Freundschaft ist in der SPÖ kein hohes Gut mehr. Gerade ein Jahr ist es her, dass Christian Kern seine Wunschnachfolgerin Pamela Rendi-Wagner auf offener Bühne innig geherzt hat. Heute schieben sich die beiden ebenso öffentlich die Verantwortung für die Misere der SPÖ zu – ökonomisch wie politisch.

Den Beginn machte Rendi-Wagners Klage über den "Rucksack voller Steine", den sie in Form von Schulden übernommen habe. Sie beteuerte zwar, auf niemanden mit dem Finger zu zeigen, aber natürlich war klar, auf wen die Kritik an der angeblich versäumten Sanierung der SPÖ gemünzt war: auf Kern und dessen Bundesgeschäftsführer Max Lercher, der als künftiger SP-Chef gehandelt wird.

Der unterschwellig Gescholtene hielt sich bei seiner Replik nicht nobel zurück. Die Kurzfassung: Er selbst habe die SPÖ in solidem Zustand auf respektablem Umfrageniveau übergeben – für den folgenden Absturz müssten Rendi-Wagner und ihre Verbündeten geradestehen.

Pamela Rendi-Wagner und Christian Kern am Bundesparteitag der SPÖ 2018.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Im Streit über die Schuldenhöhe scheinen sowohl Kern als auch Rendi-Wagner irgendwie recht zu haben; offenbar rechnen die Kontrahenten aneinander vorbei, indem sie von verschiedenen Stichtagen ausgehen. Politisch aber fällt die Bilanz für keine Seite schmeichelhaft aus.

Chaotischer Abgang

Nach der gleichen Manier, wie sich Rendi-Wagner reinzuwaschen versuchte, stiehlt sich Kern aus der Affäre. In seinem Schreiben blendet er aus, dass sein chaotischer Abgang die SPÖ erst in die Not gebracht hat, eine schlecht vorbereitete Newcomerin an die Front zu stellen. Kern begründet seinen Schritt mit Intrigen und Querschüssen, die es zweifellos gab. Doch vom heiligen Versprechen, die Sozialdemokratie auch in harten Oppositionszeiten zehn Jahre zu führen, bis zur Hals-über-Kopf-Flucht beim ersten Widerstand war es ein beschämend kurzer Sprung.

Als Ausrede für den Zustand der SPÖ taugt der Fluch des Vorgängers dennoch nur bedingt. Holprige Auftritte, taktische Schnitzer, die Anfälligkeit für die falschen Einflüsterer: Manche Probleme Rendi-Wagners hängen zweifellos mit der zwangsläufig fehlenden Erfahrung zusammen, doch eine Partei ist kein Trainingscamp mit offenem Ende. Die aktuelle Leistung spricht nicht eben für die Lernfähigkeit des roten Führungsteams. Mit der sub optimalen Handhabung der eigenen Finanzkrise hat es die SPÖ einmal mehr souverän geschafft, die Konkurrenz – war da nicht ein Casinos-Skandal? – aus den Schlagzeilen zu boxen. Nur ein Aspekt: Wer trotz Geldnot einem Berater mit zweifelhaftem Erfolgsnachweis bis zum Gehtnichtmehr 24.000 Euro im Monat zahlt, braucht sich über Unverständnis von Mitarbeitern und Wählern nicht zu wundern.

In den Reihen der SPÖ macht sich längst Umsturzstimmung breit. So, wie die Zeichen derzeit stehen, könnte allerdings der gleiche Murks, der vor einem Jahr seinen Ausgang nahm, von neuem beginnen. Denn in den Planspielen der unzufriedenen Genossen fehlt eine Kleinigkeit: ein unumstrittener und überzeugender Ersatzkandidat. (Gerald John, 29.11.2019)