Im Willy-Brandt-Haus in Berlin hat man jetzt schon eine gewisse Routine. Waschkörbeweise ist Papierpost gekommen in den vergangenen Tagen, auch elektronisch stimmten die Mitglieder ab. Bis Freitag um Mitternacht ist das noch möglich, dann beginnt erneut die Auszählung. Am Samstag – endlich, nach monatelanger Suche – soll dann verkündet werden, wer künftig die deutschen Sozialdemokraten führt.

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Zwei werden künftig vorangehen: Bis Freitag um Mitternacht können die 426.000 SPD-Mitglieder noch über ihre neue Führung abstimmen. In der ersten Runde lag die Beteiligung bei 53,3 Prozent. Auf Olaf Scholz und Klara Geywitz (links im Bild) entfielen 22,7 Prozent, auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans 21 Prozent der Stimmen
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Die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer hat allerdings schon eine Ahnung, dass es auch danach nicht leichter werden dürfte. "Die Parteiführung hat die Aufgabe, die Partei zusammenzuhalten", mahnte sie schon vorab. Und sie bat all jene, deren Duo nicht gewinnt, die Sieger zu unterstützen. Denn das Ergebnis könnte knapp werden, viele befürchten die Spaltung der Partei.

Der Ton wurde schärfer

Beim großen sozialdemokratischen Casting sind Anfang September 17 Bewerber angetreten, es gab im Mitgliederentscheid eine erste Runde, niemand erhielt die absolute Mehrheit. Danach gingen zwei Duos in die Stichwahl: Finanzminister Vizekanzler Olaf Scholz und die Brandenburger Politologin Klara Geywitz sowie der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans ("Nowabo") und Saskia Esken, Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg.

In der zweiten Runde wurde der Ton merklich schärfer. So fasste Esken ihren Frust über die Konkurrenz so zusammen: "Olaf Scholz gibt sich mit den Groko-Kompromissen zu schnell zufrieden. Er geht in Verhandlungen nur mit Positionen, die er auch durchsetzen kann. Damit nimmt er doch schon den Kompromiss vorweg und schwächt die SPD."

Mehr "SPD pur"

Wie Esken will auch Walter-Borjans mehr "SPD pur" in der großen Koalition durchsetzen und viel kämpferischer gegenüber der Union sein. Als Scholz betonte, die neue Grundrente, die vielen armen Rentnern helfe, sei ein "Meilenstein", klagte Walter-Borjans, das sei höchstens eine "Meile in einem Umfeld, wo wir daran gehindert wurden, zwei, drei Meilen zu schaffen".

Darauf konterte Scholz: "Es macht keinen Sinn, Erfolge der SPD kleinzureden." Geywitz und er finden, man wolle lieber als ewiger Zweiter in der großen Koalition Kompromisse erreichen als in Opposition nichts.

Scholz, der in Berlin seit Jahren wegen seiner oft ermüdenden Antworten als "Scholzomat" verspottet wird, zeigte sich auf den letzten Metern ungewohnt kämpferisch. Als Esken das Klimapaket der Regierung als "Klimapaketchen" verspottete, giftete er zurück: "Das Klimapaket ist fast einstimmig von der SPD-Fraktion beschlossen worden. So schlecht scheint es nicht zu sein."

Und welche beiden werden nun am Samstagabend als Siegerpaar verkündet? Ende Oktober wies eine Civey-Umfrage unter SPD-Anhängern für den Spiegel Walter-Borjans/Esken mit 54 Prozent Zustimmung als Gewinnerpaar aus, Scholz/Geywitz kamen auf nur 35 Prozent.

Jusos ergreifen Partei

Ihre Fans haben beide Paare. Das Establishment der SPD ist – auch wenn viele ihre Neutralität betonen – für Scholz/Geywitz. Hingegen hat die Konkurrenz die Jusos und Teile des mächtigen Landesverbandes Nordrhein-Westfalen hinter sich.

Und mit jedem Duo wird viel Hoffnung verknüpft: dass es endlich das Elend der SPD beenden möge. Nur noch bei 14 Prozent liegt die Partei in Umfragen, bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 waren es 20,5 Prozent gewesen. Der umfangreiche Prozess der Chefsuche half bei den Wahlen im Herbst 2019 jedenfalls nicht. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen verlor die SPD.

Dennoch sind sie stolz auf das Prozedere in der Bundes-SPD. Nachdem Andrea Nahles wegen fehlender Loyalität im Juni auf gegeben hatte, wollte man nicht mehr im Hinterzimmer entscheiden, sondern unbedingt die Basis groß einbinden. Auf das Ergebnis ist auch die Union gespannt, denn nur Scholz und Geywitz sind klar für eine Fortsetzung der großen Koalition.

Esken und Walter-Borjans verlangen ein "Update" des Koalitionsvertrages mit höherem Mindestlohn und Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur. Sollte sich die Union darauf nicht ein lassen, so Esken, werde man "den geordneten Rückzug" der SPD aus der großen Koalition vorschlagen. (Birgit Baumann, 29.11.2019)