Am Montag startet in Madrid die 25. jährliche Conference of Parties (COP) der UN-Klimarahmenkonvention. Diese sollte ursprünglich in Santiago de Chile stattfinden. Infolge sozialer Unruhen in dem als neoliberales Pilotprojekt geltenden Land, sagte Präsident Sebastián Piñera den Gipfel jedoch kurzerhand ab. Die COP ist schon das dritte Großereignis der internationalen Klimapolitik in diesem Jahr. Im Juli wurden in Bonn die Weichen für den Gipfel im Dezember gestellt und entscheidende Punkte zur Implementierung des Pariser Abkommens beschlossen, bevor der klimadiplomatische Tross nach New York weiterzog. Dort hatten die Vereinten Nationen im September zum Climate Action Summit geladen und dort klagte Greta Thunberg die versammelten Staats- und Regierungschefinnen und Chefs wegen ihrer Untätigkeit angesichts der Klimakrise an. "Wie könnt ihr es wagen?", lautete ihre Frage, die danach auf vielen Fridays-for-Future-Demonstrationen und Earth-Strikes als Slogans zu lesen war. Für ihre eindringliche Rede bekam Greta, wie so oft, den Applaus derer, die sie anprangerte. Die angemessene Reaktion, eine Einleitung dringend benötigter politischer Schritte zur Eindämmung der Klimakrise, blieb jedoch aus.

Eine kurze Geschichte der Klimadiplomatie

Die ernüchternde klimapolitische Zwischenbilanz des Jahres 2019 ist für Beobachterinnen und Beobachter internationaler Klimapolitik allerdings wenig überraschend. Seit sich die Weltgemeinschaft 1972 zur ersten Umweltkonferenz traf, wurden unzählige Erklärungen zur Eindämmung der verschiedenen menschengemachten ökologischen Probleme verabschiedet. Die zwanzig Jahre später in Rio de Janeiro unterschriebene Klimarahmenkonvention legte den Grundstein für internationale Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels. Sie bildet die Basis für das 1997 ausgehandelte Kyoto-Protokoll und die seit 1995 regelmäßig stattfindenden COPs. Die Treffen hochrangiger internationaler Vertreterinnen und Vertreter sowie die dabei ausgehandelten Abkommen sollen dazu dienen, klima- und umweltpolitische Maßnahmen auf globaler Ebene abzustimmen und umzusetzen. Die Logik ist intuitiv einleuchtend: Globale Probleme erfordern globale Lösungen. Allein, die Lösungen lassen auf sich warten.

Verhandlungsbasis des Kyoto-Protokolls war, dass die weitere Steigerung der Treibhausgasemissionen verhindert werden soll. Die globalen Treibhausgasemissionen steigen trotzdem weiter an, von rund 22 Gigatonnen CO2 im Jahr 1990 auf 31 Gigatonnen im Jahr 2017. Auch in Österreich haben sich die Emissionen im Vergleich zum Kyoto-Basisjahr 1990 nicht verringert. Sie sind um ganze 4,6 Prozent gestiegen. Währenddessen brennt es in der Arktis oder am Äquator in bis dato unbekannten Ausmaßen, die Bewohnerinnen und Bewohner von Pazifikinseln wie den Fijis müssen sich mit dem Untergang ihrer Heimat abfinden und Extremwetterereignisse von Dürrekatastrophen bis zu Starkregenfällen gefährden die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen im Globalen Süden. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist offensichtlich, darüber können auch scheinbare Erfolgsmeldungen, wie die Reduzierung der Treibhausgasemissionen einzelner Länder, nicht hinwegtäuschen. Zumal diese Reduzierungen häufig vor allem auf dem Papier passieren, weil etwa Emissionen aus dem Flugverkehr keinem Land zugerechnet werden und nur produktionsbasierte Emissionen erfasst werden. Konsumbasierte Emissionen bleiben außen vor. Wenn beispielsweise Österreich eine Tonne Stahl weniger produziert, dafür aber eine Tonne Stahl mehr importiert, ergibt das rechnerisch eine Emissionsreduktion für Österreich, obwohl diese faktisch nicht stattfindet.

