Bild nicht mehr verfügbar.

Der Ausblick aus der VW-Zentrale ist derzeit nicht besonders gut.

Foto: Reuters/Fabian Bimmer

Bei den zehntausend Sammelklägern im Dieselabgasskandal weckt das Oberlandesgericht Wien (OLG Wien) Hoffnungen. Denn der Richtersenat unter Vorsitz von Dorit Primus rechnet in dem am Montag zugestellten Teilurteil scharf ab mit dem von Volkswagen durchgeführten Software-Update, mit dem allein in Österreich die Abgasreinigung von mehr als 388.000 Dieselfahrzeugen repariert wurde.

Mit der aufgespielten neuen Motorsteuerungssoftware sei der Mangel des Fahrzeugs nicht behoben, heißt es in dem Teilurteil (4R62/19w) vom 25. November, das dem STANDARD vorliegt. Es bestehe nämlich latent die Gefahr, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung verhänge. "Denn auch dann liegt im Ansatz bereits ein Sachverhalt ("Mangelanlage/Grundmangel") vor, der (...) dazu führen kann, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung vornimmt", weil das Fahrzeug aufgrund der Abschalteinrichtung gegen die EU-Verordnung 715/2007/EG verstoße und so nicht dem genehmigten Typ entspricht.

Thermofenster reicht nicht

Hintergrund der strengen Vorgangsweise: Auch nach dem Software-Update ist nicht alles sauber, was aus dem Auspuff herauskommt. Denn eingebaut wurde, vereinfacht ausgedrückt, ein "Thermofenster". Dieses sieht vor, dass Emissionskontrolle und Abgasrückführung de facto nur in vier bis sechs Monaten des Jahres aktiv sind, konkret zwischen 15 und 33 Grad. Bei Temperaturen darunter und darüber wird sie ausgeschaltet – um den Motor vor Beschädigung zu schützen und den sicheren Betrieb des Kfz zu gewährleisten, wie Fachleute sagen.

Genau dort hakt der Richtersenat des OLG Wien ein: Eine außentemperaturgesteuerte Abgasreinigung sei per se unzulässig, die Beklagte habe damit die in der EU-Richtlinie gewährte "Ausnahme für punktuell eintretende Ereignisse" reichlich überstrapaziert.

Ausnahme als Regel

In Fahrzeug und Emissionskontrollsystem sei die Abschalteinrichtung nicht die Ausnahme, sondern integraler Bestandteil, also die Regel. Auch wurde der Nachweis nie angetreten und erbracht, dass dieses Thermofenster der einzig mögliche Schutz für den Motor ist. "Dass das deutsche Kraftfahrtbundesamt (KBA) dieses Thermofenster mit der Freigabe der Software nicht als unzulässige Abschalteinrichtung (...) eingestuft hat", sei demnach nebensächlich. Denn ob eine Abschalteinrichtung unzulässig sei oder nicht, stelle eine Rechtsfrage dar, die von Gerichten zu prüfen ist.

Das will die Volkswagen AG nicht auf sich sitzen lassen. Sie kündigte Rechtsmittel an, ruft also den Obersten Gerichtshof (OGH) an. Das Fahrzeug sei weiterhin verkehrs- und betriebssicher und auch die Zulassung sei in keiner Weise gefährdet, daher bestehe keine Grundlage für die Klagsstattgebung. Überhaupt stelle das Urteil sowohl eine Einzelmeinung in Österreich als auch des zuständigen Oberlandesgerichts Wien dar, heißt in der von Generalimporteur Porsche Austria übermittelten Stellungnahme.

Das OLG habe in einem gleich gelagerten Verfahren mit Entscheidung vom 17.10.2019 den Einsatz eines Thermofensters ausdrücklich für zulässig und rechtskonform erklärt und stehe damit – im Gegensatz zum jüngsten Urteil – im Einklang mit der Judikaturlinie der OLG Wien, Linz und Innsbruck.

Kläger jubiliert

Weitreichende Bedeutung – auch für andere Fahrzeughersteller wie Daimler, Renault oder Fiat – sieht Klägeranwalt Michael Poduschka in dem Spruch des OLG auch deshalb, weil das OLG den Automobilkonzernen einen Strich durch die Rechnung macht, wenn sie Abgase nur an einem Drittel des Jahres reinigen lassen. Das sei vom europäischen Normgeber nie so gemeint gewesen.

Außerdem kommt der Kläger nicht aus den Reihen der Update-Verweigerer, sondern ist Besitzer eines Audi A3 quattro, der brav sein Update vornehmen ließ. Er sieht sich aufgrund auftretender Mängel getäuscht und in die Irre geführt und will seinen um 44.000 Euro gekauften Wagen gegen ein Fahrzeug ohne Mangel wandeln.

Deutsche Rechtssprechung

Das OLG Wien verweist mehrfach auf den deutschen Bundesgerichtshof. Das Höchstgericht hatte heuer im Jänner verneint, dass das Software-Update den Mangel saniert – aufgrund des Thermofensters liege eine Verbesserung nicht vor. Das OLG lässt die Revision zu, weil es sich um einen Sachverhalt von grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung handele, regt aber darüber hinaus ein Grundsatzurteil zur Berechnung der Nutzungsgebühr an. Denn aufgrund des Grundmangels dürften die üblichen 33 Prozent Wertminderung eigentlich nicht angewendet werden, was allerdings der OGH-Rechtsprechung widerspricht. Auch die Verjährungsfristen wären hinfällig, wenn das OLG-Urteil hält. (Luise Ungerboeck, 27.11.2019)