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461 EU-Parlamentarier votierten für, 157 gegen das Kommissionsteam von Ursula von der Leyen (vorn, stehend). 89 Mandatare enthielten sich der Stimme: ein guter Start für die Deutsche.

Foto: Reuters / Vincent Kessler

So viel geküsst wie am Mittwoch wurde im Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg schon lange nicht mehr. Nicht einmal beim Abschiedsauftritt von "Küsserkönig" Jean-Claude im November.

Es war Punkt neun Uhr, als ein Saaldiener mit dem Ruf "Il presidente!" David Sassoli ankündigte. Aber dieser musste mit der Eröffnung zehn Minuten warten, bis die letzten der 751 EU-Abgeordneten in den Saal keuchten, um an "einem sehr wichtigen Ereignis", wie Sassoli sagte, teilzunehmen: an der Vertrauensabstimmung über die neue EU-Kommission unter der Deutschen Ursula von der Leyen. Die Christdemokratin saß vorn, etwas angespannt, neben ihrem "ersten Stellvertreter", Frans Timmermans (SP).

Da viel Zeit war, kam ein exzessives Begrüßungsritual in Gang. EVP-Fraktionschef Manfred Weber, der gescheiterte Spitzenkandidat für den Präsidentenposten, war einer der Ersten. Kommissare, Klubchefs, wichtige Abgeordnete und Freunde pilgerten zu von der Leyen, die immer wieder aufstehen musste. Küsschen, Wange links, Wange rechts.

Dreisprachige Rede

Es herrschte also bereits gute, freundschaftliche Stimmung, als die gewählte Präsidentin von Sassoli gebeten wurde, ihr Programm und ihre 26 Kommissarinnen und Kommissare vorzustellen, bevor es nach dreistündiger Debatte zur Abstimmung gehen werde.

Von der Leyen begann in Englisch, gefolgt von Französisch und ihrer Muttersprache Deutsch. So etwas schätzen die Abgeordneten. Sie strebe so etwas wie einen "Neustart" für Europa an, trug sie vor, erinnerte zuerst aber daran, dass genau vor 30 Jahren in der damaligen Tschechoslowakei die Samtene Revolution stattgefunden habe. Die Menschen hätten "kühn" für die Freiheit und Demokratie gekämpft oder – wie Václav Havel sagte – "gehandelt, um das Richtige zu tun".

Viel Applaus

Genau das werde die Grundlage der Arbeit ihres Teams sein: "Europa muss man vom Menschen her denken, nicht vom Markt." Europa müsse handeln, sein Lebensmodell in der Welt verteidigen, sich dem Wandel der Digitalisierung stellen, dürfe keinen Tag verlieren, um für Klimaschutz zu kämpfen. In Sachen Brexit gestand die Deutsche, immer dagegen gewesen zu sein – aber die Entscheidung der Briten sei zu akzeptieren. Und jedenfalls gelte: Die Menschen und die Völker werden auch so für immer verbunden sein.

Die Vorstellung der einzelnen Punkte ihres Arbeitsprogramms verknüpfte von der Leyen mit den Namen der jeweils zuständigen Kommissarinnen und Kommissare. Und bekam viel Applaus. In der Debatte war dann rasch klar: Die Kommission würde ein positives Votum erhalten: Christ- und Sozialdemokraten, Liberale dafür; zum Teil auch Konservative. Wenige Ausreißer. Die Grünen: Enthaltung. Linke, Rechtsfraktion und britische EU-Skeptiker: Nein.

Das Ergebnis war kurz nach Mittag da: Bei 707 abgegebenen Stimmen votierten 461 für, 157 gegen das Von-der-Leyen-Team – bei 89 Enthaltungen, wie Sassoli verkündete. Damit schlug sie Juncker aus dem Jahr 2014, der 422 Ja-, 250 Neinstimmen und 47 Enthaltungen bekommen hatte.

Danach ging alles sehr schnell. Sassoli unterzeichnete die Ernennungsurkunde, übergab sie an von der Leyen, beide verließen den Saal. Wenige Minuten später war er leer. (Thomas Mayer, 27.11.2019)