Die Feuer der Brandrodungen, die heuer ein enormes Ausmaß angenommen und weltweit Schlagzeilen geschrieben haben, sind am Rio Juruá noch weit entfernt. Der über 3000 Kilometer lange Fluss fließt von seinem Ursprung im Bergland Perus in vielen Windungen schließlich nach Nordosten, um als einer der größten Zubringer in den Amazonas zu münden. Während in den Randgebieten illegale Rodungen den Regenwald in Sojafelder und Rinderweiden verwandeln, hat man hier, tief im Amazonas, eine andere Möglichkeit gefunden, um zum wirtschaftlichen Gedeihen der ortsansässigen Gemeinschaften beizutragen.

Der Arapaima kann bis zu zwei Meter lang werden.
Foto: Rolex / Marc Latzel

Im Zentrum einer positiven Entwicklung stehen hier ein Fisch – der Arapaima – und ein Projekt, das auf beispielhafte Weise Naturschutz und ökonomische Interessen der zum Teil indigenen Einwohner am Fluss zusammenbringt. "Der Arapaima ist in den vergangenen Jahrhunderten beinahe ausgestorben. Dennoch bergen diese Fische ein großes Potenzial, das Leben der Menschen hier zu verbessern", sagt João Campos-Silva im STANDARD-Gespräch. Der 36-jährige Biologe und Ökologe der Universidade Federal de Alagoas ist seit seiner Doktorarbeit eng mit der Idee des partizipativen Naturschutzes in Brasilien und speziell mit dem Projekt am Rio Juruá verbunden.

Der Arapaima ist schon für sich ein erstaunliches Tier. Als einer der größten Süßwasserfische kann er über zwei Meter lang und über 100 Kilogramm schwer werden. Mit seinem flachen Kopf und seinen harten Schuppen, an denen sich die Piranhas die Zähne ausbeißen, wirkt er wie ein lebendig gewordenes Fossil aus früheren Erdzeitaltern. Tatsächlich hat sich die Art über Millionen Jahre kaum verändert. Was ihn aber wirklich besonders macht, ist, dass er als Fisch – er ist kein Säugetier – atmosphärische Luft atmet. Die sauerstoffarmen Gewässer hier führten dazu, dass sich in der Schwimmblase der Tiere ein lungenähnliches Gewebe entwickelte. Sie tauchen im Viertelstundentakt auf und schnappen, begleitet von einem lauten Geräusch, nach Luft – eine Auffälligkeit, die sie zur leichten Beute für Fischer werden ließ.

Der brasilianische Ökologe João Campos-Silva sorgt dafür, dass lokale Communitys im Amazonas die Fischbestände selbst managen können.
Foto: Rolex / Marc Latzel

Geschmack als Verhängnis

Dass das grätenfreie Fleisch des Arapaima noch dazu ausgezeichnet schmeckt, wurde dem Tier zum Verhängnis. Er ist ein fixer Teil der südamerikanischen Küche und trotz Fangverbots für kommerzielle Zwecke in Brasilien mittlerweile in vielen Flussläufen kaum noch anzutreffen. In Peru hatten Initiativen Erfolg, die Kokabauern auf Arapaima-Aquakulturen umsatteln ließen. Campos-Silvas Ansatz eines gemeinschaftlichen Naturmanagements sieht aber ein wenig anders aus.

Er möchte ein "sehr einfaches" Modell, das im Rahmen seiner Doktorarbeit studierte, auf möglichst viele Amazonasgemeinschaften übertragen. "Die lokalen Communitys werden dabei bestärkt, ihr eigenes Territorium zu schützen", erklärt der Ökologe. An Flussläufen und Bassins in den Projektcommunitys wachen Vertreter der Gemeinden darüber, dass es zu keinen illegalen Fischentnahmen oder Wilderei kommt. Die meist eigens gebauten Holzhütten am Wasser sind jeden Tag das ganze Jahr über besetzt. Im Gegenzug bekommen die Gemeinden vom Staat die Genehmigung, jedes Jahr einen gewissen Anteil der Populationen zu entnehmen und zu verkaufen. "Für die Menschen hier ist das wie ein großes Bankkonto, von dem sie jedes Jahr etwas abheben können, vergleicht Campos-Silva.

