Gerhard Zeiler (64) bringt am Tag nach der Niederlage der SPÖ in der Steiermark ein Buch zum Zustand der Sozialdemokratie auf den Markt.

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Die Verkaufszahlen eines kritischen Buches zur SPÖ verhalten sich umgekehrt proportional zu deren Wahlergebnissen. So könnte jedenfalls die Hypothese des Brandstätter-Verlags gelautet haben, um Gerhard Zeilers Buch "Leidenschaftlich rot" just am Tag nach der steirischen Landtagswahl auf den Markt zu bringen. Spekulationen, wonach es sich bei dem Werk um ein Bewerbungsschreiben für den SPÖ-Vorsitz handeln könnte, weist der 64-Jährige bereits im Vorwort zurück. In den vergangenen Jahren – und zuletzt heuer im Juni – war Zeiler immer wieder für den roten Chefposten im Gespräch gewesen und hatte diesen bisweilen auch "explizit angestrebt", wie er bekennt. Aber: "Diese Zeiten sind vorbei."

Ansagen für die Vergangenheit

Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Zeiler große Stücke auf Christian Kern hielt. Nach der Revolte gegen Werner Faymann im Jahr 2016 hatte er Kern noch als "gut im Teamführen" bezeichnet und ihm eine Zukunft als "sehr guter Parteivorsitzender" bescheinigt. Heute liest sich Zeilers Urteil anders. Kern sei der negative Gipfelpunkt einer Reihe von Parteichefs gewesen, die die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie erschüttert hätten. Der letzte SPÖ-Kanzler zeichne sich durch übermäßige Eitelkeit und eine "unzulängliche Fähigkeit, in einem Team zu arbeiten", aus. Zeiler schreibt weiter: "Hätte ich nur annähernd geahnt, aus welchem Persönlichkeitsholz Christian Kern geschnitzt ist, wäre ich im Mai 2016 in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gegen ihn angetreten." Im historischen Konjunktiv lassen sich leicht Fehdehandschuhe hinwerfen.

Generell misst Zeiler der charakterlichen Eignung des politischen Personals hohe Bedeutung bei. Gleichsam als Gegenmodell zu Kern schwebt Zeiler vor, dass man "im Sinne des griechischen Philosophen Platon (...) nur den ehrlichsten, tugendhaftesten und intelligentesten Menschen, die ihre Charakterfestigkeit über einen langen Zeitraum bewiesen hatten, das Regieren anvertrauen sollte". Dass die gemäß Platons Entwurf (undemokratisch) Regierenden weder Familie noch Privateigentum haben sollen, verschweigt der gut betuchte Medienmanager wohlweislich.

Mehr Macron, weniger Corbyn

Es würde auch nicht so recht zu den wirtschaftspolitischen Positionen passen, die Zeiler im Fortgang des Buches entfaltet. Die Sozialdemokratie müsse das Bündnis mit den Unternehmern suchen und ein allzu kantiges Auftreten gegen sie vermeiden, sonst entstehe eine "falsche Polarisierung". Daher sei auch der rote Plakatslogan "Menschen statt Konzerne" im jüngsten Europawahlkampf verfehlt gewesen, meint Zeiler. Zudem sei der Widerstand der SPÖ gegen die Arbeitszeitflexibilisierung "weltfremd"; die Ladenöffnungszeiten gehörten dereguliert, und überhaupt solle man sich weniger an Jeremy Corbyn orientieren als an Emmanuel Macron, den Zeiler in recht weiter Auslegung des Begriffs der Sozialdemokratie zurechnet.

Als Mann des "Dritten Weges" mit neoliberaler Schlagseite will sich Zeiler gleichwohl nicht verstanden wissen. Er kritisiert die Dominanz entfesselter Finanzmärkte und hält einen Mindestlohn von 1.700 Euro für geboten. Dieser solle allerdings gesetzlich festgeschrieben und entgegen österreichischen Usancen nicht über die Kollektivverträge von den Sozialpartnern ausgehandelt werden, "auch wenn Gewerkschaften und Wirtschaftskammer dagegen Sturm laufen werden".

Wenig originell

Den vermeintlich spannendsten Teil des Buches bilden Zeilers zehn Thesen zur Migration sowie seine Ratschläge für das SPÖ-Programm. All dies ist jedoch weder besonders konkret noch allzu originell – Mainstream eben. Einwanderung sei nötig, müsse aber begrenzt werden; gelingende Integration hänge von beiden Seiten ab; politischer Islam in den Schulen sei ein Problem. Die Digitalisierung sei irgendwie wichtig, Ganztagsschulen gut, Verwaltungsreformen sowieso; und eine CO2-Steuer müsse sozial verträglich gestaltet werden. Wer darin eine Streitschrift erblickt, hat noch keine gelesen. Keine Rede ist in Zeilers Buch hingegen von mehr innerparteilicher Mitbestimmung inklusive einer Direktwahl des Parteivorsitzes durch die Basis, wie sie von Verfechtern einer SPÖ-Reform seit Jahren erfolglos gefordert wird.

Ermüdend werden Zeilers Zeilen dort, wo Management-Geschwurbel und SPÖ-Diktion eine unheilige Allianz eingehen. Etwa: "Wir müssen die gesellschaftlichen Regularien hinsichtlich der technologischen Entwicklungen aktiv gestalten, um sicherzustellen, dass diese die Gesellschaft zum Positiven verändern. Und wir müssen dies in einer Geschwindigkeit tun, die mit der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung Schritt hält. Sozialdemokratische Politik kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Denn sozialdemokratische Politik hat letztlich nur ein Ziel: die Welt zum Positiven zu verändern."

Lesenswerter als Gegenwartsdiagnostik und Zukunftsschau nehmen sich jene Passagen aus, in denen Zeiler in seine persönliche Vergangenheit blickt, besonders in die erste Hälfte der 1980er-Jahre, als er Pressesprecher von Fred Sinowatz war. Wer beispielsweise mehr über die Konfliktlinien innerhalb der bislang einzigen rot-blauen Koalition auf Bundesebene zwischen 1983 und 1986 wissen will, wird mit der griffigen Nacherzählung eines Insiders belohnt. Dafür hätte man jedoch nicht bis zur Wahlniederlage der Genossen in der Steiermark warten müssen. (Theo Anders, 25.11.2019)