Seit über 40 Jahren mischt Alice Schwarzer im öffentlichen Diskurs mit – das ist gut so. Andere wollen manchmal auch mitmischen, widersprechen, boykottieren – auch das ist gut.

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Studierende sind ein kritisches Grüppchen. Und sie sind ein Grüppchen im wahrsten Wortsinne. In Österreich – bleiben wir mal bei den Universitäten und lassen die Fachhochschulen außen vor – waren es im Studienjahr 2018/19 ganze 376.700. Davon sind bei weitem nicht alle an Antirassismus und Feminismus interessiert. Aber das ist okay.

Genauso ist es okay, dass sich einige sehr dafür interessieren – und engagieren. Genau sie sind es anscheinend, die kurz davor sind, die herrschenden Diskurse und die am besten und am breitesten vertretenen Meinungen zu verdrängen – ja, gar verbieten zu wollen. Kaum zu glauben, aber diese völlige Verzerrung der Kräfteverhältnisse funktioniert gerade hervorragend. Alice Schwarzer war am Montagabend in Wien geladen, um über ihre – fraglos gelungenen – feministischen Kampagnen zu reden. Wir erinnern uns etwa an die 1970er und das berühmte "Stern"-Cover "Wir haben abgetrieben".

Das war wirklich gut! Nun, in den letzten Jahrzehnten hat sich im Feminismus viel getan, er hat sich diversifiziert, man ist sensibler geworden für die Mehrfachdiskriminierungen nichtweißer Frauen und strengt sich an, Feminismus und Antirassismus besser zu verknüpfen, als das noch in den 1980er-Jahren gelungen ist. Alice Schwarzer erklärt indessen in zahlreichen Zeitungsartikeln, etwa in der "Zeit", warum sie all das nicht für wichtig hält. Noch dazu hat sie mit der "Emma" ein eigenes Magazin, in dem seit Jahrzehnten ihre Positionen Platz finden. Wer sich die Mühe macht, die "Emma" inklusive deren Onlinepräsenz regelmäßig zu konsumieren, weiß, dass alles, was dort publiziert wird, auf Schwarzer-Linie ist. Und dass der Ton dort etwa gegenüber Frauen, die ein Kopftuch tragen, gelinde gesagt rau ist. In einem Blog auf der "Emma"-Seite sprach eine Autorin mal von den "Fetzen", in die sich die Netzaktivistin und Bloggerin Kübra Gümüşay hüllen würde. Gemeint war ihr Kopftuch.

Ja, inzwischen kritisieren viele Feministinnen Alice Schwarzer für islamophobe und rassistische Argumentationsmuster. Und sie interessieren sich daher auch nicht mehr für Veranstaltungen, auf denen sie spricht. Man bleibt also zu Hause, so wie Armin Wolf in seinem Tweet Menschen, die vieles anders sehen als Schwarzer, beratschlagt.

Doch ein paar andere bleiben nicht zu Hause, sie protestierten – auch im Vorfeld der Veranstaltung, fordern sogar eine Absage. Und das sollen sie nicht dürfen? Anscheinend nicht. Weil das würde die Meinungsfreiheit bedrohen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Eine HöchschülerInnenschaft – kritische Studierende – protestiert gegen eine sehr bekannte Publizistin, die viele Menschen noch immer als einzige Feministin im deutschsprachigen Raum wahrnehmen. Die laufend auf Podien eingeladen ist und ihre Bücher sicher noch immer gut verkauft.

Sie kritisieren damit eine Position, die alles andere als eine mutige Minderheitenposition ist. Und das sollen sie nicht dürfen? In Onlineforen unter jeder (!) publizierten Meinung, die entgegen Schwarzers Position das Kopftuch nicht als den sofortigen Untergang der westlichen Gleichberechtigungsbestrebungen sieht, werden "Naivität" und "falsch verstandene Toleranz" entgegengebrüllt. Massenhaft. Und das sind noch die freundlichen Wortmeldungen. Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem Frauen mit Kopftuch, spüren diese Stimmung jeden Tag in ihrem Alltag. Wer das nicht kennt und erfährt, hat es also leicht, sich über "Safe Spaces" lustig zu machen, für sie ist die ganze Welt ein Safe Space.

Die ganze Debatte über Political Correctness zeichnet aus, dass in dieser die Machtverhältnisse völlig verzerrt werden. Dass die USA ständig als Horrorbeispiel für "PC-Terror" und "Auftrittsverbote" herhalten müssen, ist dafür ein guter Beleg. In Wahrheit regiert bekanntlich nicht PC, sondern ein Präsident, der für seine rassistischen und sexistischen Tabubrüche geliebt wird und vielleicht auch deshalb in die Position gewählt wurde, zutiefst frauenfeindliche und rassistische Gesetze auf den Weg bringen zu können. Also bitte: Lassen wir die Kirche im Dorf und Studierende protestieren, boykottieren und versuchen, etablierte Gäste auf Podien zu verhindern, die dort schon seit Jahrzehnten sitzen. Das ist es, was eine Demokratie aushalten muss. (Beate Hausbichler, 27.11.2019)