Praktisch jeden Tag eine neue Enthüllung aus der kurzen türkis-blauen Regierungszeit. Aus dem Ibiza/Postenschacher/Casinos/BVT-Komplex. Wird auch das größere Bild gesehen?

Nämlich, dass ein neues politisches Bündnis, das bei vielen Hoffnungen auf „neu regieren“ und „neuen Stil“ weckte, auf uralte Weise vorging? Mit dem zusätzlichen Verdacht auf strafrechtlich relevantes Quidproquo: ein Vorstandsposten für Peter Sidlo und neue Glücksspiellizenzen für Novomatic?

Natürlich, die Skandale wurden registriert und haben vor allem der FPÖ nachhaltig geschadet. Hauptsächlich weil H.-C. Straches Dummdreistigkeit nicht mehr zu ignorieren war (Ibiza wäre ja noch irgendwie gegangen, aber 2500 Euro Mietzuschuss für die Villa und 10.000 Euro für die Gattin, das verstehen die „kleinen Leute“ nicht mehr).

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Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz.
Foto: AP Photo/Ronald Zak

All das ist aufgeflogen, weil a) eine undurchsichtige Truppe von Abenteurern Strache und Johann Gudenus erfolgreich eine Falle gestellt hat und das Video an die Öffentlichkeit kam, weil b) die Justiz energisch reagierte und weil c) kritische Medien ihrer Aufgabe gerecht wurden.

Die Szene der Skandale teilt sich in Aufdecker, Zudecker und Desinformationsagenten. Die Zudecker sind in den hauptbetroffenen Parteien ÖVP und FPÖ zu Hause. Davon gleich mehr.

Durchsickern von Informationen

Zu den investigativen Aufdeckern gehören die Wochenzeitungen "Falter" und "Profil", die Tageszeitungen DER STANDARD, die "Presse" und mit Einschränkungen der "Kurier". Die Bundesländerzeitungen berichten ordentlich. Der ORF und die Privaten geben den Hauptakteuren Gelegenheit, sich zu blamieren (siehe Exfinanzminister Hartwig Löger bei "Im Zentrum"). Die "Krone" spielt Orgel, was Strache und die FPÖ betrifft (Nachwehen von Ibiza), aber Piccoloflöte, was die ÖVP betrifft. "Österreich" bzw. die dazugehörige Plattform "Oe24.at" haben sich zu Haupt- und Offizialverteidigern von Strache und Co ernannt und betreiben schlicht Desinformation. Ibiza und Co werden bagatellisiert („ziemlich bedeutungslose Telefonprotokolle“), dafür die „Hintermänner“ der Aktion in den Vordergrund gestellt.

Die Telefonprotokolle und anderes stammen aus den Gerichtsakten. Sie müssen nicht zwingend von der Justiz selbst kommen, es haben auch andere (zum Beispiel Opfervertreter) Einsicht. Man kann über das Durchsickern dieser Informationen diskutieren, die Chefredakteurin des "Kurier" meint, sie bekomme dabei Bauchweh. Aber da geht es um eine Güterabwägung: Sind diese Enthüllungen wichtig für Demokratie, Rechtsstaat und politische Kultur? Fällt diese Aufteilung des Staates unter „Datenschutz“?

Die Frage ist, wo – oder bei wem – das endet. Wie sehr man glaubt, dass der Deal zwischen ÖVP und FPÖ, der auch den Verbund, BIG, Post, Telekom und OMV betraf, lediglich von Personen aus der zweiten Reihe abgeschlossen wurde. Sebastian Kurz hat bereits vorsorglich mit Klage gedroht, falls der ÖVP und ihren Vertretern wegen „irgendwelcher SMS“ strafrechtlich Relevantes unterstellt werden sollte. Das ist eine mutige Aussage, da Kurz selbst soeben vor Gericht zugeben musste, dass er der SPÖ bzw. Tal Silberstein völlig haltlos unterstellt hatte, sie wären am Platzen der Ibiza-Affaire beteiligt. (Hans Rauscher, 27.11.2019)