Seit Monaten wird fürs Klima demonstriert - die Politik rührt sich wenig.
Foto: APA/AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Die Wurzel der Klimakrise bleibt unangetastet

Die Wirkungslosigkeit der bisherigen Maßnahmen ist freilich kein Zufall. Sie ist Resultat der systematischen Ausklammerung der grundlegenden Fragen rund um die sozial und ökologisch nachhaltige Gestaltung der Weltwirtschaft. Der Brundtland-Report von 1987 prägte den Begriff der nachhaltigen Entwicklung, der seither den realpolitischen Diskurs bestimmt. Das Drei-Säulen-Modell aus ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklung ermöglichte einen Kompromiss zwischen Kapitalismuskritik und moderatem Umweltschutz, der die Notwendigkeit ökonomischer Entwicklung im Sinne der Produktionssteigerung nicht hinterfragt. Mehr noch, für die nachhaltige Entwicklung stand die ökonomische Entwicklung, dem Vorbild westlicher Industrienationen folgend, immer im Vordergrund. Die dominante Annahme lautet seither, dass durch technischen Fortschritt und ökonomisches Wachstum Umweltschutz erst möglich wird. Umweltschutz auf nationaler Ebene oder die Verbannung einzelner Schadstoffe kann so durchaus funktionieren. Der Himmel über der Ruhr ist wieder blau, der Zustand österreichischer Gewässer ist heute weit besser als in den 70er-Jahren und Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, mitverantwortlich für die dünner werdende Ozonschicht, sind verboten

Umweltschutz und Klimaschutz folgen allerdings nicht derselben Logik. Eine zukunftsfähige CO2-Bilanz lässt sich nicht mit dem Wachstum "grüner" Industriesektoren erreichen. Die Klimakrise führt uns das hier zugrunde liegende Dilemma vor Augen: die internationale Klimadiplomatie bedient den Mythos des grünen Wachstums. Tatsächlich aber gibt es keine belastbare Evidenz, dass die absolute Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen zur Eindämmung der Klimakrise in nötigem Ausmaß erreicht werden könnte. Somit sind die enttäuschenden Ergebnisse der Verhandlungen nicht nur Konsequenz der Blockadehaltung einzelner Staaten. Sie spiegeln vor allem Grundannahmen wider, die bequem erscheinen, weil sie keine systemische Transformation erfordern. Gleichermaßen lässt eine entschiedene Abkehr von fossilen Ressourcen, also Gas, Kohle, Öl, weiter auf sich warten und klimazerstörerische Großkonzerne dürfen sich als COP-Sponsoren grünwaschen. Eben dieses Versagen, das heute schon die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen gefährdet, wurde von Thunberg in New York angeprangert.

Es geht ums Ganze

Damit macht sie deutlich, dass die Klimakrise eine Gerechtigkeitskrise ist, die eng mit dem kolonialen Erbe heutiger Industrienationen verknüpft ist. Erstens war der Raub von Ressourcen und Menschen durch die Kolonialmächte entscheidend für die industrielle Revolution. Zweitens sind die stärksten Auswirkungen der Klimakrise im Globalen Süden zu beobachten. Drittens knüpfen aktuelle Politiken, die die Klimakrise lösen sollen, an das koloniale Erbe an. Etwa werden heute indigene Gemeinschaften enteignet, um Aufforstungsgebiete für Klimakompensationen zu schaffen. Es bleibt unbeachtet, dass diese Gemeinschaften geschätzte 80 Prozent der globalen Biodiversität schützen, weder Treiber noch Nutznießer der Industrialisierung und der seither ausgestoßenen Emissionen waren und außerdem schon seit Jahren vor der Klimakrise und ihren Folgen warnen. Dies trifft auch auf Klimaschutzmaßnahmen zu, die durch den Green Climate Fund (GCF) der Vereinten Nationen finanziert werden, dessen Auffüllung dieser Tage in Madrid verhandelt wird. Eigentlich soll der GCF besonders verwundbaren Gesellschaften finanziell helfen, die verheerendsten Folgen der Klimakrise abzufedern. Doch immer noch haben GCF-Projekte folgenschwere Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften. Diese machen als Beobachter bei GCF-Board-Meetings darauf aufmerksam und pochen auf ordnungsgemäße Prüfung von Finanzierungsvorhaben. Die Wirkung der Verabschiedung einer Richtlinie, die Schäden für indigene Völker verhindern soll, kann derzeit vor allem als diskursiver Erfolg gewertet werden. Auf lokaler Ebene ist davon noch nichts zu spüren.

