Kay Voges und der Blick in die Zukunft: "Ich halte es für ein Gerücht, dass das Theater ein Ort des Analogen ist."

Lukas Beck

Mit einem Algorithmus zusammen ein Theaterstück schreiben? Oder eine Choreografie aus Tänzern und Robotern? Dafür ist Kay Voges der richtige Mann. Der deutsche Regisseur und Schauspieldirektor in Dortmund gilt als "Zukunftsapostel" des Stadttheaters. Quantentheorie? Rauf damit auf die Bühne! Mit seiner Synchroninszenierung Die Parallelwelt, bei der das Berliner Ensemble und das Schauspiel Dortmund über Glasfaserkabeln miteinander verbunden waren, hat Voges im Vorjahr seinen Ruf als Anwalt der Digitalität gefestigt. Leidenschaftlich drückt er sich am Fenster zur Pixelwelt die Nase platt. "Ich halte es für ein Gerücht, dass das Theater ein Ort des Analogen ist", sagt er im STANDARD-Gespräch.

Sein jüngster Coup ist die Gründung einer Akademie für Digitalität und Theater, die seinem Haus in Dortmund angegliedert ist. In zwei Jahren soll ein universitärer Lehrgang auf Schiene sein. Stipendiaten aus Ländern wie China, Kanada, Frankreich und Österreich forschen dort schon jetzt an neuen Erzählweisen fürs Theater. Vielleicht wird Voges, verheiratet und zweifacher Vater, mit dieser Kompetenz das Wiener Volkstheater neu erblühen lassen. Der 47-Jährige wird das geprügelte Haus 2020 von Anna Badora übernehmen.

Voges geht an Grenzen heran. Als Regisseur schaut er, was auf einer Theaterbühne möglich ist. Des Livekameraeinsatzes wegen gilt er manchen als Castorf-Epigone und stand auch als Anwärter für die Leitung der Berliner Volksbühne im Raum. Genau genommen aber interessiert sich Voges vor allem für Formen, für Erzählweisen, er experimentiert und variiert wie kaum ein anderer Regisseur. Prototypisch dafür steht Thomas Bernhards Theatermacher, den Voges 2018 als krachenden Genremix vom Stapel ließ: Es fiepte und zischte reihum vom Baustellen-Dorf-Theater bis zum Nazi-Horrormusical.

Musikalisch getriebene Loops

Als Person strahlt Voges indes pure Ruhe aus. Das Handy piept. Egal. Despotische Gesten sind ihm ein Gräuel. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass dieser stille, besonnene, scheinbar durch nichts unter Druck zu setzende Mann mit einem kirchenschiffquerenden Wurf einer Bibelausgabe einst seine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche quittiert hat. Theatermann eben. Die Affinität zum Liturgischen ist ihm von dieser frühen Zeit religiöser Prägung aber geblieben. Man erkennt sie in den nimmermüden, musikalisch angetriebenen Loops seiner Inszenierungen.

Der Theatermacher beispielsweisehing in einer nicht enden wollenden, sich variierenden Wiederholungsschleife fest, und schon die Borderline Prozession 2016 war eine Art Rosenkranz des Grauens, eine sich im Kreis drehende, installative Antwort auf die Bilder- und Informationsflut unserer Gegenwart. Mit dieser auch raumsprengenden Inszenierung löste Kay Voges sein Ticket für das Berliner Theatertreffen.

Larry Mullins, Paul Wallfisch

Nie geht es ohne Musik. Voges ist Musik-Aficionado und Konzert-Tiger. Der US-amerikanische Komponist Paul Wallfisch war bereits in Dortmund und wird auch am Volkstheater sein musikalischer Leiter sein, auch Musikexperte Christoph Gurk ist im Team. Und Nick-Cave-Schlagzeuger Larry Mullins wird nun in Dies Irae – Tag des Zorns am Burgtheater auf der Bühne stehen (Premiere: 19. Dezember). Mit der Endzeitoper gibt Voges jetzt sein Wien- und auch Burgtheater-Debüt.

Dies Irae, das von Bibel- bis Greta-Thunberg-Zitaten, von Karl Kraus bis Nestroy Untergangsfantasien wälzt, wird – Voges-typisch – vom Prinzip der Wiederholung geprägt sein. Verwandlung durch Repetition, rauschhafte, meditative Trips – das charakterisiert seine Bühnenarbeiten. Überdies verficht Voges den Wunsch, Kunstsparten zusammenzuführen. Am Theater sollen idealerweise auch andere Kunstrichtungen für eine Bereicherung der Ausdrucksformen einstehen: Video, Malerei und vor allem die Musik. Vielleicht kommen also bei Dies Irae auch Nick-Cave-Fans auf ihre Rechnung. (Margarete Affenzeller, 29.11.2019)