Noch trotzt die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner der anhaltenden Kritik.

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Wählerinnen und Wähler orientieren sich bei ihrer Entscheidung an Spitzenkandidaten – und es ist konsequent, dass der steirische Spitzenkandidat Michael Schickhofer die Verantwortung für das schlechte Abschneiden der SPÖ übernommen hat. Vorsitzender weg, Problem gelöst? Natürlich nicht.

Bekanntlich gibt es da noch eine zweite Ebene – die ideologische Ausrichtung der Partei. Für die SPÖ war das jahrzehntelang klar: Man steht für Solidarität, fortschrittliche Politik und gegen Faschismus. Letzteres wurde in der Bundes-SPÖ und in etlichen Landesparteien seit 1986, als Jörg Haider die FPÖ übernommen hat, als Abgrenzung gegen die Freiheitlichen verstanden – und zwar solange rot-blaue Koalitionen zumindest theoretisch möglich waren. Die Frage einer gemeinsamen Politik mit der FPÖ stellt sich kaum noch, seit Sonntag auch nicht mehr in der Steiermark.

Entfremdung von der Partei

Wahrscheinlich ist das aber vielen potenziellen Wählern der SPÖ gar nicht so wichtig. Die Entfremdung von der Partei hat weniger damit zu tun, dass die große Erzählung von einer besseren Welt mit weniger Ausbeutung und mehr Zusammenhalt nicht mehr so recht funktioniert. Sie lässt sich viel mehr damit erklären, dass sich die große Erzählung nicht mehr in konkret spürbaren Verbesserungen niederschlägt.

Das war ja das Erfolgsgeheimnis der Sozialdemokratie – sie setzte den Inhalt des alten Arbeiterlieds um: „Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen: / Dass Arbeit uns und Brot gerüstet stehen; / Dass unsere Kinder in der Schule lernen / Und unsere Alten nicht mehr betteln gehn.“ Schulbesuch und Altersversorgung sind selbstverständlich geworden, hungern muss niemand, und beim Beschäftigtenstand gibt es regelmäßig Rekorde zu vermelden – auch wenn derzeit 288.033 Personen als arbeitslos gemeldet sind.

Diese Erfolgsgeschichte war eng verbunden mit einer Arbeiterkultur, die das sozialdemokratische Bewusstsein geprägt hat – vom erwähnten Arbeitergesang über allerhand nur am Rande politische Vereine bis hin zu Gemeindewohnungen und Protektion bei der Vergabe von Arbeitsplätzen: Man hat gewusst, was man der Partei verdankt, man konnte sich auf die Genossinnen und Genossen verlassen – und hat daher auch die weitergehenden Ziele gern mitgetragen.

Zur alten Arbeiterkultur zurückfinden

Immer öfter aber kann die Partei nicht mehr helfen – und wenn das fünfte Schreiben wegen eines ungünstigen Fahrplans, eines klappernden Kanaldeckels, einer als ungerecht empfundenen Wohnungsvergabe oder des wachsenden Arbeitsdrucks im gemeindeeigenen Betrieb nichts bewirkt, glaubt halt auch mancher Genosse, dass die Partei sich nicht interessiere und überhaupt die Ausländer an allem schuld wären.

Klarerweise ist es nicht einfach, zur alten Arbeiterkultur zurückzufinden, und es braucht Erklärungsaufwand, wenn man heute Solidarität mit den Schwachen (das sind in unserem Land oft Migranten) einfordert.

Und es bedarf konkreter Angebote und Beispiele, wie man es besser machen würde, wenn man die Macht dazu (wieder) hätte. Der landesweite Mindestlohn im Burgenland wäre ein solches Beispiel. Die SPÖ muss diese Macht nutzen, wo sie das noch kann. Wo diese verloren ist, wird man sie nicht mit Personaldebatten und Salondiskussionen zurückgewinnen, sondern mit konkreter Politik in Sektionen, Gemeinden und in den Ländern. (Conrad Seidl, 26.11.2019)