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3.000 Fälle von Freiheitsbeschränkung in Heimen für Minderjährige wurden in einem Jahr gemeldet, 16 davon gingen vor Gericht.

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Tausenden Kindern wird in Österreich ihre Freiheit genommen. Wie vielen tatsächlich, ist unklar. Zwei Zahlen geben zumindest Anhaltspunkte.

Die erste ist die Zahl 3000. So viele Fälle von Freiheitsbeschränkung in Einrichtungen zur Pflege und Erziehung Minderjähriger wurden dem VertretungsNetz innerhalb eines Jahres ab Juli 2018 gemeldet. Die zweite Zahl ist 10.000. So viele Kinder werden in Österreich staatlich festgehalten, schreibt das Ludwig-Boltzmann-Institut in einer kürzlich veröffentlichten Studie.

"Wir haben einen blinden Fleck in der gesellschaftlichen Wahrnehmung", sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk dazu. Die Praxis des Rechtssystems würde zeigen: Wenn es um die fehlende Freiheit von Kindern geht, wird oft weggesehen.

Um diese Situation in Heimen für Minderjährige zu verbessern, wurde das Heimaufenthaltsgesetz im letzten Sommer novelliert. Es schließt seitdem auch Einrichtungen zur Pflege und Erziehung Minderjähriger und Sonderschulen ein und regelt, wann und unter welchen Umständen die Freiheit beschränkt werden darf.

Das nämlich ist nur dann erlaubt, wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, wenn die Beschränkung dokumentiert und gemeldet wird und wenn das gelindeste Mittel angewendet wird. Vertretungsnetzwerke und die Volksanwaltschaft kontrollieren gemeldete Fälle und machen unangekündigte Besuche.

3000 Fälle von Beschränkung

Vier solche Netzwerke gibt es. Dem VertretungsNetz, dem größten davon, wurden innerhalb eines Jahres 3000 Fälle gemeldet, betroffen davon waren 1100 Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Susanne Jaquemar, Fachbereichsleiterin vom VertretungsNetz, sagt: "Es kommt in Kinder- und Jugendeinrichtungen zum Festhalten dazu, dass ein Zimmer oder eine Tür versperrt wird oder dass Minderjährige mit Psychopharmaka sediert werden." Ist eine Beschränkung inakzeptabel, leitet die Bewohnervertretung eine Überprüfung ein, diese kann bis zum Bezirksgericht gehen. 16 solcher Gerichtsverfahren kamen bisher zustande, dabei wurden 36 Beschränkungen überprüft.

In einem Fall etwa ordnete das Gericht an, dass das pädagogische Konzept einer Einrichtung überarbeitet werden musste. Eine Neunjährige sei, wenn sie sich auffällig verhielt, regelmäßig von Betreuungspersonen festgehalten worden, sagt Jaquemar. Sie hätte auf diese Art nach einer Form körperlicher Zuneigung gesucht: "Dass es die dann nur durch Gewalt gab, ist erschreckend."

Auch die Volksanwaltschaft kontrolliert, ob Heimkindern ihr Menschenrecht der Freiheit genommen wird. "Wenn ein Kind nach dem Motto ‚So beruhigt es sich‘ über längere Zeit isoliert oder weggesperrt wird, dann ist das nicht das gelindeste Mittel", sagt Volksanwalt Amon Achitz dazu. Manchmal aber sei es das einzige Mittel, dass Betreuungspersonen zur Verfügung haben, es bräuchte also Deeskalationskonzepte. "Das Personal muss geschult werden, um das auch ohne Wegsperren zu schafften", sagt Achitz.

10.000 Kinder ohne Freiheit

Eine Uno-Studie fasst den Begriff Freiheit enger. Sie trägt den Titel "UN Global Study on Children Deprived of Liberty" und wurde diesen Monat vorgestellt.

Dieser zufolge wird in Österreich aktuell 10.000 Kindern ihre Freiheit entzogen – etwa dann, wenn sie in Schub- oder Untersuchungshaft sind, aber auch in anderen Institutionen, aus denen sie nicht ohne Weiteres hinauskönnen. Darunter fallen laut Studienautor und Menschenrechtsexperte Mafred Nowak etwa große Heime mit straffem Regelsystem.

Er plädiert für deren Abschaffung, stattdessen wären kleine Einrichtungen oder Familien besser für das Kindeswohl. (Gabriele Scherndl, 26.11.2019)