Ob das eigentlich Spaß mache, fragte eine Kollegin, als ich vergangenen Donnerstag dann kurz gegen halb neun Uhr morgens im Büro aufschlug, meine klatschnassen Laufschuhe in ein Plastiksackerl stopfte, den Beutel mit dem trockenen Gewand und dem Handtuch schnappte und fragte, ob der Putztrupp eh schon fertig sei. Weil ich sonst nämlich mit dem Duschen warten müsste, bis die Damen ihr Zeug … – aber das ist eigentlich eine andere Geschichte als die, die ich heute erzählen möchte.

Denn die Kollegin mit der "Macht das eigentlich Spaß"-Frage ist nicht die Einzige, die mich nach solchen Läufen anschaut, als wäre ich nicht nur ein bisserl plemplem. Und es ist ja nicht so, dass ich das nicht nachvollziehen könnte.

Foto: thomas rottenberg

Schließlich ist es nicht jedermanns (und -fraus) Sache, bei nasskalt-windigem Wetter in aller Herrgottsfrüh loszurennen. Nicht im Frühling und im Sommer, aber schon gar nicht im Herbst, der mutmaßlich elendsten Jahreszeit für Morgensport: Es ist dunkel. Es ist windig. Es ist kalt, nicht ehrlich-winterlich, sondern gfernst-ungut: Novemberkälte ist fies – weil sie einem über die Feuchtigkeit in die Knochen kriecht. Und sich nicht nur dort, sondern überall festsetzt.

Also auch im Kopf: Hätte mir die Kollegin die Frage nach dem Spaß an der Sache zwei Stunden früher gestellt, hätte ich vermutlich "Nö" gesagt – und wäre mit ihr zum Starbucks rübergewabert. Aber um halb sieben Uhr morgens sind Journalistinnen selten im Office. Da gehören Redaktionen den Putztrupps. Und diese Damen fragen nicht, sie haben sich längst an mich gewöhnt. Für einen Spinner halten sie mich aber vermutlich trotzdem. Es sei ihnen unbenommen.

Foto: thomas rottenberg

Diesmal aber lachte ich die Kollegin fröhlich an: "Ja, es macht Spaß. Richtig Spaß. Und heute ganz besonders." Sie sah nur ganz leicht irritiert drein: "Also: Es hat sechs Grad, der Wind pfeift, in der Nacht hat es geschüttet – und du strahlst, als hättest du gerade einen Lottosechser gemacht. Muss man sich jetzt endgültig Sorgen um dich machen?" Ich grinste. "Nö, alles gut – aber das war jetzt einfach superfein. Ein kurzer, schneller Test – und der ging gut. Wider Erwarten. Wenn nix dazwischenkommt, wird das nächste Woche eine feine Party."

Sie runzelte die Stirn. "Wovon sprichst du eigentlich?" Ich: "Du musst jetzt stark sein. Du willst das nicht hören. Nicht, wenn du im trüb-grau-grausig-nasskalten Wien sitzt. Sitzen musst." – "?" – Ich sagte es ihr – und konnte mich gerade noch wegducken, als sie mit der Heftklammermaschine nach mir warf. "Schleich dich! Ich red nie wieder mit dir!"

Foto: thomas rottenberg

Ich verstehe die Kollegin. Und hätte vermutlich ganz ähnlich reagiert. Denn während Sie diesen Text lesen und vor dem Fenster ziemlich sicher einen trüb-grauen Tag sehen, den der Anblick der grantigen, dick eingemümmelten Mitmenschen in der U-Bahn nicht unbedingt fröhlicher machte, bin ich anderswo, schaue in einen blauen Himmel und suche nach der Sonnencreme. Dienstlich, versteht sich. Denn am Freitag werde ich hier in der Wüste einen Halbmarathon laufen.

"Hier", das ist Eilat. Und falls Sie nicht wissen, wo oder was Eilat ist, kommt hier der Wikipedia-Link und der erste Erklärsatz, den das Netz anbietet: "Eilat ist eine Hafenstadt und ein Urlaubsort am Roten Meer im Süden Israels, nahe Jordanien. Ihre Strände sind für ihr ruhiges Wasser bekannt, wie etwa am Dolphin Reef, wo die namensgebenden Meeressäugetiere häufig zu sehen sind. Die Coral Beach Nature Reserve ist ein beliebter Ort zum Schnorcheln."

© www.marathonisrael.co.il/

Ich bin tatsächlich dienstlich hier: Die Einladung zum Eilat Desert Marathon kam relativ kurzfristig und überraschend. Und ist die einzige Einladung, die ich diesen Herbst annehmen werde, obwohl der Spätherbst Lauf-Reise-Hochsaison ist: So wird etwa gefühlt jeder zweite meiner Laufbuddies dieses Wochenende in Valencia an den Start gehen.