Nichtsdestotrotz schaut die Zivilgesellschaft dieser Tage nach Madrid und UN-akkreditierte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind als Beobachter ohne Stimmrecht auf der Konferenz dabei. Auch Interessenvertreter aus dem Globalen Süden sind akkreditiert, die tatsächliche Teilnahme ist erfahrungsgemäß aber eine finanzielle Frage. Gerade für kleinere NGOs, die marginalisierte Gruppen vertreten, übersteigen die Kosten für Anreise und Unterbringung häufig die finanziellen Mittel. Und all das für die Teilnahme an einer Konferenz, bei der die zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen oft separat von denen der Staatengemeinschaft ablaufen und beispielsweise bei der COP 23 sogar räumlich getrennt waren. Es ist also fraglich, ob der vielbeschworene Austausch zwischen beiden Gruppen überhaupt in annähernd ausreichendem Ausmaß zustande kommt, oder ob NGOs nicht eher als zivilgesellschaftliches Feigenblatt für Staaten fungieren. Zwischenstaatliche Verhandlungen funktionieren nach den Regeln der Diplomatie, bei der es historisch bedingt eher um Interessenausgleich, als um gemeinsame Politikentwicklung geht, und Gerechtigkeit allenfalls als Phrase bemüht wird.

Druck von unten auf Gipfeln und Straßen

Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft müssen sich also die Frage stellen, wo und wie sie ihre knappen Ressourcen einsetzen. Wollen sie weiterhin Zeit und Geld auf den Versuch verwenden, nationale Regierungen dazu zu bringen, die Klimakrise endlich anzugehen, indem sie bei offiziellen Veranstaltungen wie dem Klimagipfel ihre Stimme erheben? Die Notwendigkeit dafür steht außer Zweifel. Aber Geschichte und aktuelle Entwicklung bieten kaum Anlaß zur Hoffnung, dass zivilgesellschaftliche Beteiligung an klimadiplomatischen Zusammenkünften geeignet ist, um genügend Druck aufzubauen und einen echten Politikwechsel einzuleiten. Die COP funktioniert nach den Spielregeln von Staaten und Konzernen, nicht nach demokratischen Grundsätzen. 

Demokratisch legitimiert sind lediglich die Regierungen der Staaten – und selbst das nur im besten Fall und nie entsprechend demokratischen Idealen. Aber immerhin ist in den meisten international einflussreichen Ländern wenigstens ein Mindestmaß an Rechenschaftspflicht gegeben. Deshalb muss es darum gehen, die Klimafrage zur zentralen Regierungsfrage zu machen. Hier sind zivilgesellschaftliche Bündnisse gefragt, denn die Antworten auf die Krise müssen von unten kommen. Damit das passieren kann, braucht es großangelegte Kampagnen wie den Green New Deal des Sunrise Movements, aber auch Aktionen zivilen Ungehorsams, wie etwa die des deutschen Anti-Kohlebündnisses Ende Gelände. Kürzlich wurde durch Blockaden der Kohleinfrastruktur in der Lausitz einmal mehr praktisch gezeigt, dass wir auf Kohle nicht mehr angewiesen sind. Ende Gelände hat eine gesellschaftliche Diskursverschiebung erreicht, durch die "Kohleausstieg" als zuvor ungenutzter Begriff eine gesellschaftliche Mehrheit gewonnen hat. Auch Kampagnen wie "Wir sind Systemwandel" tragen zu einer solchen Diskursverschiebung bei. Die realpolitische Umsetzung zum Kohleausstieg droht nun allerdings durch Emissionshandel in der Wirkungslosigkeit zu versinken. Das zeigt uns einmal mehr, dass der zivilgesellschaftliche Druck trotz unmissverständlicher Dringlichkeit der Klimakrise nicht ausreicht, um den Scheinlösungen gemäß des grünen Wachstumsmythos den Riegel vorzuschieben. Genau darum muss es letztendlich gehen. Denn nur wenn es eine gesellschaftliche Mehrheit für Klimagerechtigkeit gibt und das Thema so wichtig ist, dass Versagen Regierungen zu Fall bringt, gibt es eine Chance, dass COPs mehr produzieren als heiße Luft und CO2. (Katharina Keil, Karoline Kalke, 2.12.2019)

Katharina Keil studiert Sozial-ökologische Ökonomik an der Wirtschaftsuniversität Wien und engagiert sich für Klimagerechtigkeit. Sie beschäftigt sich mit ökologischer Ökonomik und Mobilitätstransformation, sowie deren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen.

Karoline Kalke studierte Kulturwissenschaften und Soziale Ökologie. Sie promoviert am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.

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