Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sieht die Rolle seines Landes in der EU gestärkt.

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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán stellte in seiner wöchentlichen Rundfunksendung am Freitag fest, dass Ungarn mit der Vergabe des Postens des EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissars an seinen Kandidaten Olivér Várhelyi den größten diplomatischen Erfolg der letzten zehn Jahre, d. h. seit der Amtsübernahme der Fidesz-Regierung, errungen habe. Dieses Portfolio sei das wichtigste in den kommenden fünf Jahren, weil dieses die Fragen der Migration und der Sicherheit berühre. „Es handelt sich um einen großen Triumph für uns, weil die ungarische Opposition und auch George Soros persönlich alles getan haben, um unseren Kandidaten zu Fall zu bringen“, sagte der höchst zufriedene Regierungschef. Abgesehen von den üblichen bizarren Ausfällen gegen den amerikanisch-ungarischen Investor und Philantropen hat Orbán recht.

Schlüsselposition

Dass Ursula von der Leyen, die designierte Kommissionspräsidentin, von Anfang an diese Schlüsselposition, die der Österreicher Johannes Hahn so glänzend besetzt hatte, dem Vertreter des Orbán-Regimes zugewiesen hatte, war wieder einmal ein Zeichen dafür, dass die EU im Begriffe ist, sich von einer Gemeinschaft der Werte zu einer der Heuchler zu wandeln. Nach einem Jahrzehnt der Warnungen und Proteste bekommt die so stark kritisierte Orbán-Regierung den Hebel zur Stärkung ihres Einflusses nicht nur in den auf Mitgliedschaft drängenden Balkanstaaten, sondern auch im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland und sogar in Aserbaidschan und im Kaukasus. Orbán prahlte nicht nur mit seinen Erfolgen, sondern lehnte die von von der Leyen indirekt angekündigte „solidarische nachhaltige Lösung bei dem Verteilmechanismus“ für die Regelung der Migration ebenso unmissverständlich ab wie „den Unsinn“ der Idee, die EU-Förderung an Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen.

Die scharfe Stellungnahme des neugewählten Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), des früheren polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, „gegen politische Populisten, Manipulatoren und Autokraten“ in seiner Rede bei dem Zagreber EVP-Kongress scheint den vermeintlichen Hauptadressaten überhaupt nicht einzuschüchtern. Die Fidesz-Partei tut nämlich von Anfang an so, als ob sie selbst ihre Mitgliedschaft in der EVP bis auf weiteres suspendiert hätte, und nicht umgekehrt. Deshalb sagt Orbán auch jetzt vollmundig, seine Partei habe noch nicht entschieden, ob sie ihren Platz weiterhin in der EVP sehe!

Neue europäische Strategie

Auch die gleichzeitige Blockade der Aufnahme von Verhandlungen der EU mit Nordmazedonien und Albanien, gekoppelt mit den Vorschusslorbeeren Emmanuel Macrons an die Adresse Orbáns als willkommenen Partner bei der Ausarbeitung einer neuen europäischen Strategie der Annäherung an Russland, lassen die Kehrtwende des einstigen Hoffnungsträgers der EU erkennen. In Italien versinkt die regierende Fünf-Sterne-Bewegung ins Chaos, und der rechtspopulistische Lega-Chef Matteo Salvini ist im Vormarsch. Die Außen- und Europapolitik der deutschen Koalitionsregierung bleibt gelähmt.

Vor diesem Hintergrund behauptet Martin Selmayr, der Leiter der EU-Vertretung in Wien, die EU sei „stabiler als je zuvor“. Eine Hochkonjunktur der Heuchler! (Paul Lendvai, 25.11.2019)