Ich hatte das eigentlich auch vor, aber im Gegensatz zu Valencia kann ich im Negev (so heißt Israels Wüste) auch einen Halbmarathon laufen. Oder einfach nur einen Zehner. Oder einen Quickie über 5 k hinlegen.

Und auch wenn ich weiß, dass ich 42 k schon irgendwie runterwuzzeln könnte, weiß ich auch, dass ich derzeit alles andere als marathonfit bin: Ein Halber sollte gehen, aber der Ganze wäre dann eben doch eine Quälerei. Nicht nur für die Beine, sondern vor allem im Kopf. Und Laufen, die Langstrecke, ist vor allem eines: Kopfsache.

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Der Wiener Morgenlauf am Donnerstag war dafür dann so etwas wie meine Generalprobe: Zwei Kilometer lockeres Einlaufen, zwölf in der angepeilten Wettkampfpace, zwei Auslaufen.

Und sowohl Harald als auch mir war klar, dass das weniger eine Frage von Kraft und Kondition sein würde, als eben eine für den Kopf: Es war ein langes, aber vor allem kein einfaches Jahr. Auf 1.001 Arten und aus 1.002 Gründen. Mit Sport an sich hatten die Wenigsten davon unmittelbar etwas zu tun – aber weil alles mit allem zusammenhängt … und so weiter.

Foto: thomas rottenberg

Es war dunkel. Es war nass. Es war gatschig. Es war windig. Und zumindest anfangs auch kalt. Aber manchmal ist das alles egal. Weil da – trotz schwerer und müder Beine beim Einlaufen und der Frage aus den Beinen an den Kopf im Augenblick des Hochschaltens auf Wettkampf, ob das jetzt tatsächlich ernst gemeint sei – irgendwann der Moment kommt, in dem man spürt, dass "es" läuft. Dass da etwas funktioniert, was man sich selbst nicht zugetraut hätte.

Was man, als der Trainer es in den Plan schrieb, nur mit einem höhnisch-verzweifelten Aufjaulen kommentiert hatte. Weil Kopf und Beine sicher gewesen waren, dass das nicht gehen würde. Nicht gehen konnte.

Aber Harald hatte sich von meinem Veto nicht beirren lassen: "Tu es einfach. Probier es zumindest. Gejammert wird danach – wenn überhaupt."

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Das klingt jetzt so, als wäre ich schnell unterwegs gewesen. Nein, das war ich nicht. Ich bin nicht nur 16 k, sondern auch weit längere Strecken schon weit schneller gelaufen. Und im Vergleich mit wirklich schnellen Läuferinnen und Läufern ist das, was ich da auf den Boden bringe, sowieso eher Einpark- als Autobahntempo.

Nur geht es darum halt nicht. Um den Vergleich mit anderen sowieso nie – aber auch um den Wettkampf mit sich selbst nur bedingt: Weil die bloßen Zahlen nichts darüber aussagen, was rundherum – im Job, in der Familie, im Freundeskreis – los ist. Oder war. Weil sich all das nicht in Zahlen übersetzen lässt.

Foto: thomas rottenberg

Aber in Gefühle umso mehr: Diese 16 trüb-grauen Kilometer im nasskalten Pratergatsch waren genau deshalb super, wichtig und grandios.

Sie machten genau deshalb Spaß, währenddessen und erst recht im Nachhinein.

Aber zu versuchen, das einer Kollegin zu erklären, die zwar schlau, nett und sympathisch ist, aber von (aktivem) Sport in etwa so viel hält wie von den Taliban und der Prügelstrafe an der Schule, ist sinnlos. Erst recht, wenn man weiß, dass sie auch tagsüber und im Schritttempo die Schönheit eines herbstlichen Laubwaldes nicht erkennen oder zu schätzen wissen würde: Es ist einfach nicht ihr Ding.

Foto: thomas rottenberg

Im Gegensatz zu Eilat. Das schrieb sie mir dann später an diesem Tag: "Ich werde zwar nie verstehen, wieso irgendjemand freiwillig durch die Wüste rennt, wenn er auch am Pool liegen könnte – aber jeder, wie er mag. Nur eine Bitte: Schick um Himmels Willen kein Foto vom Roten oder vom Toten Meer. Oder von Sonne und blauem Himmel: Wir müssen hier schließlich arbeiten!"

Dass ich dieser Bitte nicht Folge leisten werde, weiß die Kollegin natürlich sehr genau. Vermutlich schicke ich ihr sogar eine echte Ansichtskarte, weil man die nicht so rasch wegliken kann wie ein Insta-Posting.

Und ich weiß, dass sie sich in Wirklichkeit ja doch drüber freut. Auch wenn sie mir dafür schon vorab und per Mail "ein Packel Haustetschen" in Aussicht stellt. (Thomas Rottenberg, 27.11.2019)

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