Das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens ist das größte von Lebewesen geschaffene Gebilde des Planeten.

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Den Astronauten gegenüber zeigt sich das Wunder zwar nur verhalten – aber immerhin: Sogar vom Weltraum aus ist das Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens klar erkennbar.

Ein Monumentalbau der Natur. Mit über 2300 Kilometer Länge und einer Fläche von knapp 349.000 Quadratkilometern ist es das größte von Lebewesen geschaffene Gebilde unseres Planeten. Das Riesenriff beherbergt über 400 verschiedene Korallenarten sowie 1625 Fisch- und mehr als 5000 Weichtierspezies.

Mit 400 verschiedenen Korallenarten, 1625 Fisch- und mehr als 5000 Weichtierspezies ist das Great Barrier Reef eines der außergewöhnlichsten Ökosysteme der Erde.
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Schon 1981 erklärte die Unesco diesen submarinen Garten Eden zum Welterbe der Menschheit, doch das nutzt ihm heute kaum noch. Das Ökosystem droht zu kollabieren. Schuld ist vor allem der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung. Niemand weiß, ob das Great Barrier Reef die nächsten 30 Jahren überstehen wird.

Vor Ort arbeitende Biologen sind Zeugen einer dramatischen Entwicklung. Etwa die Hälfte des Korallenbewuchses ist verlorengegangen, berichtet Camille Mellin, Wissenschafterin am Australian Institute of Marine Science in Townsville.

„Es sieht nicht gut aus, aber es gibt Hoffnung.“ Nach zwei verheerenden Korallenbleichen in den Jahren 2016 und 2017 sowie mehreren durchziehenden Wirbelstürmen habe nun an einigen Stellen Erholung eingesetzt.

Korallen unter Stress

Die Frage ist nur, wie lange diese anhalten wird. Die Klimaerwärmung macht auch vor dem Ozean nicht halt, und je mehr sich das Meerwasser aufheizt, desto stärker geraten vor allem oberflächennahe Korallen unter Stress. Steigen im Sommer die Temperaturen erneut über die Normalwerte an, könnte auch die nächste große Bleiche vor der Tür stehen. Mit katastrophalen Folgen.

Trotz der gravierenden Auswirkungen bleibt die Korallenbleiche an sich ein rätselhaftes Phänomen. Die oft so farbenfrohen Kolonien bestehen aus tausenden einzelnen Polypen, die durch Kalkablagerungen Korallenstöcke bilden.

Zur Verbesserung ihrer Nährstoffversorgung gehen die Polypen eine Symbiose mit einzelligen Algen, sogenannten Zooxanthellen, ein. Letztere leben im Inneren der Tentakeltierchen. Der Polyp bietet seinen Symbionten eine sichere Unterkunft sowie eine stete Zufuhr an Kohlendioxid für die Photosynthese und bekommt im Tausch dafür reichlich Zuckerverbindungen.

Im Falle einer Bleiche zerbricht das Bündnis jedoch. Die Zooxanthellen verlassen ihren Wirt, vermutlich werden sie von ihm sogar aktiv herausbefördert. Mit den Algen indes verliert das eigentlich transparente Tier auch seine Farbe. So wird das leichenblasse Kalkskelett sichtbar.

Die Korallenbleiche setzt dem einmaligen Ökosystem immer stärker zu.
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Keine Hitzetoleranz

Die gängigen Riffkorallen gedeihen zwar nur in warmen Gefilden – die Wassertemperaturen dürfen im Winter nicht unter 18 °C sinken –, aber ihre Toleranz nach oben ist ebenfalls gering. Generell gilt eine Erhöhung von nur einem Grad Celsius über dem (sommerlichen) Monatsmittel als Schwellenwert. Wird dieser für Tage oder gar Wochen überschritten, droht zunehmend eine Korallenbleiche.

Der direkte Auslöser scheint biochemischer Natur zu sein, wie Andrew Baird von der James Cook University in Townsville erläutert. Bei der Photosynthese durch die Zooxanthellen fallen nicht nur Zucker, sondern zum Teil auch hochaggressive Sauerstoffradikale an. Deren Produktion wird durch Wärme begünstigt.

„Hitze macht Licht toxisch“, fasst Baird zusammen. Den Polypen bleibt anscheinend nur eine Wahl: Entweder sie jagen ihre Symbionten vom Hof, oder sie werden von ihnen vergiftet.

