1976 spielten die Rolling Stones ein Konzert in Paris. Hans Peter Falkner stellte seinen Kassettenrekorder vor den Fernseher und nahm das Konzert auf, während sein Vater im Nebenzimmer auf der Ziehharmonika spielte. Als er sich die Aufnahme, auf der Rock- und Volksmusik zusammenkrachen, wieder anhörte, war er begeistert. Das Sounderlebnis bezeichnet er als die Geburtsstunde von Attwenger. Die Band, bestehend aus ihm und Markus Binder, verbindet Mundartmusik mit Punk, Techno, Hip-Hop, sowie Dub und Rockabilly. Ein Markenzeichen der Band sind ihre dadaistischen Texte. Von der Album- und Kassettenproduktion über die CD bis zum Internetdownload und dem Revival der Vinylschallplatte hat Falkner die grundlegenden Veränderungen in der Musikproduktion der letzten Jahrzehnte miterlebt und sieht diese durchaus kritisch.

Audiokassetten als historische Quelle.
Foto: Österreichische Mediathek

Neue Medien, neuer Umgang

Im digitalen Zeitalter hat sich der Umgang mit Medien grundlegend verändert. Das Demokratisierungsversprechen der digitalen Revolution verwandelt sich zusehends in einen politischen und gesellschaftlichen Albtraum, wie spätestens mit dem Cambridge-Analytica-Skandal öffentlich wurde. Internetgiganten verdienen Milliarden mit persönlichen Daten.

Digital Natives, wie die SchülerInnen des Abendgymnasiums Wien, die die Mediathek besucht haben, sind sich bewusst, dass Algorithmen unser Verhalten vorhersagen und manipulieren. Der "Kontrollverlust" bereitet den jungen Erwachsenen Unbehagen. Neid und Unsicherheit werden durch den ständigen Vergleich mit den sorgfältig inszenierten Profilen anderer User geschürt - doch Likes sorgen für den täglichen Dopaminkick.

Fakt ist, soziale Medien gehören zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln. Öffentlichkeit findet immer häufiger in Form audiovisueller Kommunikation auf der Bühne sozialer Medien statt. Die schier unendlichen Speicher- und Austauschmöglichkeiten sind aber auch eine Chance, weil so ein großer Bestand an audiovisuellem Kulturgut zur Verfügung steht.

Klingende Geschichte(n) 

Im Archiv der Österreichischen Mediathek fanden die SchülerInnen Aufnahmen von zeithistorischen politischen Reden besonders aufschlussreich. "Wir fanden es grundsätzlich schon einmal interessant, dass diese Aufnahme überhaupt existiert. Es ist so spannend, dass man hören, nicht nur lesen kann, was vor 80 Jahren gesagt wurde. (...) Wir hören, wie Ideologie klingt, in den Geschichtebüchern steht es zwar, aber man versteht es viel besser, wenn man hört, dass die Menge 'Reich' hört und daraufhin alle schreien", kommentieren sie die Audioaufnahme von der Ansprache Adolf Hitlers 1938 am Vorabend der Großkundgebung auf dem Wiener Heldenplatz.

Historische Medienübertragung.
Foto: Österreichische Mediathek

Im Gegenzug zur reinen Transkription von Redeinhalten bieten audiovisuelle Dokumente die Möglichkeit, über den Text einer politischen Ansprache hinaus, deren Klang, Intonation, Rhetorik und damit auch deren akustische Wirkung hörbar und besser nachvollziehbar zu machen. Diese zusätzlichen Bedeutungsebenen, wie Akzentuierung, Verzögerungen beim Sprechen sowie Gestik und Mimik, die bei Videoaufnahmen noch dazukommen, sind auch für die wissenschaftliche Forschung interessant, weiß der Zeithistoriker Oliver Rathkolb.

