Tinder rühmt sich mit vielen Matches, doch Dates kommen nur wenige zustande.

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Seit 2012 verspricht Tinder seinen Nutzern, passende Partner für Flirts, One-Night-Stands und Beziehungen zu finden. Auf der Website ist von einer Million Dates pro Woche und insgesamt über 30 Milliarden Matches die Rede. Doch wenn man mit Tinder-Nutzern spricht, sind selten Erfolgsgeschichten über sexuelle Abenteuer oder gar die große Liebe dabei. Tatsächlich kommen nur bei wenigen Nutzern Dates zustande. Und mitunter entpuppen sich die als herbe Enttäuschung.

Wenige Matches, noch weniger Dates

Norwegische Forscher haben nun die Erfolgsquote der Online-Dating-App gemessen. 269 befragte Tinder-Nutzer – 62 Prozent davon Frauen – hatten im Studienzeitraum durchschnittlich etwas mehr als 100 Matches. Bei Tinder bedeutet ein Match, dass sich zwei Nutzer gegenseitig attraktiv finden – nur dann lässt die App die Kontaktaufnahme zu. Aus diesen Matches ergaben sich im Schnitt nur zwei Dates.

Die Erkenntnisse der Forscher rund um Trond Viggo Grøntvedt, die in "Evolutionary Psychological Science" veröffentlicht wurden: Jene Nutzer, die über Tinder einen One-Night-Stand anbahnen konnten, schafften das in der Regel auch ohne die App. Bei 80 Prozent der Befragten kam es jedoch nicht so weit.

Dass es überhaupt zu einem Date kommt, sei sehr schwierig – da diese eben Matches voraussetzen. Tinder setzt dazu den inzwischen berühmt-berüchtigten Swipe-Mechanismus ein. Gefällt einem eine Person, wischt man rechts. Ist man nicht interessiert, wird nach links gewischt. Nur wenn die andere Person auch nach rechts wischt, kann man sich über einen Chat unterhalten und gegebenenfalls ein Treffen vereinbaren.

Aggressive Antworten an Frauen

Die Studienergebnisse spiegeln persönliche Berichte von Nutzern wider. "Generell ist es als Mann ziemlich schwierig, überhaupt Matches zu bekommen. Meine Freundinnen haben allesamt hunderte Matches, während meine männlichen Freunde weit unter hundert haben. Wenn man dann ein Match hat, muss man ein Gespräch initiieren. Würde sagen, dass von mehr als der Hälfte nichts zurückkommt, auch wenn man sich etwas überlegt und beispielsweise auf die Fotos und Bio eingeht", erzählt etwa Nutzer Stefan* dem STANDARD.

Frauen wiederum erhalten sehr oft anzügliche Nachrichten von männlichen Nutzern. Auf Abweisung reagieren männliche Nutzer mitunter sehr aggressiv. Lucy* berichtet Folgendes: "Einmal schrieb ich mit einem relativ lange, irgendwie wurde er mir unsympathischer, und ich hatte dann auch keine Lust mehr. Darauf beharrte er auf einem Treffen, weil dies stand im Raum und 'galt es nun einzuhalten'. Er hatte mich wüst beschimpft, denn wir hätten das ja fix ausgemacht, und er lasse sich jetzt nicht verarschen. Auf mein 'Das macht keinen Sinn, wir wollen beide was anderes' werde er nur noch aggressiver, wir hätten das jetzt so vereinbart und ich müsste das jetzt tun!" Sie kann trotzdem noch scherzen: "Ich fühlte mich, als hätte ich die AGBs von Tinder nicht richtig gelesen, wo ein Match ein Treffen fix bestätigt! Hab wohl das Kleingedruckte nicht gelesen!"

Problem ghosten

Auch wenn es zu einem Date kommt, haben Nutzer Negatives zu berichten. Stefan etwa wurde schon mehrere Male geghostet – seine Dates meldeten sich einfach nicht mehr bei ihm. "Selbst nach 'guten' Dates kann man sich nie sicher sein, dass die Person doch anders denkt und sich plötzlich nicht mehr meldet und Nachrichten ignoriert." Einmal sei eine Frau währenddessen aufgestanden, zurückgekommen und erzählte davon, gerade mit jemandem telefoniert zu haben, in den sie eigentlich verliebt sei.

"Tinder ist nur mehr da, um Leute zu sammeln beziehungsweise noch eher, um neue Insta-Follower zu bekommen", schreibt Nutzer Erich*. "Sonst passiert da nix mehr. Instagram ist mittlerweile die Dating-App." Auf diese Art soll auch Ricky Martin seinen Ehemann kennengelernt haben.

Positive Erlebnisse

Es gibt aber auch durchaus einige positive Erlebnisse. Nutzerin Stefanie* berichtet von einem Mann, den sie über Tinder kennengelernt hatte und mit dem sie beim ersten Date schon ins Bett ging. "Er ging am nächsten Tag in die Arbeit und sagte, ich solle einfach die Tür zuwerfen, wenn ich gehe. Ich hätte ihn wirklich leicht ausrauben können. Andererseits hätte er mich auch leicht umbringen können, da war ja sein Risiko relativ gering dagegen. Ich ging irgendwann heim, immer noch im Glauben, ihn nie wiederzusehen. Doch er schrieb mir wieder, wollte mich wiedersehen, wir trafen uns am nächsten Tag und fast jeden Tag danach. Nach zwei Wochen waren wir fix zusammen, nach zwei Monaten zog ich ein, ein Jahr später kam unser Sohn zur Welt. Ja. Das war unerwartet. Danke Tinder!" Die Autorin weiß zudem noch zumindest von drei weiteren Personen, die ihr Tinder-Date später geheiratet haben.

Psychotricks

Bei der Mehrheit der Nutzer gibt es aber kein Happy End. Wieso Tinder dennoch so erfolgreich ist, erklärt sich unter anderem durch die Funktionsweise der App. Wie Psychologen bereits untersucht haben, kann der Swipe-Mechanismus der App süchtig machen. Mitgründer Jonathan Badeen erklärte im Rahmen einer Dokumentation einmal, dass der Mechanismus tatsächlich von Verhaltenspsychologie inspiriert worden sei.

Vor allem Nutzer mit niedrigem Selbstwertgefühl tendierten dazu, derartige Apps zwanghaft zu nutzen. Tinder werde oft wie im Rausch genutzt, hinterlasse jedoch ein Gefühl der Leere. Für manche Nutzer ist die Dating-App auch nur ein unverbindlicher Zeitvertreib – laut einer Studie aus Deutschland haben 41 Prozent der Tinder-Nutzer bereits eine Beziehung.

Tinder beziehungsweise schlechte Tinder-Dates sind inzwischen jedenfalls in die Populärkultur eingegangen. Auf dem Tumblr-Blog MyTinderNightmare.com etwa gibt es ein Sammelsurium aus lustigen bis schrägen Chat-Verläufen und Tinder-Geschichten. Im Netz finden sich unzählige Artikel und Videos mit Tinder-Fails. (Birgit Riegler, 1.12.2019)