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Das eingestürzte Viadukt auf der italienischen A6 zwischen Savona und Turin.

Foto: Reuters

Seit Sonntagnachmittag hat Italien wieder einen neuen Helden: Der 56-jährige Daniele Cassol war mit seinem Fiat Panda auf der Autobahn A6 von Savona nach Turin unterwegs, als er im strömenden Regen sah, dass sich auf der Straße vor ihm ein Abgrund auftat. Er hielt an, stieg aus, brüllte und fuchtelte mit den Armen, um die hinter ihm folgenden Autos, darunter einen Reisebus, vor der Gefahr zu warnen. Cassols Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass es bei dem neuerlichen Brückeneinsturz nicht wieder Tote gegeben hat – wie am 14. August des vergangenen Jahres, als beim Einsturz des Morandi-Viadukts in Genua 43 Menschen das Leben verloren. "Ich weiß selbst nicht, wie es mir gelang, noch zu bremsen. Es ist ein Wunder", erklärte Cassol im Fernsehen.

Im Unterschied zum Morandi-Viadukt war es bei der am Sonntag eingestürzten Brücke Madonna del Monte auf der A6 nicht mangelnde Wartung, die zur Beinahe-Katastrophe führte: Nach den bisherigen Erkenntnissen wurde das Viadukt von einem Erdrutsch weggerissen. Auch mehrere andere Straßen vor allem in Norditalien sind am Wochenende verschüttet oder unterspült worden. Ganz Italien ist in den vergangenen Tagen von schweren Unwettern heimgesucht worden; auch in Süditalien ist es zu zahlreichen Überflutungen gekommen. In Ligurien und im Piemont ist gebietsweise innerhalb von 36 Stunden halb so viel Niederschlag gefallen wie sonst in einem ganzen Jahr.

Provinzverwaltungen in Geldnot

Der Brückeneinsturz hat in Italien einmal mehr die Diskussionen über den zum Teil erbärmlichen Zustand der mehr als 7.000 Brücken und Viadukte im Land angeheizt. Rund 1.900 dieser Bauwerke werden laut einem Bericht des italienischen Rechnungshofs nicht überwacht und dementsprechend auch nicht gewartet. Dies liegt unter anderem daran, dass für insgesamt 132.000 Straßenkilometer die Provinzverwaltungen zuständig wären – seit dem Versuch von Expremier Matteo Renzi, die Provinzen abzuschaffen, leiden diese aber unter chronischer Unterfinanzierung. Auch für die Schulhäuser wären die Provinzen zuständig – und auch die Schulen befinden sich zum Teil in einem Zustand, dass sie eigentlich aus Sicherheitsgründen geschlossen werden müssten.

Der mangelnde Unterhalt ist aber nicht nur auf den chronischen Geldmangel im überschuldeten Italien zurückzuführen. Für Hunderte von Sanierungen und Infrastrukturprojekten lägen bewilligte Kredite in der Höhe von insgesamt zwölf Milliarden Euro vor; dennoch werden die Bauarbeiten nicht in Angriff genommen. Der Grund liegt in den extrem langwierigen bürokratischen Abläufen in der Zentralverwaltung, die zur Freigabe der Finanzmittel erforderlich sind. Das italienische Forschungsinstitut Ref Ricerche, das die Behörden bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten unterstützt und berät, hat kürzlich errechnet, dass sich infolge von Sparmaßnahmen und bürokratischen Hürden in Italien seit 2011 ein Rückstand bei den Sanierungen in der Höhe von 70 Milliarden Euro aufgestaut hat.

Vorwürfe auch an private Betreiber

Nicht viel besser sieht es zum Teil bei den privaten Autobahnbetreibern aus, die sich aus Mautgebühren finanzieren und zum regelmäßigen Unterhalt ihrer Straßen und Brücken verpflichtet wären. Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Autobahn-Betreibergesellschaft Atlantia offenbar über die Einsturzgefahr des Morandi-Viadukts Bescheid gewusst, aber die entsprechenden Sanierungsmaßnahmen trotzdem vernachlässigt habe. Laut italienischen Medienberichten soll es entsprechende Warnungen auch noch bei 15 anderen Viadukten – nicht nur bei Autobahnen der Atlantia – geben. Inzwischen befassen sich die Staatsanwaltschaften mit den Verdachtsfällen. (Domink Straub, 25.11.2019)