Im Gastkommentar warnt die Kulturvermittlerin Petra Unger davor, kritischen studentischen Stimmen pauschal die Berechtigung abzusprechen. Lesen Sie zur Debatte um den ÖH-Protest gegen Alice Schwarzer und "Safe Spaces" an Universitäten auch den Gastkommentar von ÖVP-Politiker Gernot Blümel, die Kolumne von Beate Hausbichler und den Kommentar von Lisa Nimmervoll.

Die ÖH protestierte gegen einen Vortrag Alice Schwarzers – und setzte eine Debatte über "Safe Spaces" an österreichischen Unis in Gang.
Foto: Imago / Alexander Pohl

Alice Schwarzer wird an die Universität für angewandte Kunst in die "Klasse für Ideen" eingeladen, um darüber zu sprechen, wie mit Kampagnen gesellschaftliche Veränderungen angestoßen werden können. Mit ihr ist ein scheinbar unerschütterlicher Mythos in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden: Sie scheint die einzige relevante Stimme der Frauenbewegung und, in diesem Zusammenhang, feministischer Kampagnen zu sein.

Glaubt man diesen Mythos nicht, lautet die sich aufdrängende Frage: Ist Schwarzer eine geeignete Diskussionspartnerin angesichts des momentanen Stands der akademisch-feministischen Forschung? Gibt es da nicht andere, aktuellere Kampagnen und Vertreterinnen neuerer feministischer Positionen, die eingeladen werden könnten?

Unverrückbare Positionen

Die Universität strebt nach Erkenntnisgewinn und Produktion neuen Wissens, so der Anspruch. Gerade dafür ist Schwarzer eher nicht bekannt. Sie gilt als Vertreterin unverrückbarer Positionen und immer gleicher Themen. Die Unverrückbarkeit ihres Denkens und ihre wiederholte Ablehnung auch noch so wohlüberlegter und differenzierter Argumente haben in der Vergangenheit ehemalige Wegbegleiterinnen und Feministinnen verschiedener Generationen auf Distanz gehen lassen.

Ihr Naheverhältnis zu Boulevardmedien verstärkt zudem die feministische Entfremdung. Dass sie am Boulevard erfolgreich und beliebt ist, überrascht nicht, sorgt sie doch mit Wortgewandtheit und Schlagfertigkeit, gepaart mit Witz und vor allem mit Vereinfachung, für Unterhaltung. Ihre bevorzugten Themen sind besonders komplex, mitunter schwer zu erfassen und von ihr oft polemisierend dargestellt: Pornografie, Sexarbeit und Islamismus.

Umfangreiche Forschung

An den Universitäten gibt es zu diesen komplexen Themen umfangreiche Forschungen und zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, die Schwarzers Aussagen und Behauptungen fundiert widerlegen. Dass Studierende nun nicht hinter diese Erkenntnisse zurückwollen, ist verständlich.

Ebenso verständlich ist die Forderung der Studentinnen und Stundenten nach einer diskriminierungsfreien Universität. Es soll möglichst frei von Herabwürdigung gelernt, gelehrt und geforscht werden. Dass dieses Anliegen als übertriebene Empfindlichkeit kritisiert wird, ist irritierend.

Was wäre die Alternative zu einer diskriminierungsfreien Universität? Lehrende und/oder eingeladene Vortragende, die im Namen der Meinungsfreiheit Frauen sexistisch beleidigen, antisemitische Vorträge halten, homophobe Bemerkungen in ihre Ausführungen einstreuen oder bestimmten Religionen pauschal Gewaltbereitschaft unterstellen? Das kann niemand wollen, am wenigsten die Universität.

Lust am Skandal

Befremdlich ist im Zuge dieser Debatte die nahezu voyeuristisch anmutende Lust am Skandal der aktuell darüber berichtenden Medien. Wenn vom "Ende der Meinungsfreiheit" schwadroniert, "Sprechverbot" und "Gesinnungsdiktatur" gerufen wird, erhält eine Diktion Einzug, die sonst von meist politisch rechts stehenden, antifeministischen Gruppierungen verwendet wird, wenn es darum geht, berechtigte feministische Positionen zum Schweigen zu bringen. Hier sollten die Alarmglocken läuten. Dass Meinungsfreiheit ihre demokratischen und an den Menschenrechten ausgerichteten Grenzen hat, könnte in Zeiten der "Einzelfälle" im journalistischen wie universitären Feld Allgemeingut sein.

An dieser Stelle ist den Berichterstattenden in den Medien Zeit für und Interesse an Frauenbewegungsgeschichte und feministischer Theorie zu wünschen, um wirklichkeitsnah und vorurteilsfrei zu den damit verbundenen Themen schreiben zu können.

Inhaltliche Vielfalt

An den Universitäten wäre mehr kritisch-sachliche Distanz zu Schwarzer, mehr Rückhalt für Studierende mit legitimen Forderungen und mehr diskriminierungsfreier, von inhaltlicher Vielfalt geprägter Diskussionsraum gefragt, anstatt kritisch-studentischen Stimmen pauschal die Berechtigung abzusprechen.

Und nicht zuletzt: Die Geschichte der Frauenbewegung hat bedeutend mehr interessante Feministinnen vorzuweisen und bietet zahlreiche spannende Kampagnen, die als Lehrstück dienen können. Es muss nicht immer Alice Schwarzer sein. (Petra Unger, 28.11.2019)