Wer den Christkindlmarkt an einem Montagabend besuchen darf, der erlebt ihn vielleicht auf die beste Art: als Kinderjause für Erwachsene. Kinder sind dann fast keine da, dafür schieben sich Alte und Junge, Wiener und Wienliebhaber in seligem Wiegeschritt an den illuminierten Hütten vorbei. Gustieren hier, kosten da, bald isses Zeit für den nächsten Himbeergeist. Gesundheit gerät da zwangsläufig zum frivolen Trinkspruch. Ein Häferl Punsch ist stets bei der Hand, Hauptsache süß und, samma sich ehrlich, Hauptsache alkoholisch.
Die Lichterketten blinken, die Festtagswünsche glitzern, die Sternderln leuchten in Farben, für die man schon auf den Christkindlmarkt kommen muss, um zu wissen, dass es sie gibt. Und es riecht scharf und schwer nach Zucker, in fast allen seinen Formen. Die Luft ist dicht von Schwaden verbrannten Karamells, dazwischen ziehen Duftfäden gesponnener Watte durch, hier glüht sie nach frischgebrannten Erdnüssen, dort surrt sie vom Kandis rot getunkter Äpfel.
Da drüben, na jö, sprudeln Schokobrunnen in fettig wabbelnden Kaskaden. Und da vorn? Jodelt ein Debre-Langos in seinem Whirlpool aus Öl. Nichts duftet so süß wie angekokelte Fertigwürze! Wobei, in bodennahen Schichten wabert der Fuseldunst verschüttgegangenen Punsches in klebriger Konzentration. Also, bitte, passts mir auf die lieben Haustiere auf: Ein besoffener Spitz ist kein Witz!
Gelatinöse Punschbrühe
Jetzt aber ganz schnell einen Punsch, sonst kann man der Stimmung noch lange hinterherseiern. Wer auf dem Christkindlmarkt nicht leuchtet wie ein Kandisapferl, der soll lieber daheimbleiben. Als erstes Häferl ist, natürlich, der Wiener Christkindlmarktpunsch gebucht. Warm, aber keineswegs heiß, rinnt er aus dem herzförmigen Häferl auf die erwartungsvoll gespitzten Papillen. Erster Eindruck: Hier wurde nicht gespart, am allerwenigsten am Zucker. Wie dick eingekochte, gelatinöse Brühe schwappt der Sirup in der erdbeerroten Tasse. Heiß wird’s erst, als der Alkohol sich den Weg von unten zurück durch die Speiseröhre brummt – feurig, scharf, beglückend gnadenlos ist dieser Dampf. Beinahe übersieht man darob die markante Säure, ohne die sich solch geballter Zucker niemals geschmeidig schütten ließe.
Das ruft nach fester Nahrung. Eine echte Schlange gibt es beim Standl, das Pizzastanitzel im Angebot hat: In blasse, vorgebackene Teigkegel werden hier weißliche Flankerln vom Pizzakäse gefüllt und rote Sauce gepumpt, Schinken- und Salamiwürfel gibt es optional dazu. Dann kommt das Ding auf ein Förderband, verschwindet links im Drehofen und kommt nach gut fünf Minuten rechts wieder heraus.
Echte Pizza mag unvergleichlich viel schneller backen, der Teig gerät in dem Fall aber nie so souverän kartonös wie bei dieser Kono-Pizza. Und milchiges Magma, das solch schaurig endlose Fäden zieht, darf sonst nur in Amerika als Käse verkauft werden.
Hier ist aber Wien, also rasch zum nächsten Standl, wo die Megabrezen warten. Jene aus Plunder, triefend mit eitrig-reifer Vanillecreme gefüllt, sieht nicht zufällig am verlockendsten aus: Trotz frühwinterlicher Temperaturen und stundenlangen Ausharrens im Freien quillt die Sauce schon beim Hingreifen willig aus der Brezen. Die Kokosfettglasur legt sich behände um die Finger, der Teig gibt nach, ist das schön.
Ganz herausragend Palmfett-elastisch ist diese Breze, trotz der Kälte, mit zarten Ethylalkohol-Noten (Prost!), wie man sie bei industriell haltbar gemachten Feuchtbackwaren schätzt, und dicker Creme voll beinahe natürlichen Vanillearomas: So unwirklich weich und saftig kann dauerfrisches Backzeug sein! Oder, wie der amerikanische Präsident sagen würde: Die paar Quadratmeter Urwald, die dafür zu Palmplantagen werden mussten, sind eh 7.000 Kilometer entfernt.
Ätherische Duftnuancen
Höchste Zeit für regionale Köstlichkeiten: Lumumba, so der zielsicher rassistische Name für heiße Schokolade mit Rum, fällt da eher nicht drunter, es darf also noch ein Punsch sein. "Pfirsich-Marille und Amaretto werden gern genommen", hilft die Verkäuferin bei der Entscheidungsfindung. Zu Tode fürchten erscheint aber auch eine ernstzunehmende Option.
Pfirsich-Marille ist tatsächlich eine faszinierende Komposition, kommt natürlich ganz ohne Marille oder Pfirsich aus, schmeckt dafür aber wie alkoholisch kontaminierter Sirup aus zerlassenen Fruchtgummis und ist nicht nur wegen der viskosen Konsistenz ein echtes Erlebnis. Wie viele Esslöffel Zucker wohl notwendig sind, um solche Dickflüssigkeit zu erzeugen?
Der Punsch mit Amaretto kann’s aber auch. Heftiges Bittermandelaroma, ätherische Duftnuancen, wie man sie vom Vorbeifahren an der OMV-Raffinerie kennt: Ein Punsch für Fortgeschrittene wie jenen Herren in auffallender Begleitung, der ihn mit leuchtenden Augen mit einem Debrezinerlangos kombiniert: "Gell, da schaust, Burli."
Beide Sorten werden, wie schon der Marktpunsch, nicht gerade heiß serviert: Mehr als ein, zwei Minuten lässt sich an der kalten Luft damit kein Händchen wärmen. Die Verabreichungstemperatur könnte aber damit zusammenhängen, dass der Tankalkohol in echt heißem Punsch schnell verdunsten würde.
Doch noch Weihnachten
Was aber nicht geht, ist ein Besuch auf dem Christkindlmarkt ohne Baumkuchen, vulgo Kürtoskalács (ungarisch) oder Trdelník (tschechisch, slowakisch). Der um eine Rolle gewickelte, mit Zucker und Zimt bestreute Germteig mag im Original über Holzkohle gebacken werden (was ganz unwiderstehliches Raucharoma zeitigt), er schmeckt aber auch in der weichgespülten, unter der Glühschlange gedrehten Version, welche die Stadtverwaltung für den Christkindlmarkt vorsieht, so heiß und knusprig nach Weihnachten, wie man sich das an diesem Ort kaum zu träumen gewagt hätte. (Severin Corti, 1.12.2019)
Kleines Punsch-Dir-Was: Das Gute auf Christkindlmärkten – von Nina Wessely
Die frohe Kunde zur Weihnachtszeit: Es gibt sie, die kulinarischen Inseln der Seligen zwischen fettig Gebackenem und rotem Zuckerwasser mit Rum. Hier ein Auszug von der Reise vorbei an geschnitzten Engerl und blinkendem Kitsch auf den Wiener Christkindlmärkten.