Olga Neuwirth ist die erste Komponistin, die an der Wiener Staatsoper uraufgeführt wird.

Foto: Lukas Beck

Bereits 2006 gab es an der Wiener Staatsoper einen Anlauf zur Aufführung eines Werkes von Olga Neuwirth. Elfriede Jelinek schrieb das Libretto Der Fall W. über den Kärntner Kinderarzt Franz Wurst. Doch die Kooperationspartner – Salzburger Festspiele, Pariser Oper und das Haus am Ring – zogen es vor, das Projekt zu begraben. Die Folge: Jelinek wird nie wieder ein Libretto schreiben. Neuwirth selbst ist allerdings nicht so nachtragend. Es sei ja mit Dominique Meyer, dem Nachfolger von Ioan Holender, ein anderer Direktor am Werk.

Neuwirth schrieb also Orlando, ihr Musiktheater wird am 8. Dezember uraufgeführt. Das Libretto verfasste sie zusammen mit Catherine Filloux, es basiert auf dem gleichnamigen Roman von Virginia Woolf (1928). Was der bekannte deutsche Komponist Matthias Pintscher dirigieren wird, wurde zur Reise durch die Jahrhunderte einer sich radikal wandelnden Person. Das Ganze geht jedoch über das Jahr 1928 hinaus: „Wir hören nicht auf, wo Virginia Woolf aufhört“, so Neuwirth.

STANDARD: Hätte Sie nach den FPÖ-Selbstentlarvungen der letzten Monate nicht lieber Teile des Ibiza-Videos zur Oper geformt? Inseiner schrecklichen Offenheit müsste es inspirierend und erheiternd zugleich wirken.

Neuwirth: Das finde ich nicht erheiternd! Es ist eine Farce – und die braucht keine Musik!

STANDARD: Was muss ein Text grundsätzlich in sich bergen, um Sie zu einer Oper zu animieren?

Neuwirth: Er muss meine Imagination triggern.

STANDARD: Bei „Orlando“ geht es um das Eingezwängtsein in die Normen eines Geschlechts. Auch darum, sich nicht bevormunden, herablassend behandeln zu lassen, was Frauen geschieht, wie Sie einmal sagten. Ist „Orlando“ für Sie eine Befreiungsoper?

Neuwirth: (lacht) Das klingt viel zu pathetisch! Orlando ist eine Geschichte über das Streben nach Meinungsfreiheit, Originalität und fließender Identität. Es geht um eine Persönlichkeit, die jegliche Dualität infrage stellt und das Dazwischen-Sein im Leben und in der Kunst durchlebt.

STANDARD: Die Verwandlung vom Mann zur Frau, welche die Hauptfigur durchmacht – führt diese auch zu einer Verwandlung der dazugehörigen Musik?

Neuwirth: Das gebe ich doch nicht jetzt vor der Premiere preis! In der Musik ist jedenfalls alles enthalten, was mich seit jeher interessiert hat. Es ist ja eine lange historische Reise, die Orlando durchmacht.

STANDARD: Was unterscheidet Ihren „Orlando“ von einer traditionellen Oper?

Neuwirth: Auch das werden Sie nach der Premiere wissen! Und das wird danach sicher auch sofort beurteilt werden. (lacht)

STANDARD: Haben Sie beim Komponieren mitbedacht, dass Sie für ein Opernhaus schreiben, das doch sehr traditionell ist und von den Strukturen her nicht übergroße Freiheit garantiert?

Neuwirth: Ja! Aber genau diese Konventionen wollte ich bei dem Thema Orlando infrage stellen. Jede Abteilung des Hauses – und es sind so gut wie alle involviert – sollte in irgendeiner Weise über ihren Schatten springen müssen.

STANDARD: Gibt es auch fürs Orchester Sonderanforderungen?

Neuwirth: Nicht wirklich. Die beiden Synthesizer und die einen Viertelton nach oben gestimmte E-Gitarre sind externe Musiker. Die zweiten Geigen müssen allerdings, im Verhältnis zu den ersten Geigen, mehr als einen Viertelton nach unten gestimmt werden, um besondere harmonische Reibungen, besondere Orchesterfarben zu erzeugen. Scordaturen sind eine lange Tradition in der Musikgeschichte.

STANDARD: Bezogen auf den Kompositionsprozess meinten Sie einmal, Sie müssten sich immer einsperren. An einer Oper säßen Sie mindestens ein Jahr lang täglich von früh bis spät und würden hoffen, dass der Körper dabei nicht eingeht. Wie war es diesmal?

Neuwirth: Dieses Musiktheater dauert zweieinhalb Stunden und ist sehr aufwendig und groß besetzt, sowohl vokal als auch instrumental. Es ist das größte Werk, das ich je geschrieben habe. Dementsprechend war es überanstrengend, mich über eineinhalb Jahre hinweg meist täglich an den Schreibtisch zu zwingen und den Überblick nicht zu verlieren.

STANDARD: Eigentlich hätte Karoline Gruber „Orlando“ inszenieren sollen. Kurzfristig sprang Polly Graham ein. Was ist geschehen?

Neuwirth: Was geschehen ist, weiß ich nicht, denn ich habe Gruber weder ausgesucht noch engagiert noch „deengagiert“ – und auch nicht mit ihr gearbeitet.

STANDARD: Was erwarten Sie grundsätzlich von Regie?

Neuwirth: Das Konzept meiner Musiktheaterprojekte seit 1994 ist aus einem nahtlosen Geflecht aus komplexen, dichten Klangebenen, bestehend aus Vokal- und Instrumentalmusik, Elektronik bzw. Elektroakustik, die sich auch oft im Raum bewegt, sowie aus Videobildern gebaut. Meine Musik braucht Platz, braucht Raum, um atmen zu können, und den sollte die Regie dieser Musik geben. Für diese dichte „fluid form“ war in den späten 1980ern die Zeit noch nicht reif. Aber nun sollte man vielleicht langsam verstanden haben, was meine Musik, meine Konzepte brauchen. Denn das ist mein sechstes Musiktheater. (Ljubiša Tošić, 26.11.2019)