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Der Kanadier Steven Erikson ist vor allem als Schöpfer von "Das Spiel der Götter" ("The Malazan Book of the Fallen") bekannt. Das kämpfte lange im Rennen um den Titel der populärsten High-Fantasy-Reihe unserer Tage mit – allerdings war es damit spätestens dann vorbei, als eine gewisse Fernsehserie ein anderes Spiel eröffnete und Eriksons Konkurrenten George R. R. Martin in vollkommen neue Dimensionen katapultierte. In den Jahren seitdem hat sich Erikson verstärkt der Science Fiction zugewandt und unter anderem eine "Star Trek"-Satire ("Willful Child") veröffentlicht.

Thema seines neuen Romans "Rejoice" – was so viel wie "frohlocken" bedeutet – ist eine außerirdische Intervention zur Rettung der Erde. Als die zwei wichtigsten Einflussquellen des Buchs darf man Arthur C. Clarkes "Childhood's End" ("Die letzte Generation") und den Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" betrachten. Wir erinnern uns an den Moment in der 2008er Neuverfilmung, als bei Jennifer Connelly der Groschen fiel: "You came to save the Earth ... from us."

Die Erde wird unter ein neues Management gestellt

Zum Glück hat sich die außerirdische Interventionsdelegation nach einigem Für und Wider doch noch dazu durchgerungen, die Menschheit als Teil der Erde zu betrachten, und beschlossen, sie zu erhalten. Allerdings mit einigen einschneidenden Veränderungen, wie wir noch sehen werden. Schritt 1 ist aber erst einmal der Schutz der Natur: Unsichtbare Kraftfelder legen sich um ökologisch besonders sensible Gebiete und sind fürderhin nur noch von Tieren und einigen wenigen Indigenen, die einen nachhaltigen Lebensstil pflegen, passierbar. Der Rest bleibt ausgesperrt; selbst ein Biobauer, der glaubt, alles richtig gemacht zu haben, findet sich zu seinem immensen Frust auf der Seite der Öko-Schädlinge wieder.

Schritt 2 ist Zwangspazifismus: Wieder kommen Kraftfelder zum Einsatz – diese lassen jeden, der einem anderen körperliche Gewalt antun will, wie an einer Gummiwand abprallen. Sämtliche Konflikte auf Erden, vom Nahen Osten bis zum ehelichen Missbrauch, kommen schlagartig zum Erliegen. So global, selektiv und punktgenau, wie diese Maßnahme greift, wird bald von der Gottesmauer gesprochen. Doch wie eine Romanfigur ganz richtig anmerkt: Gott hält viel vom freien Willen. Die Außerirdischen sehen das etwas anders.

Don't take me to your leader

Erikson entwirft sein globales Panorama anhand einer großen Zahl von Nebenfiguren, vom Warlord im Kongo bis zu einem verschwörungstheoretischen Blogger in den USA. Die sehen natürlich immer nur einen kleinen Ausschnitt des Ganzen – die Vogelperspektive liefert uns dafür die (angebliche) Hauptfigur des Romans, die kanadische Science-Fiction-Autorin Samantha August. Die erschien den Außerirdischen als geeignetster Ansprechpartner, während sie die politischen Hierarchien gezielt ignorieren.

Allerdings darf man sich Samantha nicht als Eriksons Entsprechung zu Arthur C. Clarkes Rikki Stormgren aus "Childhood's End" vorstellen. Sie ist keine dauerhafte Verbindungsstelle zwischen den Spezies, sondern wird nur ein einziges Mal im Namen der Besatzer vor der Menschheit sprechen. Das findet im letzten Fünftel des Romans statt – die ganze Zeit davor ist ethischen Debatten zwischen Samantha und der Künstlichen Intelligenz Adam gewidmet, die das neue Management der Erde abwickelt. Und "Debatte" kann man auch nur mit Einschränkung sagen: Die Außerirdischen ziehen ihren Plan nämlich mit bemerkenswerter Konsequenz durch und weichen keinen Millimeter von dem ab, was sie für das Richtige halten.

