Entstaubter Blick auf vergangene Größen der (alt)österreichischen Forschung: Deborah Coen, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Yale University – hier in der Aula der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Foto: Corn

Dass der Mensch das Klima verändert, ist eine relativ neue Erkenntnis. Ermöglicht wurde sie, so behaupten die meisten Darstellungen, erst durch die moderne Klimaforschung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA begann, als man die ersten Computer mit Daten fütterte und so dynamische Klimamodelle erstellen konnte. So etwa berechneten Forscher in den 1950er-Jahren, dass ein Atomkrieg eine neue Eiszeit heraufbeschwören könnte.

Die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Deborah Coen wirft in ihrem famosen Buch "Climate in Motion", das im Vorjahr erschien und mittlerweile auch schon ausgezeichnet wurde, diese bisherigen Geschichten der Klimaforschung über den Haufen. Die Professorin an der Yale University verortet die Anfänge der modernen, dynamischen Vorstellungen vom Klima nämlich ganz woanders: Die Grundlagen dafür sind laut Coens gründlichen Recherchen nämlich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Forschern in der Habsburgermonarchie gelegt worden.

Das "Wald-Klima-Problem"

"Damals wurde auch schon intensiv über die Beeinflussung des Klimas durch den Menschen diskutiert", wie Coen im Gespräch mit dem STANDARD erklärt: "Diese Diskussion lief damals aber unter der Bezeichnung ,Wald-Klima-Frage‘." In ihrem Buch zitiert sie einen Bericht aus der Neuen Freien Presse, wo es bereits 1879 hieß, dass keine Frage öfter und heftiger debattiert worden sei als jene, wie sich die Waldbedeckung auf das Klima und die Wasserversorgung auswirkt. Auch die politischen Fronten verliefen ähnlich wie heute: Zu den Leugnern einer Veränderbarkeit des Klimas durch menschliche Eingriffe zählten deutschnationale Politiker wie Georg von Schönerer, der unter einem Pseudonym dagegen anschrieb.

Aber wie kam es, dass ausgerechnet in der Habsburgermonarchie richtungsweisende Konzepte entwickelt wurden, die das Klima als Ergebnis komplexer dynamischer Wechselwirkungen zwischen globalen und lokalen Kräften auffassten? Das ist die Schlüsselfrage, um die sich "Climate in Motion" dreht und auf die Coen faszinierende Antworten findet.

Produktive Besonderheiten der Monarchie

"Ein erster Grund lag in der vielfältigen Topografie der Monarchie, die von den Alpengipfeln bis an die Adria und in die ungarische Steppe reichte", sagt Coen, die 15 Jahre lang an ihrem Buch arbeitete. So meinte auch Julius von Hann, einer der Protagonisten in Coens Buch, dass es die Natur der Monarchie den Wissenschaftern leichtgemacht habe, das Klima zu untersuchen.

Deborah Coen beantwortet drei Fragen über die Wissenschaft in der Habsburgermonarchie, K.-u.-k.-Klimatologie und Citizen Science.
Universitat Autònoma de Barcelona

Die Wissenschaftshistorikerin identifiziert aber auch spezifische politische und gesellschaftliche Bedingungen in der Monarchie, die damals die Wissenschaft prägten und für die innovativen Besonderheiten der K.-u.-k.-Klimatologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sorgten: So sollte im Vielvölkerstaat mit seinen verschiedenen Nationalitäten und Sprachen durch die Wissenschaft eine Art von natürlicher und ökologischer Einheit in der Vielheit hergestellt werden.

Dafür wurden aber auch weltweit vorbildliche Institutionen geschaffen wie die 1851 gegründete Zentralanstalt für Meteorologie (ZAMG), die im Laufe der nächsten Jahre das erste flächendeckende Messnetzwerk für Wetterdaten errichtete. So verfügte man 1860 bereits über 117 Messstationen in weiten Teilen der Monarchie, die es erleichterten, buchstäblich innovative Dynamik in die interdisziplinäre Erforschung des Wetters und des Klimas zu bringen und dabei lokale wie globale Faktoren zu berücksichtigen.

