die Zahl der Frauen, die von Partnern oder Familienmitgliedern getötet werden, beträgt mehr als die Hälfte aller weiblichen Mordopfer. Sogar Österreich, wo die Mordrate weit unter dem weltweiten Durchschnitt liegt, ist davon nicht ausgeschlossen. Die schockierenden Morde von Kitzbühel und Kottingbrunn machten Ende Oktober Schlagzeilen. In beiden Fällen wurde eine Frau, gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern, vom Lebenspartner getötet – "sie wollte ihn verlassen, deshalb tötete er sie", endete ein Zeitungsartikel, der die brutalen Verbrechen beschrieb.

Jede Tragödie hat ihre speziellen Umstände und schrecklichen Einzelheiten. Recherchen zeigen, dass die Tötungen von Frauen durch ihre Partner oft Teil eines breiteren Schemas sind, das die tödliche Zuspitzung von geschlechterbezogenem Missbrauch und Gewalt zeigt, aber oft wenig Beachtung findet oder ignoriert wird.

Gesellschaftliches Machtungleichgewicht

Wie UN-Generalsekretär António Guterres sagte, hängt die Gewalt gegen Frauen mit Ungleichheit und Machtungleichgewicht in unseren Gesellschaften zusammen. Gewalt trägt zur Weiterführung dieser Ungleichheit bei. Dies hat langfristige Folgen, zerstört das Leben ganzer Familien und Gemeinschaften und trifft auch nachfolgende Generationen.

Die internationale Gemeinschaft hat sich verpflichtet, dieses Problem in der Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen von 1993 und in der Erklärung und Aktionsplattform von Peking, die von der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 angenommen wurde, zu behandeln. Es gibt auch ein rechtsverbindliches Rahmenwerk in Form der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau. Dennoch ist der Fortschritt zu langsam.

"Femizid" als spezifische Straftat

Der Internationale Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November und die 16 Tage gegen Gewalt zur Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt sind eine Gelegenheit, um zu sehen, was schiefläuft und wie wir es besser machen können.

Eine angemessene nationale Gesetzgebung, die sich mit sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt befasst, ist für jede effektive Reaktion wichtig. Eine Reihe von Ländern in Lateinamerika und der Karibik haben "Femizid" beziehungsweise "Feminizid" als spezifische Straftat kriminalisiert; andere Länder haben geschlechterbezogene erschwerende Umstände in ihre Gesetzgebung aufgenommen, was die Härte der Strafen für Tötungsdelikte und andere Straftaten erhöhen kann.

Schutzmaßnahmen priorisieren

Umfassende Lösungen, die die Sicherheit von Frauen priorisieren, sind in allen Phasen der Strafverfolgung und im Strafrecht wichtig. Hotlines, Unterkünfte, Gesundheitsversorgung und Beratung sowie Rechtsbeistand sind notwendig, um Frauen, die vor der Gewalt durch Partner flüchten, zu unterstützen.

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung hat sich mit der Weltgesundheitsorganisation, UN Women und anderen, die für die Entwicklung von Präventivmaßnahmen zuständig sind, vernetzt, um diese zu fördern und die Widerstandsfähigkeit von Frauen durch soziale und wirtschaftliche Ermächtigung zu stärken. Darüber hinaus steuert die Uno derzeit ein "Essential Services Package" in zehn Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Erziehung ist Teil der Lösung

Auch Männer müssen in die Bemühungen gegen negative Geschlechterstereotypen einbezogen werden und von Normen abrücken, die männliche Gewalt legitimieren. Deshalb muss eine frühe Erziehung, die auf Buben und Mädchen gleichermaßen abzielt, Teil der Lösung sein.

Bildungsinitiativen sollten die sich schnell entwickelnde Realität des geschlechtsspezifischen Cyberbullying berücksichtigen. Onlinegewalt gegen Frauen und Mädchen beginnt im frühen Alter und kann bis zu extremen Bedrohungen eskalieren. Wir können uns nicht leisten, dass dies unberichtet, unkontrolliert und ungestraft bleibt.

Risikofaktoren und Warnzeichen

In Österreich haben die Tragödien von Kitzbühel und Kottingbrunn eine wichtige Diskussion über geschlechterbezogene Tötungen und Gewalt und die Notwendigkeit stärkerer Präventionsbemühungen ausgelöst. Ich hoffe, dass der Internationale Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und die 16 Tage gegen Gewalt reichen, um diesen dringenden Dialog weiter zu stärken und helfen, Ergebnisse zu erzielen.

Geschlechtsbezogene Tötungen sind extreme Handlungen in einem Kontinuum der Gewalt. Solche Situationen entwickeln sich nicht über Nacht. Es gibt Risikofaktoren und Warnzeichen und damit Möglichkeiten zur Intervention – um Gewalt zu stoppen und Opfer zu schützen. Bevor es zu spät ist. (Juri Fedotow, 25.11.2019)