Demonstranten forderten Mitte November im Zentrum von Den Haag unmissverständlich: Weg mit dem Zwarte Piet.

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Der Sinterklaas und seine Helfer sind wie jedes Jahr Mitte November in den Niederlanden angekommen. Aber nicht mehr alle der Pieten sind schwarz wie hier in Den Haag.

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Jasmijntje hat bereits mehrere schlaflose Nächte hinter sich – und noch einige vor sich: So wie alle niederländischen Kinder fiebert die Vierjährige aus Voorschoten bei Den Haag dem Nikolausabend entgegen. Denn die Bescherung findet in den Niederlanden nicht erst am Heiligen Abend statt, sondern schon am 5. Dezember, dann ist "pakjesavond".

Der Sinterklaas, wie der Nikolaus hinten den Deichen heißt, ist auch bereits im Land eingetroffen, wie immer Mitte November, mit dem Dampfschiff rheinabwärts. Wie es sich für eine alte Seefahrernation gehört. Dieses Jahr hat er in Apeldoorn angelegt. Das hat Jasmijntje im Fernsehen gesehen.

Die zentrale Ankunftsfeier ist ein nationales Ereignis und wird live übertragen. Wer außer dem Sinterklaas noch an Bord des Schiffes war? "Sein Pferd", antwortet Jasmijntje. "Und viele, viele Pieten, die verteilen die Geschenke." Wie die Pieten ausgesehen haben? "Ganz bunt! Es gab rote, gelbe oder blaue." Und Roetveeg-Pieten, die haben Rußflecken im Gesicht: "Weil sie durch den Kamin gerutscht sind." Das habe ihr die Mama erklärt.

Bunt statt schwarz

Jasmijntje gehört zur ersten Generation niederländischer Kinder, für die die Pieten, wie die Nikolaushelfer heißen, nicht mehr automatisch schwarz sind, sondern alle Regenbogenfarben haben. Diese bunten Pieten ersetzen in immer mehr Städten den traditionellen Zwarte Piet. Der ist als Überbleibsel aus der Sklavenzeit in Verruf geraten und wird von Mitbürgern afrikanischer Herkunft aus der ehemaligen Kolonie Surinam oder von den niederländischen Antillen als diskriminierend und verletzend erfahren.

Denn der Zwarte Piet trägt bunte Pluderhosen, goldene Ohrringen, hat dicke rote Lippen und einen schwarzen Krauskopf. Auch auf dem Nikolausschiff hat er dieses Jahr erstmals seit Menschengedenken gefehlt. "Was den Kindern gar nicht weiter aufgefallen ist", meint Jasmijntjes Mutter Daphne van Rooijen. "Denen ist die Farbe der Pieten völlig egal."

Zwarte-Piet-Rettungskommittees

Viele erwachsene Niederländer hingegen sehen das ganz anders: Seit Jahren schon spaltet der Streit um die Nikolausgehilfen das Land. Die Fronten sind verhärtet: Auf der einen Seite stehen Zwarte-Piet-Gegner wie die Aktivisten von Kick Out Zwarte Piet (KOZP), auf der anderen Zwarte-Piet-Rettungskommittees, denen sich inzwischen Hooligans und Rechtsextremisten angeschlossen haben.

Was nicht weiter verwunderlich sei, so Jelle van Buuren, Rechtsextremismus- und Terrorismusexperte an der Universität Leiden, der in der Tageszeitung Volkskrant sagt: "Die Rechtsextremisten wollen den Zwarte Piet als Instrument benutzen, um zu zeigen, wie sehr die niederländische Kultur unter Druck steht."

Pegida-Mitglieder verhaftet

Gewalt wird dabei nicht gescheut: Mitte November wurden KOZP-Mitglieder bei einer geschlossenen Sitzung in Den Haag von Pro-Zwarte-Piet-Aktivisten gestört, die Autoscheiben einschlugen und das Gebäude mit Baseballschlägern und Feuerwerkbomben zu stürmen versuchten. Auch beim Eintreffen des Nikolausschiffs in Apeldoorn kam es zu Unruhen. Mehrere Mitglieder des niederländischen Ablegers der islam- und ausländerfeindlichen Protestbewegung Pegida wurden abgeführt.

In insgesamt neun Städten kam es zu Demonstrationen, die nur deshalb glimpflich abliefen, weil Hunderte von Polizisten im Einsatz waren, die die Kontrahenten auseinanderhielten. Die Behörden hatten sich gewappnet, nachdem es ein Jahr zuvor zu schweren Ausschreitungen gekommen war. 2018 hatten Rechtsextremisten und Hooligans Zwarte-Piet-Gegner bedroht, beschimpft, eingekesselt und mit Eiern, Steinen und Rauchbomben beworfen. "Nicht zu fassen", sagt Daphne van Rooijen. "Es geht doch um ein Kinderfest!"

Doch das scheint ebenso nebensächlich geworden zu sein wie die beiden Kernfragen, um die es in diesem Kulturstreit eigentlich geht: Muss die Mehrheit einer Gesellschaft auf eine Minderheit Rücksicht nehmen, die sich durch eine bestimmte Tradition verletzt und diskriminiert fühlt? Oder muss diese Tradition von der Minderheit als unabänderlich akzeptiert und ertragen werden?

Forderung der Uno

Nein, befand 2016 bereits der Menschenrechtsausschuss der Uno und forderte die Niederländer auf, den Zwarte Piet verschwinden zu lassen. Nein sagen inzwischen auch immer mehr Niederländer: 2016 noch waren 65 Prozent für den Erhalt des Zwarte Piet. Zwei Jahre später war es nur noch rund die Hälfte. Vielen ist bewusst geworden, dass diese Tradition tatsächlich Leid anrichten kann. "Ich kenne Eltern, deren Kinder weinend heimkommen, weil sie in der Schule wegen ihrer Hautfarbe als Zwarte Piet ausgelacht werden", sagt Daphne van Rooijen.

Ein anderes Beispiel: Mitte November hatte zum ersten Mal im niederländischen Profifußball ein Schiedsrichter ein Spiel wegen rassistischer Vorfälle unterbrochen. Ein Spieler war vom Publikum minutenlang als "Scheißneger" und "Scheiß Baumwollpflücker" beschimpft worden – und als "Zwarte Piet". Die Nationalmannschaft hat sofort eindeutig Stellung bezogen: "Wir würden bei Rassismus im Stadion den Platz verlassen", so Teamchef Ronald Koeman.

Umdenken auch im TV

Viele Niederländer beginnen umzudenken, und mit ihnen Programmmacher und Bürgermeister. In diesem Jahr war nicht nur das Nikolausschiff erstmals frei von Zwarte Pieten, sondern auch das Sinterklaasjournaal, die Nikolausnachrichten für die Kinder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Und auch die beiden größten Städte Amsterdam und Rotterdam haben den Zwarte Piet aus ihrem Straßenbild verbannt und durch bunte und Roetveeg-Pieten ersetzt. Ohne Zweifel: Das Bollwerk der Nikolaustraditionalisten hat Risse bekommen. (Kerstin Schweighöfer aus Den Haag, 28.11.2019)