Rekonstruktion von Najash rionegrina: Man beachte die kleinen Hinterbeinchen, die vor dem Schwanz aus dem Körper ragen.
Illustration: Raúl O. Gómez, Universidad de Buenos Aires

2006 entdeckten Paläontologen im argentinischen Teil Patagoniens ein Fossil, das einen bedeutungsschwangeren Namen erhielt: "Najash" leitet sich nämlich von der hebräischen Bezeichnung für die Schlange im Paradies ab; das Attribut "rionegrina" bezieht sich auf den Fundort Río Negro. Das Besondere an der Spezies Najash rionegrina, die vor 90 bis 95 Millionen Jahren lebte, ist der Umstand, dass es sich eindeutig um eine Schlange handelte – allerdings um eine mit Hinterbeinen.

Forscher der australischen Flinders University haben sich diese Fossilien zusammen mit anderen, später entdeckten Najash-Knochen nun näher angesehen und sie mit hochauflösenden CT-Scans und Lichtmikroskopie bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen zur Evolution der Schlangen wurden im Fachjournal "Science Advances" vorgestellt.

Flexibler Schädel

Anders als man vielleicht annehmen würde, konzentrierte sich das Team um Alessandro Palci hauptsächlich auf den Kopf des Tiers. Denn der ist bei Schlangen das eigentliche Alleinstellungsmerkmal, nicht die Beinlosigkeit. Jeder kennt die Blindschleiche – und so wie dieses Tier gibt es noch hunderte andere Echsenarten, die keine Beine haben und dennoch nicht zu den Schlangen zählen. Insgesamt, so nehmen Forscher an, hat sich die Beinlosigkeit innerhalb der Echsenverwandtschaft über zwanzigmal unabhängig voneinander entwickelt.

Rekonstruktion des Najash-Schädels mittels CT-Scan.
Foto: Science Advances

Der Kopf der Schlangen hingegen ist einzigartig. Das Schädelskelett ist extrem flexibel, was es den Tieren ermöglicht, Beute zu verschlingen, die eigentlich viel zu groß für sie sein müsste. Die Durchleuchtung des Schädels von Najash ergab einen Merkmalsmix: Zum Teil entsprach das Kopfskelett dem von Schlangen, zum Teil aber auch dem von Echsen. Zum Beispiel hatte Najash im Gegensatz zu den heutigen Schlangen vollentwickelte Wangenknochen.

Kein bloßes Übergangsstadium

Palcis Kollege Mike Lee sieht die Funde als Beleg dafür, wie sich die Schlangen in winzigen Schritten aus "herkömmlichen" Echsen entwickelt haben, "ganz, wie es Darwin vorhergesagt hat". Und auch was die Beine betrifft, war die Evolution ein langsamer Prozess. Die ältesten bekannten Schlangenfunde reichen etwa 170 Millionen Jahre zurück. Diese Tiere hatten noch vier Beine, später blieben nur noch die Hinterbeine übrig – das aber bemerkenswert lange. Die australischen Forscher haben die Fossilien von Najash mit denen von anderen Ur-Schlangen verglichen und kommen zum Ergebnis, dass Schlangen etwa 70 Millionen Jahre lang mit Hinterbeinen herumkrochen.

Bereits in dieser heute nicht mehr existierenden Form seien die Schlangen eine extrem erfolgreiche Gruppe gewesen, betont Lee. Sie hätten verschiedenste Lebensräume erobert, am und unter dem Erdboden ebenso wie im Wasser, und diesen Körperbauplan ein ganzes Erdzeitalter hindurch bewahrt. Da könne man nicht mehr von einem bloßen "Übergangsstadium" sprechen. (jdo, 6. 1. 2020)

Dass man inzwischen mehrere Fossilien von Najash gefunden hat, erleichterte die Analyse.
Foto: Science Advances