Noch einmal mit Gefühl: In den dunkelhellgrauen Liedern auf "Thanks for the Dance" versöhnt sich Leonard Cohen mit seinem Tod und tanzt einen alpenländischen Bierzeltwalzer.

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Es gibt Künstler, die nach ihrem Tod mehr Alben veröffentlicht haben als zu Lebzeiten. Rapper Tupac Shakur oder Jimi Hendrix zählen in Sachen Nachlassverwaltung beziehungsweise Leichenfledderei im jeweils zweistelligen Bereich zweifellos zu den Spitzenreitern.

Und ob es wirklich notwendig ist, das Genie eines David Bowie noch tiefer zu ergründen, indem man, nur so als Beispiel, nachträglich Lieder, Demos und Radiosessions aus seiner erfolglosen Flower-Power- und Pantomimen-Pop-Phase lange vor seiner Weltraumfahrt mit Major Tom auf den Markt wirft, ist die Frage. Die kann man sich stellen, wenn dieser CD-Ziegel heuer als Geschenk unterm Christbaum liegt.

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Der große kanadische Songwriter und Brummbär Leonard Cohen ist im November 2016 gestorben. Er hat seinen zeitlich absehbaren Abschied, so übrigens wie auch David Bowie mit seinem Album Blackstar, mit einer letzten Großtat würdig abgeschlossen, dem dunklen Todeshauch You Want It Darker: „I’m ready, my lord.“ Mit dem Erscheinen der neun Songs von Thanks for the Dance legt Leonard Cohen allerdings ein weitaus freundlicher gestaltetes Schäuferl nach.

Konzipiert wurden die Texte und die musikalischen Grundzüge noch zu Lebzeiten von Cohen selbst und seinem Sohn Adam im Rahmen der Sessions zu Darker. Es handelt sich also definitiv nicht um Ausschussware, sondern um freundlich melancholische, sich mit dem irdischen Ende versöhnlich abfindende Novemberlieder.

Mit Grabesstimme

„I was always working steady/ But I never called it art / It was just some old convention / Like the horse before the cart / I had no trouble betting / On the flood, against the ark / You see, I knew about the ending / What happens to the heart.“

Dazu schlägt der langjährige Begleiter Javier Mas die spanische Laúd. In Moving On wehen griechische Postkartenklänge von Cohens Inseljahren auf Hydra in den Sechzigerjahren herüber. The Night of Santiago zeigt den großen Beschwörer der Einsamkeit und der Vergeblichkeit noch einmal als anzüglichen Loverman. Dessen nicht zwei, sondern mindestens drei Meter tiefe Grabesstimme macht bei entsprechender Lautstärke tatsächlich Hosenflattern und Ohrenschlackern.

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Stimmiger Höhepunkt des Albums, der Titelsong. Wir befinden uns auf einem Fünfuhrkränzchen im Altersheim und erleben, wie Leonard Cohen versucht, sich zu erinnern, wo er seine Tanzpartnerin schon einmal gesehen hat: „Thanks for the dance / I hear that we’re married / One two three, one two three one ...“

Dazu erklingt ein sedierter alpenländischer Walzer mit Engelschor, gespielt von einer schon leicht angetrunkenen, aber hochkarätigen Bierzeltmusi, der unter anderem Jennifer Warnes, Leslie Feist, Daniel Lanois oder Beck und Leute von Arcade Fire und The National angehören. Das ist nichts weniger als eine schöne Leich nach der schönen Leich. (Christian Schachinger, 27.11.2019)