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Hätte das Gewaltschutzgesetz schon vor zehn Jahren so ausgesehen, wie es ab Jänner 2020 aussehen wird – Katrin Gruber* hätte ihren prügelnden Exmann wahrscheinlich nicht angezeigt. Dabei wäre sie einmal fast gestorben, nachdem sie ihr damaliger Mann attackiert hat. Das ist inzwischen mehr als zehn Jahre her, nun allerdings, nachdem die Novellierung des Gewaltschutzgesetzes beschlossen wurde, wollte sie darüber reden. Warum es schon damals so schwer für sie war, Anzeige zu erstatten, und warum sie überzeugt ist, dass es die Regelungen, die kürzlich beschlossen wurden – unter anderem Strafverschärfungen bei Gewalt- und Sexualdelikten und eine Anzeigepflicht des Gesundheitspersonals bei Verdacht auf Vergewaltigung von Patientinnen und Patienten–, noch schwerer für sie gemacht hätten.

Physisch gewalttätig wurde ihr Mann während ihrer Schwangerschaft. Katrin Gruber musste in Frühkarenz gehen und war ab da finanziell von ihrem Mann abhängig, was seinen Umgang mit ihr deutlich änderte, erinnert sie sich. Die Streitereien und Bevormundungen häuften sich. Als sie im sechsten Monat ist, tritt er ihr in den Bauch. Es ist zwar "nichts passiert", wie sie sagt, aber sie hatte Angst, wegen seiner Übergriffe zum Arzt zu müssen. "Ich fürchtete mich davor, dass das jemand einfach in die Hand nimmt, eine Anzeige erstattet – und ich selber nichts mehr im Griff habe", sagt sie. Wäre plötzlich die Polizei vor der Tür gestanden und hätte sie zu einer Aussage bezüglich der Gewalt durch ihren Mann aufgefordert, "da hätte ich wahrscheinlich nie mehr was dazu gesagt". Deshalb könne sie es nicht verstehen, wie man Beschäftigte im Gesundheitswesen verpflichten kann, das für Betroffene zu übernehmen.

Kein Drängen zur Anzeige

Denn man müsse sich vorstellen, was so eine Anzeige überhaupt bedeute, sagt sie: jahrelanger juristischer Streit und Befragungen von Fremden über private und sehr intime Themen. Katrin Gruber wollte das alles nicht. Aber sie suchte Hilfe in einem Gewaltschutzzentrum, wo sie sich aufgehoben fühlte, nicht zuletzt, weil man sie dort zu nichts drängte. "Ich wurde fundiert beraten, mir wurden Stellen genannt, wo ich hingehen kann – man hat mir aber nie gesagt, was ich tun soll", erzählt die Mittvierzigerin. "Hätte man mich zur Anzeige gedrängt, wäre ich wahrscheinlich kein zweites Mal hingegangen", sagt sie im Rückblick. Für eine Anzeige war sie noch nicht bereit, allerdings ging sie auf Anraten ihrer Mutter zu einem Institut für klinisch-forensische Bildgebung. Dort konnte sie ihre Verletzungen dokumentieren lassen, falls sie später doch Anzeige erstatten wollte.

Dieser Schritt war letztlich sehr wichtig. Als ihre Tochter drei Monate alt ist, schlägt er so fest zu, dass sie bewusstlos liegen bleibt. Obwohl auch das Baby im Haus ist, läuft er einfach davon. "Irgendwann bin ich zu mir gekommen und völlig aufgelöst herumgelaufen", aus ihrem Ohr kommt Blut, alles tut ihr weh – trotzdem kommt Gruber erst nicht auf die Idee, die Polizei zu rufen.

Nach dem ersten Schock will sie nur noch eine einvernehmliche Scheidung, doch die will er nicht unterschreiben. Zwei Wochen später hört sie auf dem linken Ohr nichts mehr. Es stellt sich heraus, dass ein Stück Schädelknochen im Ohr steckt – ein Schädelbasisbruch wurde diagnostiziert. Sie zieht mit ihrer Tochter in eine Mietwohnung, wo er immer wieder auftaucht. Irgendwann versucht er, sie zu erwürgen. Nach diesem Vorfall zeigt Katrin Gruber ihren Mann schließlich an. Es kommt zur Anklage wegen zweifacher schwerer Körperverletzung gegen sie, Körperverletzung gegen ihren zehnjährigen Sohn und wegen schwerer Drohungen und Nötigung. Scheiden lassen konnte sie sich aber noch immer nicht, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewiesen war, dass der Scheidungsgrund – also massive Gewalt durch ihren Mann – auch tatsächlich vorlag. Obwohl es letztlich eine Verurteilung gab, sieht ihr Exmann nicht ein, was er da angerichtet hat. Er behauptet bis heute, sie habe die Richter und Staatsanwälte bestochen.

2000 Euro Schmerzensgeld

Katrin Gruber bekommt 2000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Will man mehr, muss man einen Zivilrechtsprozess führen. Gruber hat insgesamt vier Jahre Prozess geführt, "wer hat da noch Kraft und Geld, um weiterzuklagen". Den Prozess beschreibt sie als "schlimmer als die physische Gewalt". Trotzdem sei ihr bewusst, dass ihre Ausgangslage besser war als die vieler anderer. Sie hatte Unterstützung eines Gewaltschutzzentrums, dokumentierte Beweise, hat selbst Jus studiert und konnte problemlos verbalisieren, was passiert war.

"Ich stelle es mir richtig hart vor, wenn das alles nicht der Fall ist." Sie sei sich deshalb gar nicht sicher, ob sie einer betroffenen Frau raten würde, Anzeige zu erstatten. "So ein Strafprozess kann die Existenz der Betroffenen gefährden – sie werden zum zweiten Mal Opfer", sagt Gruber. Zahlt der Mann nach einer Trennung keinen Unterhalt für die Kinder, springt der Staat nur für kurze Zeit ein. Stellt sich raus, dass er vom Unterhaltsschuldner nichts zurückbekommt, werden die Zahlungen eingestellt. Ein riesiges Problem, sagt Gruber, etwa wenn der Mann wegen eines Urteils aufgrund eines Gewaltdelikts keinen Job mehr hat – "dann haben wieder die Opfer ein Problem".

Bis heute Kontakt

Kontakt zu ihrem Exmann hat sie bis heute, "ich werde vom Staat dazu gezwungen". Der Vater der gemeinsamen Tochter hat ein Kontaktrecht, dieses wird nach dem Kindeswohl beurteilt, frühere Gewalt spielt da oft keine Rolle.

Die im Jänner in Kraft tretende Anzeigepflicht und das höhere Strafmaß – beides hätte es für Katrin Gruber schwerer gemacht, davon ist sie überzeugt. "Zu wissen, dass dem prügelnden Partner eine sehr hohe Strafe droht, wäre eine Hürde gewesen, ihn anzuzeigen – der Hass auf mich wegen der Anzeige war so schon extrem." Wichtiger wäre, den Unterhalt für Kinder zu garantieren, damit Frauen sicher sein können, dass sie nach der Trennung finanziell durchkommen. Denn an die erste Drohung ihres damaligen Mannes erinnert sie sich noch gut. Sollte sie zur Polizei gehen, dann solle sie schauen, wie sie mit dem Kind durchkommt, von ihm bekomme sie dann "rein gar nichts". (Beate Hausbichler, 10.12.2019)