Eine neue Sinnhaftigkeit

Natürlich stürzt die Menschheit in eine schwere Krise. Die Wirtschaft implodiert (was aber durch Gratisnahrung und diverse technische Innovationen aus dem All aufgefangen wird), Staatsgrenzen und politische Instanzen werden bedeutungslos. Noch schwerer aber wiegt die seelische Krise, immerhin führt die aufgezwungene Gewaltlosigkeit zum Gefühl, keine Wahlfreiheit mehr zu haben.

Es gilt also, der Menschheit einen neuen Sinn zu geben – und das wird der letzte Teil des Plans der Außerirdischen sein. Worin dieser Sinn liegt, sei hier natürlich nicht verraten, aber zwei Anmerkungen gestatte ich mir: Er ist mir 1) irgendwie sympathischer – weil dem Menschen entsprechender – als die esoterische Conclusio von Clarke. Und 2) passt er ehrlich gesagt überhaupt nicht zu der Philosophie, die die Aliens mit dem Rest ihrer Maßnahmen praktizieren. Womit wir eine fließende Überleitung zu den vielen Aspekten hätten, in denen "Rejoice" nicht überzeugt.

Ist eh alles richtig, aber ...

Im Grunde ist der ganze Roman nur ein Vehikel, um Eriksons Empörung über den Zustand der Welt Luft zu verschaffen. Jean Ziegler, Greta Thunberg und Stéphane Hessel standen Pate für die ökologisch und sozial motivierte Kapitalismuskritik, die die eigentliche "Handlung" von "Rejoice" bildet. Und auch wenn man dem meisten hier Gesagten sicher zustimmen wird – eine Erzählung ist halt noch mal was anderes als ein Essay. Die Zitate Samanthas, die jedem Kapitel vorangestellt werden, unterscheiden sich im Ton nicht von dem, was die übrigen Figuren sagen und denken, und das wiederum geht fließend in Eriksons eigene Erzählerstimme über. Daraus wird dann ein einheitlicher Brei, eine Art Thesenprosa.

Praktisch die einzige Figur, die tatsächlich ein Eigenleben hat, ist der US-Präsident Raine Kent – eine Trump-Karikatur, angesichts des Vorbilds allerdings eher noch abgemildert als satirisch überhöht. Natürlich ist es ein Eigenleben der dümmlichen Art (Kents Einschätzung der Aliens: "Es sind verfluchte Sozialisten!"), was aber unter rein erzählerischen Gesichtspunkten immer noch besser ist als gar keines. So werden die USA aus politischem Starrsinn zum größten Widersacher des globalen Wandels, während sich bekannte Horte von Demokratie und Offenheit wie China oder die islamische Welt bei Erikson freudig in den Reigen der Gewandelten einfügen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Kanadier Erikson hier einige Ressentiments gegen den Nachbarn im Süden ausgelebt hat.

Wird Science Fiction die Welt retten?

Ein anderer wenig überzeugender Punkt ist Eriksons Umgang mit Science Fiction. Wie schon in "Willful Child" schreibt er sie jetzt nicht nur, er thematisiert sie auch. Die beabsichtigte Hommage ans Genre kommt mitunter aber eher wie eine Vereinnahmung rüber: "Ach, Iain, du hattest also doch recht", denkt Samantha, als sie von einer galaktischen Zivilisation erfährt, die keinen Mangel kennt (gemeint ist natürlich Iain Banks, Schöpfer des "Kultur"-Zyklus). Und dass, wie sie weiter hört, die Aliens Science Fiction für das wichtigste Kulturgut der Erde halten und unsere SF in der gesamten Galaxis eifrig gelesen wird ... na ja, bei aller Liebe.

Das Aufgreifen von SF-Ikonen darf da natürlich auch nicht fehlen. Für eine zweite außerirdische Partei, die für den Plot gebraucht wird, holt Erikson doch tatsächlich die kleinen Greys aus dem "Akte X"-Grab. Und wenn Samantha endlich für ihren Auftritt vor der Weltöffentlichkeit bereit ist, welche Form wählt sie dann für das Raumschiff, mit dem sie über der bangenden Menschheit einschwebt? Einen klingonischen Bird of Prey ... was auch sonst? Ich bin mir ganz sicher, dass die FUNAI ihre Mitarbeiter vor der Kontaktaufnahme mit einem isolierten Amazonas-Stamm bittet, Krampus-Masken aufzusetzen.

"Rejoice" in aller Kürze: ein typischer Fall von gut gemeint.