Raus mit den Algen also. Das allerdings ist auf Dauer auch keine Lösung. Ohne Zooxanthellen fehlt den Wirten ihre Hauptnahrungsquelle. Polypen können Symbionten zurückgewinnen und die Bleiche rückgängig machen, erklärt Camille Mellin. „Das passiert, wenn das Wasser wieder abkühlt.“

Hält eine Hitzewelle stattdessen an, verhungern die Korallen schlichtweg. Das geschah 2016 und 2017 in weiten Teilen des Great Barrier Reef. Verschont blieb damals nur der Süden. In dieser Region bedecken die Korallengärten noch immer bis zu 80 Prozent des Meeresbodens, meint Mellin. Ein Refugium von größter Schönheit.

Angespülte Sedimente an der Wasseroberfläche nehmen den Korallen lebenswichtiges Licht.
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Verschont von Wirbelstürmen

Terry Hughes, Direktor des Australischen Forschungszentrums für Korallenriffstudien (ARC) in Townsville, bestätigt Mellins Aussage. Die südliche Spitze des Great Barrier Reef sei in „wunderbarer Verfassung“, schwärmt der Experte.

Dort gebe es inzwischen sogar mehr ausgewachsene Korallen als vor 29 Jahren. Der gute Zustand ist jedoch nur dem Zufall zu verdanken, betont Hughes. Das Gebiet hatte knapp drei Jahrzehnte lang keine schweren Wirbelstürme mehr gesehen.

Als dann im Februar 2016 auch in dieser Zone die Wassertemperaturen kritische Werte erreichten, traf der bereits abgeschwächte Zyklon Winston ein. Dessen Sturmwellen konnten den Korallenstöcken nicht mehr schaden, aber Wind, Regen und Wolken sorgten für Abkühlung. Das Timing, sagt Hughes, war exzellent.

Wie lange das südliche Riff noch blühen wird, ist leider völlig ungewiss. Schon jetzt sind die durchschnittlichen Oberflächentemperaturen weltweit um circa ein Grad Celsius angestiegen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Hitzewelle eintrifft. Und die Erholungspausen dazwischen werden immer kürzer.

Terry Hughes und sein Forscherteam haben seit 1980 gesammelte Daten aus allen tropischen Meeresgebieten einer vergleichenden Analyse unterzogen. Die Ergebnisse zeigen einen beängstigenden Trend: Während großflächige Korallenbleichen anfangs im Schnitt nur alle 25 bis 30 Jahre auftraten, hat sich das Intervall heute auf sechs Jahre verringert, wie sie im Vorjahr im Fachblatt "Science" berichteten. Tendenz: immer kürzer.

Mangelnder Nachwuchs

Die Prognosen sind dementsprechend düster. Zukünftig könnte eine Regeneration unmöglich werden. „Die meisten Korallen beginnen mit der Fortpflanzung, wenn sie etwa faustgroß sind“, so Hughes. Das dauert zwei bis drei Jahre. Um sich komplett zu entfalten, brauchen die Stöcke allerdings zehn bis 15 Jahre.

Abgesehen davon beobachten Hughes und seine Mitstreiter im Norden und in der Mitte des Great Barrier Reef bereits jetzt einen erheblichen Mangel an Korallennachwuchs. Die zwei großen Bleichen haben zu viele geschlechtsreife Korallen getötet, die Anzahl der neugeborenen Larven ist zwischen 1996 und 2016 im Durchschnitt um 89 Prozent zurückgegangen, wie die Forscher kürzlich im Magazin "Nature" berichteten.

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Das australische Riesenriff leidet nicht nur unter steigenden Temperaturen und Bleichen. Auch Wirbelstürme, Wasserverschmutzung sowie der korallenfressende Dornenkronenseestern fordern ihren Tribut.

Camille Mellin hat zusammen mit einigen Kollegen das kombinierte Schadenspotenzial dieser Störfaktoren und die Widerstandsfähigkeit der Korallenbestände anhand eines neuen Modells für das gesamte Great Barrier Reef ermittelt.

Laut der Publikation, die kürzlich im Fachblatt "Global Change Biology" erschienen ist, richteten Zyklone zwischen 1996 und 2017 die größten Verheerungen an, gefolgt von den Seesternen und den Bleichen. Die Daten zum Massensterben von 2017 standen zum Zeitpunkt der Berechnungen noch nicht vollständig zur Verfügung.

Flüsse für Riffgesundheit

Dem Modell zufolge spielen Flüsse eine unerwartet große Rolle für die Riffgesundheit. Sie schwemmen trübende Sedimente und Schadstoffe aus Abwässern und der Agrarwirtschaft ins Meer. Bleiben Korallen vor solchen Einträgen verschont, sind sie anscheinend auch weniger anfällig für Bleichen.

Effektiver Riffschutz beginnt somit an Land. „Letztlich aber müssen wir unbedingt den Ausstoß von Treibhausgasen begrenzen“, betont Camille Mellin. „Sonst sieht es für die Korallenriffe wirklich übel aus.“ (Kurt de Swaaf, 3.12.2019)