Pioniere der k.-u.-k. Klimatologie

In den elf glänzend geschriebenen Kapiteln des Buchs, die einen Zeitraum von 1850 bis 1925 abdecken, würdigt Coen rund ein Dutzend großer Persönlichkeiten der altösterreichischen Wissenschaft. Typisch dabei war, dass deren Pionierarbeiten oft auf lokaler Feldforschung beruhten, aber allgemeine Gesetzmäßigkeiten im Blick hatten – wie die Studien von Anton Kerner Ritter von Marilaun, der als einer der Ersten die regionale Verbreitung von Pflanzen als Klimaindikator heranzog.

Klimatologie-Pionier Julius von Hann wurde drei Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen.
Foto: Direktionsarchiv der Sternwarte Kremsmünster

Der bereits erwähnte Julius von Hann wiederum, der sowohl Professor an den Universitäten Wien und Graz wie auch langjähriger Direktor der Zamg war, gilt als Pionier bei der Anwendung der Thermodynamik auf das Wettergeschehen: Auf diese Weise konnte er 1866 gleich in seiner ersten wissenschaftlichen Publikation den Föhn korrekt beschreiben. Hann, der dreimal für den Physiknobelpreis vorgeschlagen wurde, hat aber auch noch in vielerlei anderer Hinsicht bleibende Spuren in der Klimaforschung hinterlassen.

Observatorium am Sonnblick

So schlug er etwa die Gründung von Wetterstationen im Hochgebirge vor, um bessere Daten zur Erklärung von Wetter- und Klimaphänomenen zu erhalten. Das bekannteste Beispiel ist das 1886 eröffnete Observatorium auf dem Hohen Sonnblick, das seitdem ohne Unterbrechung auf über 3.000 Meter Seehöhe betrieben wird. Sein 1883 erstmals erschienenes "Handbuch der Klimatologie" wuchs im Laufe der Jahre auf drei Bände an und erschien in mehrere Auflagen.

Coen rekonstruiert in ihrem grandiosen Buch, dem dringend eine deutsche Übersetzung zu wünschen wäre, aber nicht nur die Leistungen der Protagonisten der K.-u.-k.-Klimatologie wie Karl Kreil, Max Margules, Emanuel Purkyne oder Wilhelm Schmidt, die vielfach bereits nach dem Ersten Weltkrieg international in Vergessenheit gerieten.

Eine öffentliche Forschung

Die Yale-Professorin, die im vergangenen Jahr eine Auszeit nahm, um sich in gegenwärtiger Klimaforschung fortzubilden, streicht zudem eine Besonderheit der K.-u.-k.-Klimatologie heraus, von der heutige Wissenschafter in dem Bereich lernen könnten.

Das Klima und seine Erforschung waren schon in der k. u. k. Monarchie eine öffentliche Angelegenheit, wie diese Station im Wiener Stadtpark zeigt.
Foto: Wikimedia/gemeinfrei

"Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Klima war damals eine durch und durch öffentliche Angelegenheit", so Coen. Zum einen hätten die Forscher damals Klima- und Wetterdaten auch ganz speziell für die Bedürfnisse der Bevölkerung entwickelt. Zum anderen sei die K.-u.-k.-Klimatologie quasi eine Art von Citizen Science gewesen, bei der viele Laien – etwa beim Betreiben der zahlreichen Messstationen der Zentralanstalt für Meteorologie – aktiv mitmachten.

Genau solche Einbindungen der Öffentlichkeit könnten heute nicht nur helfen, das Wissen über den Klimawandel zu vertiefen und das Bewusstsein dafür zu schärfen, ist Coen überzeugt: "Davon könnte auch die Klimaforschung selbst profitieren." (tasch, 2.12.2019)