Der Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien und ehemalige Leiter der Stiftung Bruno-Kreisky-Archiv ist sein eigener Medienarchivar. In seinem Privatarchiv findet sich Material seiner eigenen Forschungstätigkeit und besonders die großen zeithistorischen Debatten, die ihren Niederschlag auch in umfangreichen Radiobeiträgen sowie Fernsehformaten fanden. Als "innenpolitische Bombe" und "wichtigen Beitrag auf dem Wege zur Aufgabe der österreichischen Selbstsicht, bloß Opfer des deutschen Nationalsozialismus geworden zu sein", beschreibt Rathkolb die Präsentation des Berichtes der Historikerkommission über die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim im Jahr 1988. Im Beitrag des Mittagsjournals, den der Zeithistoriker aus dem Archiv ausgewählt hat, werden Aussagen Waldheims dem Bericht der internationalen Historikerkommission gegenübergestellt.

Literatur, Politik und Musik auf gefährdeten Trägern.
Foto: Österreichische Mediathek

Erinnerungen hören

Für Johanna Rachinger, die seit 2001 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek ist, haben Aufnahmen literarischer Texte, die von den VerfasserInnen selbst gelesen werden, einen besonderen Reiz. Seit Beginn der 1960er Jahre nimmt die Österreichische Mediathek Veranstaltungen des kulturellen Lebens in Österreich, vor allem in Wien, auf Tonträger auf. Die von der Österreichischen Mediathek angefertigten Tonaufnahmen sind Unikate und beinhalten unter anderem Lesungen mit Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Elias Canetti, Heimito Doderer, Elfriede Jelinek, Ernst Jandl oder Erwin Ringel. Der Bestand dieser kulturhistorisch wertvollen Aufnahmen gehört auch zum "Österreichischen Nationalen Memory of the World Register". „Die Eigenaufnahmen der Österreichischen Mediathek zur Literatur sind wertvolle literarische Quellen und essentieller Teil unseres nationalen Kulturerbes", so Rachinger.

Aus über zwölf Nationen stammten die rund 20 Musiker des Vienna Philharmonic Women's Orchestra, das 1999 von Izabella Shareyko gegründet wurde. Die gebürtige Polin kam 1989 zum Dirigier-Studium nach Wien. Aus dieser Zeit stammt auch ihre innige Beziehung zur Österreichischen Mediathek (damals Phonothek), wo sie zahlreiche musikalische Schätze entdeckte und die sie bis heute als Recherchestätte nutzt. Aus dem Archiv wählte Shareyko eine Aufnahme von Bronisław Huberman aus. "Das heute vergessene Genie war ein polnischer Geigenvirtuose, Komponist, Organisator des Kulturlebens, Schriftsteller, Pädagoge, Gelehrter, Politiker und ein großer Humanist. Ein überzeugter Paneuropäer, der seine Ideen, Prinzipien und Ideale, die denen der heutigen Europäischen Union sehr stark ähneln, schon vor hundert Jahren umzusetzen versuchte", erzählt die Dirigentin. Welcher Aspekt an einer Aufnahme besonders interessant ist, ist oft nicht einfach zu bestimmen. Neben bedeutenden Interpreten, Dirigenten oder Komponisten kann es, wie in diesem Fall, auch der Klang eines Instruments sein.

Für die Ausstellung wurde unter anderem Lotte Tobisch und Gabriele Zuna-Kratky interviewt.
Foto: Österreichische Mediathek

Der Historiker Georg Traska hat für die Online-Ausstellung "Meine Mediathek – Curated by …" Gespräche mit unterschiedlichen Menschen über den Einfluss von Medien auf ihre eigene Biografie geführt. Welche Aufnahmen haben unsere Sicht auf historische Ereignisse geprägt? Was davon soll unbedingt bewahrt werden und welche Aufnahmen sollen von uns bleiben? Die Ausstellung möchte sowohl auf die Vielfalt als auch auf die Fragilität unseres audiovisuellen Erbes hinweisen. (Marion Oberhofer, 28.11.2019)

Marion Oberhofer ist Kulturjournalistin in Bozen und Wien und bloggt für die Österreichische Mediathek.

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