Ich weine der SPÖ keine Träne nach, wenn sie jetzt zu Grabe getragen wird. Und der Verfall hat schon viel früher begonnen, als man allgemein glaubt. Aber das ist einer Partei schwer zu erklären, deren Spindoktoren schon seit langem nur mehr den kurzfristigen Machterhalt im Auge hatten, dabei aber unfähig waren, umfassendere Entwicklungen in ihrem Zusammenhang zu verstehen.

Es begann mit Vranitzky

Der Abstieg begann mit der Bundeskanzlerschaft Franz Vranitzkys. Mit ihm hat die damals vielgerühmte "Entideologisierung" begonnen, die letztlich dazu geführt hat, dass die SPÖ heute nicht mehr weiß, wofür sie steht. Anstatt wirklich Politik zu machen, wie das ein Jahrzehnt zuvor noch Bruno Kreisky vorgemacht hat, gab der nüchterne Handelswissenschafter in den 80er- und 90er-Jahren nur allzu gern dem Druck des aufkeimenden Neoliberalismus nach und ging vor allem wie ein Buchhalter an die Dinge heran. Die Zahlen müssen stimmen, das Budgetdefizit darf nicht zu groß sein, das war das Dauerthema.

Ohne Unterlass kaute uns das die Regierung vor, allen voran Vranitzkys langjähriger Finanzminister Ferdinand Lacina, und die Medien lancierten das folgsam und ebenso ausdauernd an die Bevölkerung weiter. Alles war schon ganz vernebelt davon. Jede darüber hinausgehende politische Reflexion wurde damit zu Grabe getragen.

Der Reihe nach wurden Sparpakete geschnürt und der Sozialabbau vorangetrieben. Mehr noch, das klassische Bildungssystem der Universitäten wurde sukzessive zerschlagen und nach Vorstellungen von Wirtschaftsmächtigen neu aufgebaut, Privatisierung und marktwirtschaftliche Effizienz wurden zum Maßstab der Dinge, die Wohnungspreise schossen in die Höhe. Leute haben massenweise dagegen demonstriert, auch ich war dabei. Der Ring war bisweilen schwarz von Menschen.

Man hat diesen Widerstand nicht einmal ignoriert und darüber hinweg regiert, die Polizei auf uns gehetzt. Gleichzeitig hat Vranitzky groß plakatieren lassen: "Mach mit in der Politik!"

Das war an die Adresse junger Leute gerichtet, auf die sein Gesicht mild und einladend herab lächelte. Wen er wohl damit gemeint hat? Die Demonstranten können es ja nicht gewesen sein. Die Proteste sind jedenfalls versickert.

Und Wahlen konnte Vranitzky noch gewinnen, wie nach ihm keiner mehr. Nicht zuletzt konnte er mit seiner Schönheit punkten, die in aller Munde war und tatsächlich sehr zu seiner Beliebtheit beitrug. Aber grundlegender Probleme wird eine Partei auf diese Weise nicht Herr. Und so wie ich haben sich auch viele andere gemerkt, dass sie links liegen gelassen worden sind.

Die SPÖ steht kurz vor dem kompletten Kollaps.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Schleichender Verfall

Mit der Verbuchhalterung der Politik läutete Vranitzky die Selbstaufgabe der SPÖ ein. Ein weiteres Anzeichen dafür war die Umbenennung von Sozialistischer Partei in eine bloß noch Sozialdemokratische. Zeitgemäß, wie man meinte.

Über Wasser gehalten hat man sich auch lange damit, dass man gewählt werden musste, um die FPÖ zu verhindern. Auf Dauer ist das freilich zu wenig. Und klar ist auch, warum: Die SPÖ hat sich zwar in aller Deutlichkeit gegen die Blauen abgegrenzt. Sie hat aber damit nur Symptome bekämpft. Ursachen haben nicht interessiert, schon gar nicht tiefere gesellschaftliche Zusammenhänge. Stattdessen beschränkte man sich aufs Moralisieren.

Eine der größten Peinlichkeiten der jüngeren Mediengeschichte war gewiss der künstliche Hype um den sogenannten "Blair-Schröder-Kurs" in den 90ern, den man als Erfolgsgeschichte einer erneuerten europäischen Sozialdemokratie verkaufen wollte. Nichts war falscher.

Es ging dabei, wie schon der Name sagt, um eine gemeinsame Deklaration des damaligen britischen Premierministers Tony Blair und seines Amtskollegen, des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Bei Gebrauch natürlich wunderbar klingender neoliberaler Schlagwörter wurden ein Neuaufbruch der Sozialdemokratie und eine paradiesische Harmonie zwischen entfesselter Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit versprochen.

Auf dem Cover eines österreichischen Nachrichtenmagazins reihte man nun allen Ernstes und anscheinend voll Stolz auch gleich das Konterfei des vollkommen farblosen Bundeskanzlers Viktor Klima neben die Porträts der beiden markanten europäischen Politiker.

Tatsächlich bröckelten trotz aller wunderbaren Worte merkwürdigerweise gleichzeitig die Wähler der Reihe nach ab. Blair und Schröder waren bald Geschichte. Klima sowieso. Wer kennt den heute noch?

Und immer noch unbelehrbar

Nie hat die SPÖ jedoch irgendetwas aus dem anhaltenden Stimmenschwund gelernt. Sie hat immer nur weitergemacht wie gewohnt. Und hat sich in der Macht gesonnt, als hätte sie immer noch die Absolute Kreiskys.

Das Ergebnis ist bekannt. Werner Faymann, eine vollkommen nichtssagende Figur, die nicht trotzdem, sondern gerade deswegen über viele Jahre lang das Antlitz der SPÖ repräsentierte, wurde in seinen Funktionen als Bundesparteivorsitzender und Bundeskanzler endlich abgelöst, nur um der kurzlebigen Imageblasengestalt Christian Kern den Platz zu überlassen, dessen politische Leistungen sich in flachen Bluffs erschöpften. Zum Beispiel, indem er zuerst groß eine Mitgliederbefragung zum Freihandelsabkommen CETA inszenierte, an deren Ergebnis er sich dann erst recht nicht hielt. Sein allerbester Clou freilich bleibt: Zuerst anzukündigen, zehn Jahre in der Politik bleiben zu wollen, nur um dann nach kurzem der Partei einen Scherbenhaufen zu hinterlassen, davor aber schnell eine noch ungeeignetere Nachfolgerin in den Sattel zu hieven.

Die macht nun freilich auf linkspopulistisch, wie das die SPÖ schon in der Oppositionszeit der Nullerjahre vorübergehend tat, und will sich auf einmal wieder für die kleinen Leute einsetzen. Wie glaubwürdig ist das alles aber noch? (Ortwin Rosner, 27.11.2019)

Weitere Beiträge des Bloggers