Campos-Silva überwacht die Arapaima-Populationen auch mit technischen Mitteln. Einige Tiere wurden mit kleinen Sendern ausgestattet.
Foto: Rolex / Marc Latzel

Ohne ein wenig Bürokratie – bei der der Ökologe und seine Kollegen behilflich sind – geht das allerdings nicht. "Die Communitys müssen eine Fischereivereinbarung an die Verwaltung schicken, die dann den Schutz eines Territoriums erlaubt", erklärt Campos-Silva das Prozedere. "Dann muss die Zahl die Fische an die Behörden gemeldet werden. Die Zählung folgt bestimmten Methoden und ist nicht schwierig, nachdem die Fische regelmäßig an die Oberfläche kommen."

Geschlechtergleichstellung

Ein Viertel des Bestands darf entnommen werden. Das Geld, das dabei eingenommen wird, bedeutet für die Regenwaldgemeinschaften eine wesentliche Verbesserung ihrer Situation. "Es kann aufgeteilt oder für gemeinsame Einrichtungen wie Schulen oder medizinischen Stationen verwendet werden", beschreibt Campos-Silva. "Zum ersten Mal verdienen auf diese Art auch Frauen in den Gemeinden Geld, was das Projekt wichtig für die Geschlechtergleichstellung macht."

Naturschutz wird so für die Amazonasbewohner selbst zum größten Anliegen. Nicht nur der Arapaima, die gesamte Biodiversität in den Territorien profitiert von den Projekten, sagt der Ökologe. Auch andere bedrohte Arten wie Riesenschildkröten, Mohrenkaimane oder Riesenotter prosperieren wieder.

Campos-Silva im Austausch mit Amazonasbewohnern.
Foto: Rolex / Marc Latzel

Für den Ökologen ist das Projekt auch ein Zeichen eines Paradigmenwechsels: "Lange Zeit war Naturschutz eine Top-down-Strategie, die von Behörden oder NGOs ausging. Aber mit dieser neuen Herangehensweise ergibt es auch für die Bewohner einen unmittelbaren Sinn. Die Leute sind motiviert. Wenn ich zu einer neuen Community komme, fragen sie gleich danach, ob sie teilnehmen können." Damit wäre geschafft, was Gesetze und Regierungen hier ohnehin nur schwer durchsetzen können.

Bereits 30 Gemeinden am Rio Juruá managen ihre Fischbestände selbst. Für die nächsten drei Jahre hat Campos-Silva große Pläne. Er will das Projekt auf über 2000 Flusskilometer und 100 Communitys ausdehnen. Später sollen auch weitere Flussläufe dazukommen. Letztendlich soll die Methode zum Standard im ganzen Amazonasgebiet werden, in dessen Communitys immerhin 30 Millionen Menschen leben. Der Arbeit des Ökologen wird durchaus auch Aufmerksamkeit zuteil. Kürzlich erhielt er einen Wissenschaftspreis des brasilianischen Wissenschaftsrats. Die Uhrenmarke Rolex kürte ihn mit einem "Preis für Unternehmergeist". Das Preisgeld steckt Campos-Silva in die Erweiterung des Projekts.

Nächstes Jahr wird der Ökologe die ganze Trockenperiode über etwa sechs Monate lang am Rio Juruá verbringen, ohne Handyempfang oder Internet. Manchmal sei man vier, fünf Tage im Boot unterwegs, um die Bewohner überhaupt zu erreichen. Für Campos-Silva ist das weniger abenteuerlich, als es klingt. Für ihn ist es einfach ein "schöner Ort mit freundlichen Menschen". (Alois Pumhösel, 3.12.2019)