Teuerstes Kunstwerk im ersten Halbjahr: Ein "Heuhaufen" von Claude Monet, für den Sotheby’s mit 110 Mio. Dollar den Auktionsweltrekord notierte
Foto: Sotheby‘s

Die Statistik ist wie eine Laterne im Hafen, sie dient dem betrunkenen Seemann mehr zum Halt als zur Erleuchtung. Die These des deutschen Bankiers Hermann Josef Abs (1901–1994) ist mittlerweile eine Binsenweisheit – insbesondere auch, wenn es um den internationalen Kunstmarkt geht: um dort erwirtschaftete Umsatzzahlen als Indikatoren für Erfolge wie Fehlschläge, aus denen sodann Wachstum, Flaute oder Schrumpfung des internationalen Marktes oder auch regionaler Segmente abgeleitet werden.

Die obligaten Trends nicht zu vergessen, die benannt werden wollen und anhand derer dann eine stärkere oder schwächere Nachfrage für X und Y prognostiziert werden.

Schielen auf Rendite

Wem zur Hölle nützen solche Informationen, ist man geneigt zu fragen. Ändert der Kunsthandel deshalb seine Geschäftsstrategien? Werden bestimmte Kunstgattungen deshalb nicht oder erst recht gekauft? In letzterem Fall mögen sich Investoren betören lassen, die auf (kurzfristige) Renditen schielen und Wertverluste vermeiden wollen. Der klassische Sammler lässt sich dadurch nicht beirren. Er kauft seit Jahr und Tag was und wann auch immer ihm beliebt.

Und doch können Statistiken dieser Stammklientel gehörig in die Suppe spucken. Dann nämlich, wenn Krisen indirekt heraufbeschworen werden und damit der Warennachschub beeinflusst wird. Weil potenzielle Verkäufer keine Motivation haben, ihr Kunstwerk auf einem von mieser Stimmung geprägten Markt zu verheizen.

Reports und Studien

Seit einigen Jahren werden laufend Studien und "Art Market Reports" unterschiedlicher Institutionen veröffentlicht. Man findet sie im Umfeld prestigeträchtiger Kunstmessen wie der Tefaf (The European Fine Art Fair) oder der Art Basel oder auch in der Versicherungsbranche (u. a. Hiscox) und im Bereich der Finanzberatung, wie das Beispiel Deloitte aktuell vor Augen führt. Vergangene Woche wurde der sechste "Art & Finance"-Report veröffentlicht, der nicht nur Einblick in unterschiedliche Teilbereiche des Marktes gibt.

Das verwertete Datenmaterial stammte von ArtTactic, einem auf den Bereich Kunstmarktforschung spezialisierten britischen Unternehmen. Ergänzt wurde es um eine Umfrage unter 54 Banken, 25 Privatunternehmen, 105 Sammlern oder Investoren sowie 138 "Professionals", also Mitarbeitern von Auktionshäusern oder Kunstberatern. Aus der Sicht der Auftraggeber ein repräsentatives Sample von 322 Teilnehmern aus den USA, Asien, Russland und Europa.

Eingetrübte Stimmung

"Die Stimmung hat sich eingetrübt, und das wirkt sich auch auf Investitionen in Kunst aus", denn "der globale Kunstmarkt ist heuer in den Abschwung gerutscht", zitierte die APA Gernot Schuster von Deloitte Österreich. Ein Fazit, dem allerdings nur Umsatzzahlen der drei Auktionshäuser Christie’s, Sotheby’s und Philips zugrunde gelegt wurden: Von Jänner bis inklusive Juni seien die Verkaufszahlen im Vergleich zum Vorjahr von 6,96 auf 5,55 Milliarden US-Dollar oder 20,3 Prozent geschrumpft.

Diese Werte sind allerdings nur bedingt nachvollziehbar und lassen sich nicht mit Zahlen vergleichen, die von den genannten Auktionshäusern veröffentlicht wurden – oder auch nicht, wie im Falle von Philips. Dazu umfassen sie nur die Umsätze aus Versteigerungen, wie aus dem Deloitte-Bericht hervorgeht. Der Geschäftsbereich Private Sales bleibt unberücksichtigt. Zum besseren Verständnis: Dieser wirft jährlich zwischen 300 und 600 Millionen Dollar ab.

Differenziertes Bild

Einerlei. Ein Blick auf die Halbjahresbilanzen von Sotheby’s und Christie’s liefert ein differenzierteres Bild.

Bei Sotheby’s sank der Umsatz aus Auktionen tatsächlich um zehn Prozent, von 3,1 auf 2,6 Milliarden Dollar. Deutlicher fiel das Minus bei Kontrahent Christie’s mit 22,44 Prozent aus, wo man statt 3,61 Milliarden Dollar im ersten Halbjahr 2018 in diesem Geschäftszweig heuer nur mit 2,8 Milliarden bilanzierte. Die Differenz ist leicht erklärt: Im vergangenen Jahr hatte sich allein die Versteigerungen des Rockefeller-Nachlasses mit 835 Millionen Dollar zu Buche geschlagen. Akquisitionen solcher in Umfang, Qualität und Wert außergewöhnlichen Sammlungen gehören zu den absoluten Ausnahmen. Herbeizaubern kann man sie nicht. Aus einem Umsatzrückgang gleich einen globalen Abschwung zu interpretieren scheint doch eher mutig.

Realitätsferne Statistik

Absurd mutmaßen übrigens die Zahlen zu Europa – ohne Vereinigtes Königreich – an. Verarbeitet wurden nämlich nur Umsätze der Sparte Post War & Contemporary von Christie’s und Sotheby’s – konkret nur jene die man in Paris, in Amsterdam und Mailand lukrierte. Eine Statistik, die die Realität folglich nicht annähernd abbildet. Bilanzen aus der Schweiz, Deutschland oder Österreich blieben gänzlich unberücksichtigt.

Welchen Zweck verfolgt also ein solcher "Report" und an welche Zielgruppe ist er adressiert? "An Menschen, die in Kunst investieren oder Kunst allgemein kaufen", erklärt Gernot Schuster von Deloitte Österreich. Denn seiner Meinung nach schwinge im Hinterkopf doch immer mit, ob sich ein Kunstwerk auch wieder verkaufen lässt. In einem Markt, der wächst, sei das naturgemäß einfacher. Umsatz, so das Fazit, scheint Kunstmarktökonomen wichtiger als die Stimmung, die sie mit ihren Zahlenspielen zu verbreiten imstande sind. (Olga Kronsteiner, 30.11.2019)