Nein, ihr Amtsantritt war nicht ideal. In der Situation der Spaltung und Polarisierung, in der sich Bolivien seit Wochen befindet, hätte das südamerikanische Land einen moderaten Übergangspräsidenten gebraucht – einen Mann oder eine Frau, die weder gegen die eine noch gegen die andere Seite verbal schießt; eine Person, die den laizistischen Staat respektiert und die sich lediglich zwei Aufgaben widmet: Ruhe ins Land zu bringen sowie Neuwahlen auszurufen.

Jeanine Áñez blieb bisher Vieles schuldig. Immerhin wird jetzt über ein Gesetz zur Abhaltung von Neuwahlen (Bild) zumindest diskutiert.
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Aber Jeanine Áñez, die sich in dieses Amt heben ließ, ist keine solche moderate Politikerin. Dass die Senatorin immer eine vehemente Gegnerin des nach Mexiko geflüchteten Langzeitpräsidenten Evo Morales war, ist kein Geheimnis. Und auch ihre Verachtung für die indigene Bevölkerung konnte man schon längst auf Twitter nachlesen: Da war von "Satanisten" zu lesen. Oder sie schrieb: "Ich träume von einem Bolivien frei von indigenen Riten. Die Stadt ist nichts für Indios. Sollen sie doch zurück ins Hochland gehen." Solche Einträge wurden mittlerweile gelöscht.

Rassismus, das also ist das Eine, was der Interimspräsidentin vorgeworfen wird. Das Andere ist: Ultrareligiosität. So kam sie zu ihrer Vereidigung mit einer überdimensionierten dunkelbraunen Bibel in der Hand.

Eine Art Glaubenskrieg

Kurzum: Seit Áñez an der Macht ist, geht es nicht mehr nur um möglichen Wahlbetrug, sondern auch um die indigene und christliche Weltanschauung – eine Art Glaubenskrieg. Alte Wunden brechen auf. Ängste, dass die Errungenschaften aus 14 Jahren Morales-Politik Rückschläge erleiden, sind besonders in der indigenen Bevölkerung groß.

Die bolivianische Bevölkerung wartet immer noch auf die Ankündigung der Neuwahlen, die Áñez so rasch wie möglich umsetzen hatte umsetzen wollen. Stattdessen lässt sie viele demokratisch gewählte Gegner aus ihren Funktionen, Ämtern und Jobs entfernen, zahlreiche Botschafter aus dem Ausland hat sie schon zurückbeordert.

Die Indigenen sehen ihre Rechte gefährdet.
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Es verblassen die Worte, die Áñez in ihrer erster Pressekonferenz als Staatsoberhaupt vor mehr als einer Woche gesagt hatte: "Ich bin nur die Übergangspräsidentin." Und: "Meine Aufgabe ist es, Wahlen auszurufen und das Land zu befrieden." Stattdessen kam es bei Protesten und Märschen seit ihrem Amtsantritt zu massiver Gewalt, Berichten zufolge vor allem gegen Morales-Anhänger.

Gesperrte Straßen, leere Regale

Seit Tagen werden wichtige Straßen in Bolivien von Morales-Anhängern gesperrt, in der Hauptstadt La Paz sind bereits viele Regale in den Supermärkten leer. Es fehlt oft an Fleisch, Gemüse, Brot, Eiern; aber auch an Benzin oder Gasflaschen. Täglich steigen die Preise. ZU Wochenmitte ertönten Drohungen, den internationalen Flughafen bei La Paz zu blockieren oder die Stromversorgung der Hauptstadt zu unterbrechen. Bei all diesen Protesten ist eine der Hauptforderungen immer dieselbe: Áñez muss weg.

Immerhin stimmte der Senat nun einem Gesetzesentwurf der Interimspräsidentin zu, das Neuwahlen regeln soll. Eine Entscheidung des Unterhauses steht noch aus. Der Vorschlag verbietet Gesetz Politikern, die in den vergangenen zwei Legislaturperioden durchgehend ein Amt innehatten, eine erneute Kandidatur für die gleiche Position, was auch Evo Morales beträfe. (Camilla Landbø aus La Paz, 23.11.2019)