Christian Kern bei seinem politischen Abschied 2018. Nun fühlt er sich von der aktuellen SPÖ-Parteispitze verunglimpft.

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Wien – Nun schaltet sich Christian Kern in den Streit in der krisengeschüttelten SPÖ ein. In einer Mail an die Wortführer der Partei macht der im September 2018 abgegangene SPÖ-Chef seinem Unmut Luft. "Die Ereignisse der vergangenen Tage waren sehr bedrückend", schreibt Kern: "Ich hätte gerne darauf verzichtet, mich zu äußern. Die verbreiteten Unterstellungen lassen mir aber keine Wahl."

Was er damit meint: Seine Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner hat den nun verhängten Sparkurs samt Kündigungen nicht zuletzt mit Versäumnissen der Vergangenheit begründet. Sie habe vom Vorgänger 14 Millionen an Schulden übernehmen müssen, klagte die aktuelle Obfrau, der Sanierungskurs hätte längst begonnen werden müssen: "Ich habe einen Rucksack mit Steinen umgehängt bekommen."

Kern sieht Rechtfertigungsversuche Rendi-Wagners

Kern widerspricht dem vehement. Am Tag seiner Rücktrittserklärung habe der Schuldenstand "nach einem umfassenden Sanierungsprogramm", das regelmäßig mit dem Parteivorstand abgestimmt worden sei, 10,57 Millionen betragen und nicht mehr – genau diese Zahl findet sich auch in einem Dokument aus der SPÖ-Zentrale, aus dem DER STANDARD zitiert hat. "Alles andere sind Rechtfertigungsversuche, die noch dazu im Gegensatz zur vollen Einhaltung des Sanierungskurses stehen, die die Parteiführung selbst im Parteivorstand vom 19.Dezember 2018 berichtet hat", schreibt Kern.

Auch politisch will sich der Ex-Frontmann nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen. Er weist darauf hin, dass die SPÖ bei seiner einzigen Nationalratswahl 2017 – im Gegensatz zur diesjährigen – zumindest 100.000 Stimmen dazugewonnen hat und auch bei drei der vier folgenden Landtagswahlen ein Plus angeschrieben hat. Das neue Programm habe dem Klimawandel breiten Raum eingeräumt, die unter ihm beschlossene – und später zum Teil zurückgenommene – Organisationsreform habe "eine weitgehende Demokratisierung der SPÖ" gebracht.

Der Absturz erst nach ihm

"Viele Weichen waren für das neue Team an der Spitze gestellt, inklusive des Personals, das diesen Weg glaubwürdig vertreten hätte können", schreibt Kern: "Man hat sich dann aber entschlossen, einen anderen Kurs einzuschlagen. Das ist selbstverständlich das gute Recht der Führung. Aber dann sollte man auch zu den Konsequenzen dieser Entscheidung stehen." Er selbst habe die SPÖ mit Umfragewerten von 29 Prozent übergeben: "Mit dem Management der Ibiza-Ereignisse und dem Wahlkampf 2019 kam dann der Absturz auf das bekannte Niveau."

Er haben nie das Gefühl gehabt, "einen Rucksack voller Steine" übernommen zu haben, sondern es immer als großes Privileg gesehen, die SPÖ anführen zu dürfen, merkt Kern weiters an. Gewiss, sein Abschied von der Parteispitze habe viele enttäuscht – jedoch: "Vielleicht verstehen manche im Lichte der jüngsten Ereignisse meine Entscheidung nunmehr besser (...) In der Oppositionszeit konnte man den Eindruck gewinnen, dass unser größter Gegner in den eigenen Reihen sitzt."

Parteispitze beharrt auf mehr Schulden bei Amtsübernahme

Eine Antwort auf Kern hat Christoph Matznetter verfasst. Der Parteikassier hält an den 14 Millionen fest und schreibt: "Leider hast Du dich bei uns nicht genau erkundigt, bevor Du an die Öffentlichkeit getreten bist" (siehe Infobox unten). Rendi-Wagner selbst verteidigt den eingeleiteten Sparkurs inklusive der 23 drohenden Kündigungen als Notwendigkeit, verspricht aber: Man werde für jeden einzelnen der betroffenen Mitarbeiter aber eine "sozial verträgliche Lösung" suchen.

Manche Genossen fragen sich aber, warum damit nicht längst begonnen wurde. Bevor derart viele Kündigungen angedroht werden, hätte die Parteispitze einen Sozialplan erstellen können und bei Vorfeldorganisationen nachfragen sollen, ob diese vielleicht Personal übernehmen, so die Kritik. Ein Mitarbeiter: "Der Missmut über die Parteispitze ist riesig."Ob das auch für die Führungsriege gilt, wird sich am 9. Dezember zeigen. An diesem Tag wollen Rendi-Wagner und ihr Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch im Parteivorstand das Ja für ihren Sanierungskurs erhalten.

Kuriose Solidaritätsaktion: Tirols SPÖ-Klubchef Georg Dornauer will als "Soforthilfe" zugunsten der Mitarbeiter ein Monatsgehalt abgeben.

Mitarbeiter über Kündigung via E-Mail informiert

Die 23 betroffenen Mitarbeiter in der SPÖ-Parteizentrale sind am Donnerstag via E-Mail über ihre bevorstehende Kündigung informiert worden. Ein Parteisprecher bestätigte der APA einen entsprechenden Bericht der "Wiener Zeitung". Das Vorgehen sei so mit dem Betriebsrat vereinbart. "Aufgrund der äußerst angespannten finanziellen Situation der SPÖ werden wir bedauerlicherweise gezwungen sein, zum Jahresende das mit Dir bestehende Anstellungsverhältnis zum 31.3. 2020 zu kündigen", heißt es laut Wiener Zeitung" in dem E-Mail. Und: "Bitte verstehe dieses Schreiben nicht als Kündigung, sondern als schlichte Information."

Rendi-Wagner blieb Parteisteuer lange schuldig

Das Nachrichtenmagazin "profil" berichtete unterdessen von einer ihm zugespielten Mahnung der SPÖ Wien an Rendi-Wagner, datiert mit Mai 2019. Demnach blieb die SPÖ-Chefin 16 Monate lang ihre im SPÖ-Parteistatut vorgesehene Mandatsabgabe ("Parteisteuer") schuldig. Die Außenstände sollen zwischenzeitlich mehr als 13.000 Euro betragen haben. Inzwischen ist Rendi-Wagner ihren Verpflichtungen nachgekommen, so das Magazin. Die Landesgeschäftsführerin der Wiener SPÖ, Barbara Novak, erklärte laut "profil", Rendi-Wagner habe derzeit "keine Außenstände und ist allen Zahlungsverpflichtungen zu hundert Prozent nachgekommen". Warum die Vorsitzende die Zahlungsaufforderung 16 Monate lang ignorierte, beantwortete Novak dem Bericht nach nicht. (Gerald John, 28.11.2019)