Wie ein Erotikfilm – ohne Pornografie: "Ein leichtes Mädchen".

Foto: Thimfilm

Eine Jacht an der Cote d’Azur, das ist immer noch ein Inbegriff von Status und Wohlstand. Für Naima und Sofia, zwei junge Frauen, tut sich eine Welt auf, als sie auf Andres und Philippe treffen, zwei Weltbürger, die in Cannes vor Anker gehen.

Es sind nur ein paar Schritte über eine Leiter von der Mole auf das Schiff, doch dieser Übergang erweist sich in Rebecca Zlotowskis Film Ein leichtes Mädchen als sehr bedeutsam: Es ist ein sozialer wie auch biografischer Übergang. Naima wird in diesem Sommer 16 Jahre alt. Sie ist im Grunde die Hauptfigur, auch wenn Zlotowski mit dem Titel von dem zweiten Mädchen spricht.

Erotikfilm ohne Pornografie

Mit Une fille facile (im Original) ist Sofia gemeint, die Cousine von Naima, die längst in Paris lebt, nun aber unvermutet wieder da ist. Sie hat teures Zeug dabei. Sie macht auch kein Geheimnis daraus, wie sie ihr Leben finanziert: durch ihre Leichtigkeit. Sie lässt sich mit Männern ein und rechnet mit deren Großzügigkeit.

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Schon die ersten Bilder scheinen eine klare Sprache zu sprechen: Sofia am Strand und im Meer. Sofia im knappen Bikini. Der Glanz sonnengebräunter Haut. Da könnte man noch meinen, Zlotowski habe einen Erotikfilm im Sinn, etwas in der Tradition von Emmanuelle, nur ohne Pornografie. Dazu kommt der Name der Darstellerin von Sofia. Zahia Dehar wurde in Frankreich bekannt, weil die Fußballstars Franck Ribéry und Karim Benzema sich vor Gericht wegen des Vorwurfs verantworten mussten, sie hätten sie als Minderjährige für Sex bezahlt. In einem Interview mit einer großen Illustrierten sprach Zahia Dedar über den Unterschied zwischen Escort und Prostitution. In dem Titel Ein leichtes Mädchen ist dieser Unterschied enthalten, allerdings geht Zlotowski darüber hinaus.

Ein Stück Konzeptkunst

Im Grunde könnte man ihren Film auch als ein Stück Konzeptkunst betrachten: man nehme eine populäre Figur, und spinne um unser Wissen von ihr herum eine Fiktion. Sofia ist nicht Zahia, aber Zahia Dedar ist deutlich mehr als eine Schauspielerin. Ihre Medienpräsenz wird sie nicht los, zumal ihre körperliche Erscheinung auf eine paradoxe Weise zugleich seltsam generisch und hoch individuell ist.

Zlotowski balanciert ihr Figurenquartett subtil aus: zwei Nomaden aus der Welt des vazierenden Kapitals, ein bodenständiges Mädchen, dazwischen die "Trophäe" Sofia. Die Regisseurin erweist sich auch einmal mehr als Expertin für Schauplätze, auf die sie einen unkonventionellen Blick wirft: In Grand Central (2013) erzählte sie eine Geschichte um ein Atomkraftwerk im Rhonetal.

Inzwischen ist Zlotowski im französischen Kino längst eine unverwechselbare Stimme, zuletzt mit Sauvages, einer rasanten Fernsehserie, in der ein Mann mit algerischer Familie zum französischen Präsidenten gewählt wird. Die Yacht wird für Zlotowski zum Zeichen für Frankreich als ein Land, das unverbrüchlich zu Nordafrika gehört, von seinem "Gegenüber" aber durch ein Meer getrennt ist. Andres und Philippe und Naima und Sofia bilden für eine Weile eine sehr heutige Weltgesellschaft in einem exzellenten Film. (Bert Rebhandl, 29.11.2019)